Viertes Capitel.

[27] Ich lief, wie ein Unsinniger, ein paar Schritte; mit einem Male wankten meine Kniee, die mondbeschienenen Dächer, die hier und da erleuchteten Fenster – alles tanzte in wildem Wirbel um mich her; dann wurde es mir schwarz vor den Augen, der schwere Rausch, den ich von dem Schiff mitgebracht und den ich während der fürchterlichen Scene, von der ich kam, durch die gewaltsamste Spannung des Willens äußerlich beherrscht hatte, stieg mir wieder zu Kopf; ich lehnte mich an die Mauer, mich vor dem Fallen zu bewahren.

So mag ich ein oder ein paar Minuten in halber Ohnmacht gestanden haben, als mich die Stimmen von ein paar Mägden, die aus dem benachbarten Brunnen Wasser holen kamen, wieder zur Besinnung brachten. Ich raffte mich auf und wankte die Gasse hinab. Aber bald trug meine starke Natur den Sieg davon; mein Schritt wurde fester; ich fing an zu überlegen, was nun aus mir werden, wohin ich vor Allem jetzt mich wenden solle. Ein Unterkommen in einem Gasthause zu suchen, daran dachte ich nicht; ich hatte noch nie unter einem andern Dache, als dem meines väterlichen Hauses geschlafen; überdies bestand meine ganze Baarschaft aus noch nicht einem Thaler – mein Vater hielt mich sehr knapp im[27] Taschengeld – und ich hatte eine unbestimmte Vorstellung davon, daß ich mit dieser Summe sehr lange werde reichen müssen. Hätte ich mich heute nicht in Hader und Streit von Arthur getrennt, so würde ich vielleicht den aufgesucht haben, so aber konnte ich nicht in seinem Hause als Bittender erscheinen; überdies schlief er vermuthlich jetzt seinen Rausch aus, und seine Eltern waren mir nie sehr wohlgesinnt gewesen. – Der Commerzienrath? er hatte mich heute umarmt und Du und Bruder genannt; er würde mich gewiß mit Freuden empfangen, mir ein prachtvolles Schlafzimmer anweisen lassen, mit einem großen Himmelbett. –

Aber während ich mir die glänzende Aufnahme im Hause des Commerzienraths weiter ausmalte, eilte ich beständig in der entgegengesetzten Richtung vorwärts nach der Hafenvorstadt zu. Ich kam an ein paar Kneipen vorüber, aus denen wüster Matrosengesang erschallte. Wenn ich einträte und mich unter die Zechenden mischte und morgen als Matrose in die weite Welt ginge wie mein Bruder Fritz? Das wäre Rache an meinem Vater! Zwei Söhne zu verlieren – auf dieselbe Weise! – und dann auf der See umzukommen und auf dem Meeresgrunde zu liegen, wo meines Bruders Gebeine nun schon lange lagen! – »Pfui, Georg'« sagte ich laut, »pfui, der arme alte Mann!«

Wenn ich auf der Stelle umkehrte? Der Professor hatte das Haus gewiß schon wieder verlassen. Vater war allein in seiner Stube; ich wollte zu ihm treten und sagen: »Schlag mich jetzt! ich will mich nicht wehren, ich will nicht mit der Wimper zucken.«

Aber ich kehrte nicht um, ich stand nicht einmal einen Augenblick still; schon lag die Stadt hinter mir, und ich befand mich in der breiten Allee der Vorstadt, wo rechts und links die um diese Jahreszeit zum größten Theil von den Badegästen eingenommenen Schifferhäuschen lagen. Hier und da schimmerten sie hell durch die dunkeln Bäume; vor einzelnen saß, in den Lauben und Gärtchen vor den Thüren, um eine Lampe, die in einer Glasglocke brannte, eine muntere Gruppe; Gesang und Lachen ertönte und fröhliche Kinderstimmen, denn der Abend war herrlich: kaum daß ein Lüftchen durch die dichten Wipfel der hohen Bäume rauschte, die sich über mir wölbten; in dem Grase und in den Büschen zu meinen Füßen spielten Leuchtkäferchen.[28]

Der feuchtwarme Athem, den das nahe Meer herüberhauchte, that dem Dahinstürmenden so wohl; draußen, wenn ich aus den Häusern heraus war, mußte es kräftiger wehen, und auf einmal fiel mir Schmied Pinnows Hütte ein. Das war's! da mußte ich ein Unterkommen finden! Der Alte sollte mir ein Bett geben, oder wenn kein Bett, so doch ein Lager in der Schmiede, oder den Lehnstuhl der Alten; – die Alte konnte doch nicht Tag und Nacht in dem Lehnstuhle hocken! Schade, daß der Klaus nicht mehr zu Hause war! aber so war doch die hübsche Christel da. Christel war immer ein Liebling von mir gewesen; ich hatte sogar eine Zeit lang ernstlich für sie geschwärmt und sie hatte mich mindestens ebenso oft zu der Hütte gezogen als des Alten vier Doppelgewehre und die lange Vogelflinte zusammengenommen, oder die Kalteschale, die er des Sommers an segel- und jagdlustige Badegäste, oder der Glühwein, den er des Winters an die Schlittschuhläufer verkaufte, die sich am Strande tummelten!

Wunderbarer Leichtsinn der Jugend! oder muß ich mich besonders deswegen anklagen? – aber ich hatte in diesem Augenblicke das Unheil, das ich angerichtet: den Kummer meines Vaters, meine bedenkliche Lage, Alles vergessen, oder, wenn nicht vergessen, so war es doch nur der dunkle Hintergrund, von dem sich das Bild der baufälligen Hütte mit dem flackernden Schmiedefeuer und besonders die hübsche Gestalt der geschäftig hin- und hereilenden Christel gar hell und lustig abhob. Was Schule! was väterliches Regiment und die andere Sclaverei! Wenn ich sonst um diese Zeit noch draußen war, fing ich an zu überlegen, wie kommst du hinein, ohne daß der Vater, der pünktlich um halb Zehn zu Bett geht, es hört; jetzt hatte mich der Vater selbst zum Hause hinausgetrieben, ich brauchte nicht die Stiefel auf dem Vorplatz auszuziehen und leise, leise die knarrende Treppe zu meiner Schlafkammer hinaufzutasten; ich war ein freier Mann und konnte thun und lassen, was mir gefiel!

Die Allee und die Vorstadt lagen hinter mir, ich schritt den wohlbekannten Weg über das wellige Vorland dahin, links eine schmale Wiese, rechts ein Kartoffelfeld, ein einzelner Baum hier und da, der dunkel an dem lichten Nachthimmel stand und hüben und drüben das Meer, dessen Rauschen, je weiter ich kam und je schmaler die Landzunge wurde, ich deutlicher und deutlicher hörte, besonders deutlich nach Westen,[29] wo die offene See lag und von woher in diesem Augenblicke der Wind wehte. Ich merkte jetzt zum ersten Male, daß ich ohne Mütze war. Ich hatte sie verloren oder auf dem Flurtisch neben dem Lämpchen liegen lassen; desto besser, so brauchte ich sie nicht in der Hand zu tragen und der Meerwind konnte frei um meine heißen Schläfen, in meinen wehenden Haaren spielen.

Ein paar wilde Schwäne zogen hoch über mir dahin; ich konnte sie nicht sehen, aber ich hörte ihr eigenthümlich klagendes Geschrei; nur ein paar Töne, die wunderbar durch den stillen Abend klangen. »Glück zu!« rief ich hinauf! »Glück zu, ihr meine guten Gesellen!«

Eine selige, aus Wehmuth und Lust gemischte Stimmung, wie ich sie nie gekannt, überkam mich. Ich hätte mich an die schwarze Erde werfen und weinen, ich hätte die Arme zum nächtlichen Himmel breiten und jauchzen mögen. Ich wußte damals nicht, was mich so übermächtig durchzuckte. Jetzt weiß ich es wohl: es war das wohlige Gefühl, das den Fisch durchzittern muß, wenn er blitzschnell durch sein heimisches Element schießt, den Vogel, wenn er sich durch die Lüfte schwingt, das Reh, wenn es über die Waldwiese fliegt; – die Wonne, die den Menschen durchbebt, wenn er sich in voller Jugendkraft eins fühlt mit der Allmutter Natur, die aus den Elementen, aus denen sie selbst besteht, ihn schuf, damit sie Freude habe an sich selbst. Die Ahnung dieser Wonne, die Sehnsucht, diese Wonne zu empfinden, ist es, die den Menschen hinaustreibt aus der Enge der Verhältnisse, in denen er geboren, in die weite Welt, auf das Meer, in die Wüste, auf die Gipfel der Alpen, überall hin, wo die Luft frei weht, wo der Himmel groß auf ihn herniederblickt, wo es gilt, sein Leben einzusetzen, um es zu gewinnen.

Soll dieser nachträgliche Gedanke den frevelhaften Trotz entschuldigen, mit welchem ich mich eben erst gegen meinen Vater vergangen? und den ungeheuren Leichtsinn, der mich Va banque spielen ließ mit meiner Zukunft? Gewiß nicht. Ich will nichts entschuldigen, nichts beschönigen; ich will einfach berichten, was mit mir, was in mir vorgegangen bei dieser und bei andern Gelegenheiten, und nur, wo es mir nöthig scheint, eine Erklärung versuchen. Für die Moral mag die Geschichte selber sorgen, und nur dies will ich zum Trost bedenklicher Gemüther schon jetzt hinzufügen, daß, wenn mein[30] Frevelmuth, wie es wohl unzweifelhaft ist, eine Strafe verdiente, diese Strafe mich bald genug, und in nicht allzu milder Form, ereilt hat.

Aber, wie gesagt, für den Augenblick war die Grauengestalt mit dem lahmen Fuß noch zu weit zurück, als daß ihre Schrecken mich hätten umwittern können; dafür tauchten eben, als ich mit verdoppelter Schnelle über die Haide weiter schritt, zwei andere Gestalten vor mir auf, die nichts Gespenstiges hatten und auch nichts Gespenstiges thaten, denn sie standen, sich innig umschlungen haltend, wie zusammengewachsen da, und fuhren mit einem leisen Schreckensruf, der sich den Lippen des Mädchens entrang, auseinander, als ich urplötzlich, bei einer scharfen Wendung des Weges um einen Hügel herum, unmittelbar vor ihnen stand. Das Mädchen bückte sich nach einem großen Korbe, welchen sie, da sie ihre beiden Arme anderweitig brauchte, neben sich gestellt hatte, und der Mann ließ ein Ehem! ertönen, welches so laut und so verlegen nur aus einer sehr unschuldigen Brust kommen konnte.

»Guten Abend,« sagte ich, »ich hoffe –«

»Herr meines Lebens, sind Sie es wirklich?« sagte der Mann. – »Christel, sieh doch nur, er ist es ja!« und Klaus hielt Christel Möwe, welche die Flucht ergreifen wollte, am Kleide zurück.

»Ich dachte, ›er wäre es‹;« stammelte Christel, deren Gemüth selbst durch die Entdeckung, daß es ein guter Freund war, von dem sie sich hatten überraschen lassen, nicht ganz beruhigt schien.

Obgleich das Verhältnis, welches offenbar zwischen Klaus und Christel obwaltete, einer Erklärung nicht gerade bedurfte, so war doch auch ich einigermaßen verwundert. Ich hatte, so lange Klaus noch bei seinem Vater war – und aus dieser Zeit stammte unsere beiderseitige Freundschaft – niemals bemerkt, daß in dem Herzen des guten Burschen sich mehr als brüderliche Zuneigung zu seiner hübschen Pflegeschwester regte; aber freilich war das schon vier Jahre her, Klaus, als er zu Schlosser Wangerow kam, erst sechszehn Jahre alt, und möglicherweise hatte gerade die zeitweilige Trennung die Liebe geweckt, welche ohne dieselbe ruhig weitergeschlafen hätte, vielleicht niemals von selbst aufgewacht wäre. Dies bestätigten denn auch die Liebenden, indem sie, während wir langsam auf die Schmiede[31] zuschritten, manchmal auch wohl, wenn die Geschichte an einen besonders interessanten Knotenpunkt kam, auf ein paar Minuten stehen blieben. Einer dieser Punkte – und gewisser maßen der einzig bedenkliche – war die in jeder Weise mit derben und derbsten Worten ausgesprochene Abneigung und Feindseligkeit des alten Pinnow gegen das Verhältniß. Klaus sagte es nicht, aber ich mußte es nach Allem, was ich hörte, für nicht unmöglich halten, daß der Alte selbst ein Auge auf sein hübsches Pflegekind geworfen habe: wenigstens schien es uns kaum begreiflich, weshalb er, ohne daß ihm der gute Bursch, wie dieser hoch und heilig versicherte und ich ihm auf's Wort glaubte, auch nur die geringste Veranlassung gegeben, mit jedem Jahr und mit jedem Tage fast mürrischer und häßlicher gegen ihn geworden sei und ihm zuletzt gar das Haus verboten, nachdem er schon lange über das Hin- und Hergelaufe und die sündhafte Zeitverschwendung gebrummt und gepoltert. Deshalb seien sie – die Liebenden – nun gezwungen, heimlich zusammenzukommen, was leider seine großen Schwierigkeiten habe, da der Alte unendlich wachsam und vorsichtig sei und zum Beispiel lieber den taubstummen Lehrburschen Jakob in die Stadt schicke, um die nöthigen Einkäufe zu machen, trotzdem derselbe Alles schlecht und unordentlich besorg und auch heute Christel nicht geschickt haben würde, wenn er nicht angenommen, daß Klaus noch zu spät auf dem Dampfschiffe beschäftigt sei, um abkommen zu können.

Da ich dem braven Klaus, mit dem ich zu Wasser und zu Lande unzählige Jugendstreiche ausgeführt hatte, von Herzen gut und der rothwangigen, sanft redenden Christel Möwe nichts weniger als abgeneigt war, fühlte ich die lebhafteste Sympathie mit ihnen, und, so unwahrscheinlich es klingen mag, ihrer Liebe Leid und Lust und der wo möglich glückliche Fortgang ihrer Liebe lag mir in diesem Augenblicke viel mehr am Herzen als mein eigenes Schicksal. Ich dachte erst eigentlich wieder an mich, als jetzt, nachdem wir abermals eine Hügelwelle überstiegen, die Schmiede, aus deren niederem Fenster der rothe Schein des Essefeuers glühte, dicht vor uns lag und Klaus fragte, ob wir nicht umkehren wollten. Nun erst erfuhr er, daß es kein abendlicher Spaziergang sei, der mich so weit aus der Stadt auf die Haide geführt, und daß ich seinen Vater um Herberge für ein, vielleicht für mehrere Tage anzusprechen beabsichtige. Zugleich theilte ich ihm in den[32] kürzesten Worten den Grund mit, der mich zu einem so ungewöhnlichen Schritte zwänge.

Klaus schien über meine Mittheilungen sehr bestürzt; er faßte mich bei der Hand und fragte, mich etwas auf die Seite führend, in leisem Ton, dem man die innere Unruhe anhörte, ob ich mir auch wohl überlegt habe, was ich thue? Mein Vater habe es gewiß nicht so bös gemeint und werde mir sicher verzeihen, wenn ich sogleich umkehrte. Er selbst wolle gern mich anmelden und den ersten Sturm über sich ergehen lassen.

»Aber, Klaus, alter Junge«, sagte ich, »es geht Dir ja selbst nicht besser, als mir. Wir sind Leidensgefährten; Dir hat Dein Vater das Haus verboten, gerade wie mir mein Vater das seine. Was ist das für ein Unterschied?«

»Der«, sagte Klaus, »daß ich nichts gethan habe, weshalb mir mein Vater zürnen könnte, während Sie selbst sagen, Sie hätten – nehmen Sie's mir nicht übel – heute wieder einmal einen dummen Streich gemacht.«

Ich entgegnete, dem möge nun sein, wie ihm wolle, zurück könne ich nicht mehr. Was ich später thun werde, wisse ich nicht. Wir könnten ja morgen weiter darüber sprechen; ich würde auf das Dampfschiff kommen, es sei leicht möglich, daß ich seine Dienste nöthig hätte.

Klaus, der mich entschlossen sah und von jeher gewohnt war, sich meinen Anordnungen zu fügen, drückte mir nochmals die Hand und sagte: »Nun denn, auf morgen!«

Sein gutes Herz war so voll von dem, was er eben gehört, daß er weggegangen sein würde, ohne sich von Christel zu verabschieden, wenn ich ihn nicht lachend auf eine so sträfliche Vergeßlichkeit aufmerksam gemacht hätte. Aber den Kuß, den ich ihm gönnte, bekam er nicht; Christel sagte: ich wäre recht schlecht, und so trennten wir uns, indem Klaus wieder den Weg nach der Stadt einschlug, in dessen Dunkel er bald verschwand, während ich mich mit Christel nach der Schmiede wandte, durch deren Fenster jetzt das Feuer heller als vorhin aufglühte.

»Wie kommt es, daß der Alte noch so spät arbeitet?« fragte ich das Mädchen.

»Das kommt so«, erwiederte sie.

Ich that noch mehrere Fragen, auf welche ich nicht minder einsilbige Antworten erhielt. Christel und ich waren früher[33] immer die besten Freunde gewesen, und ich kannte sie als das munterste, lachlustigste Geschöpf. Es blieb mir also nur die Annahme, daß sie mir meinen Scherz von vorhin ernstlich übelgenommen habe. Da, wenn die Leidenschaftlichkeit mich nicht überwältigte, es gar nicht in meiner Natur lag, irgend Jemand wissentlich zu kränken, am wenigsten ein armes Mädchen, dem ich noch dazu herzlich gewogen war, so fiel es mir durchaus nicht schwer, die Kleine aufrichtig um Verzeihung zu bitten, wenn ich sie eben in der besten Absicht von der Welt, nämlich, sie nicht durch meine Schuld um den Abschiedskuß von ihrem Geliebten kommen zu lassen, beleidigt habe. Christel antwortete nicht, und ich wollte eben meinen Arm um ihre rundliche Taille legen, meiner Bitte um Verzeihung etwas mehr Nachdruck zu geben, als das Mädchen zu weinen anfing und in ängstlichem Tone sagte: »ich dürfe nicht mit zu ›ihm‹ gehen, und es würde auch ganz vergebens sein, denn ›er‹ werde mich doch nicht aufnehmen.«

Diese Erklärung, diese Warnung hätten manchen Andern gewiß stutzig gemacht. Die Schmiede lag so einsam, der Leumund des alten Schmiedes war nichts weniger als gut, und ich war in Räubergeschichten belesen genug, um mich an die bezüglichen romantischen Situationen zu erinnern, in welchen das Räubermädchen den verirrten Helden vor den übrigen Mitgliedern ihrer ehrenwerthen Familie warnt und ihm nebenbei in eben so discreter als verständlicher Weise ihre Liebe zu erkennen giebt. Aber einmal war mein Gemüth damals, und ist es noch jetzt, jenen bangen Regungen so gut wie unzugänglich, welchen phantasiereiche Menschen so leicht unterworfen sind, sodann, wenn der Alte einmal auf seinen Sohn eifersüchtig war – und ich nahm dies als feststehend an – weshalb sollte er es gegen mich nicht ebenfalls sein? und drittens fuhr in diesem Augenblicke ein kleiner Köter mit wildem Gekläff nach meinen Beinen; zugleich erschien eine breite Gestalt in der offenen Thür der Schmiede, und die wohlbekannte Stimme des alten Pinnow rief in tiefstem Basse: »Werda?«

»Ich bin's, gut Freund, Georg Hartwig,« sagte ich, indem ich die kläffende Bestie mit der Spitze meines Fußes in die Büsche schleuderte.

Christel mußte den Alten, während sie sich an ihm vorbei in's Haus drängte, bereits mit meinem Wunsche bekannt gemacht haben, denn er sagte, während er, ohne sich zu regen,[34] in der Thür stehen blieb: »Ich kann Ihnen kein Nachtquartier geben, mein Haus ist keine Herberge.«

»Das weiß ich, Pinnow,« erwiederte ich, an ihn herantretend und ihm die Hand bietend; »aber ich dachte, Sie wären mein Freund.«

Der Alte hatte meine Hand nicht genommen; er brummte etwas, das ich nicht verstand.

»Nach Hause gehe ich nicht wieder,« fuhr ich fort, »darauf können Sie sich verlassen. Wenn Sie also nicht wollen, daß ich mich da in die Büsche lege und um die Wette mit Ihrem Spitz den Mond anheule, so lassen Sie mich hinein und machen Sie mir ein Glas Grog, wissen Sie, halb und halb; und trinken Sie selber eins oder auch zwei, das wird Ihnen gut thun und Sie auf bessere Gedanken bringen.«

Ich hatte bei diesen Worten dem ungastlichen Schmied die rechte Hand auf die Schulter gelegt und ihn, zum Zeichen meiner wohlwollenden Gesinnung, derb geschüttelt.

»Ich glaube, Sie wollen einen alten Mann zu seinem eigenen Hause hinauswerfen,« rief er zornig, und ich fühlte meinerseits zwei Hände, deren Breite und Eisenhärte, in Anbetracht, daß sie einem »alten« Mann gehörten, bewundernswerth waren, auf meinen Schultern. Mein Blut, das die kühlere Nachtluft noch keineswegs zu dem wünschenswerthen Grad abgekühlt hatte, brauchte nicht erst in Wallung zu gerathen, überdies war die Gelegenheit, eine Probe meiner vielbewunderten Stärke abzulegen, gar zu günstig; so packte ich denn meinen Gegner, riß ihn mit einem Ruck von der Schwelle, auf der er noch immer stand, und schleuderte ihn ein paar Schritte seitwärts. Es war gar nicht meine Absicht gewesen, mir den Eintritt in sein Haus zu erzwingen, aber der Schmied, der dies fürchtete und meine Absicht um jeden Preis verhindern wollte, warf sich mit einem Ungestüm auf mich, daß ich meine ganze Kraft aufbieten mußte, den Wüthenden zu bewältigen. Ich hatte schon manchen harten Strauß durchgefochten und war noch immer als Sieger daraus hervorgegangen, aber einem so ebenbürtigen Gegner war ich noch nie begegnet. Dazu kam, daß ich aus einem Rest von Pietät vor dem »alten Mann«, der in Schifferweise mit gewaltigen Boxerschlägen auf mich eindrang, ihn nicht, obgleich ich es gekonnt hätte, mit derselben Münze bezahlen wollte, sondern mich begnügte, ihm die Arme an den Leib zu[35] drücken. Endlich fühlte ich, daß ich ihn würde bewältigen können, mit einem blitzschnellen Griff faßte ich ihn ein paar Zoll tiefer, hob ihn vom Boden, und in der nächsten Secunde hätte er der Länge nach den Sand gemessen, als ein schallendes Gelächter aus unmittelbarster Nähe ertönte. Ich ließ meinen Gegner los, der sich kaum frei fühlte, als er sich abermals auf mich warf. Da ich auf diesen neuen Angriff nicht vorbereitet war, verlor ich das Gleichgewicht, strauchelte, stürzte, mein Gegner über mich. Ich fühlte seine Eisenhände an meiner Kehle, als plötzlich das Gelächter verstummte. »Pfui, Alter,« rief eine sonore Stimme, »das hat er nicht um Dich verdient!« – und ein paar Arme, die für den Augenblick noch stark genug sein konnten, rissen den Schmied von mir ab; ich sprang auf die Füße und stand meinem Retter – so muß ich ihn nennen, denn ich weiß nicht, was ohne ihn aus mir geworden wäre – gegenüber.

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Sämtliche Werke. Band 1, Leipzig 1874, S. 27-36.
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