[97] Im eifrigen Gespräch in den Gängen zwischen den Beeten auf- und abwandelnd, wurden sie an ihre Absicht, in das Haus zu gehen, erst erinnert, als sie sich demselben zum zweiten Male näherten. Sie traten durch die offene Thür in einen Saal, dessen harmonische Verhältnisse und einfache, geschmackvolle Decoration auf Oswald sofort den angenehmsten Eindruck machten. Die hohen Kastanienbäume, unmittelbar vor den Fenstern, hielten den Raum kühl und schattig. Das gedämpfte Licht that dem Auge wohl nach dem verschwenderischen Sonnenschein draußen im Garten. Bequeme Sessel in mancherlei Formen und Größen, amerikanische Rocking-chairs, französische Causeusen, ein großer Flügel, Tische mit Büchern und Bilderwerken bedeckt, hier und da in dem weiten Gemache schicklich vertheilt, gaben demselben bei allem Reichthum etwas ungemein Wohnliches, das auf das liebenswürdigste mit der steifstelligen Ordnung, die in dem Innern des Schlosses Grenwitz herrschte, contrastirte.
Ich bin doch neugierig, ob Jemand auf mein Klingeln kommen wird, sagte Melitta, ihren Hut auf den Tisch werfend und nach der Klingelschnur gehend. Unmöglich ist es gar nicht, daß wir uns höchstselbst in die Speisekammer werden verfügen müssen, notabene, wenn wir den Schlüssel auftreiben können.[97]
Sie klingelte und wandte sich wieder zu Oswald, der eines der Marmorbilder, welche die Wände des Saales schmückten, betrachtete.
Wie finden Sie diese Maske?
Sehr schön; es ist die Rondanini'sche Meduse.
Ah! ich sehe, Sie sind ein Kenner.
Höchstens ein Liebhaber. Ich habe in der Residenz oder sonst wo manches gesehen; meistens freilich nur Gypse. Seit meinen Knabenjahren war es mein sehnlichster Wunsch, einmal in das gelobte Land Italien zu wallfahren, um dem hohen Gott Apollo von Belvedere persönlich meine Huldigung darbringen zu können.
Nun, das ist doch kein so unbescheidener Wunsch.
Wenn es unbescheiden ist, zu wünschen, was uns nicht beschieden – doch.
So wäre es unbescheiden, daß wir etwas zu vespern wünschen, denn das scheint uns auch nicht beschieden; sagte Melitta mit komisch-klagendem Ton. Aber wird uns nicht oft gerade etwas beschieden, weil wir es lebhaft, heiß, unbescheiden wünschen? Das Schicksal gewährt uns unsern Wunsch, wie eine Mutter dem bettelnden Kinde das Stückchen Kuchen, nur, um uns los zu werden.
Das Schicksal ist kein launisches Weib, sondern ein harter felsenherziger Gott, und wenn wir etwas von ihm haben wollen, müssen wir es ihm abtrotzen.
Das ist es für Euch Männer, und vielleicht ist es gut, daß dem so ist – Ihr würdet sonst zu übermüthig. Wir Frauen aber – Du lieber Himmel, was sollte aus uns werden, wenn wir uns das bischen Glück ertrotzen sollten. Wir legen uns lieber auf's Bitten und Betteln, und wenn wir eben alle Hoffnung aufgeben wollen und ganz am Glück verzweifeln – dann, gerade dann – sehen Sie, da kommt der Baumann und mit ihm die Aussicht auf unser Vesperbrod.
Die Thür öffnete sich und die Gestalt eines langen, hagern Mannes, dessen altem, runzligen Gesichte mit den buschigen Augenbrauen eine tiefe Narbe, die über die kahle Stirn am[98] Auge vorbei bis tief in die Wange lief, und ein langer eisgrauer Schnurrbart etwas ungemein Martialisches gaben, erschien auf der Schwelle.
Gnädige Frau? sagte er mit einer Stimme, die aus einer tiefen Höhle zu kommen schien.
Ach, Baumann, es sind wohl außer Ihm Alle ausgegangen?
Zu Befehl.
Das habe ich aber gar nicht befohlen. Wo ist die Mamsell?
Drüben in Faschwitz.
Und der Johann?
Bei Försters.
Und die Mädchen?
Im Dorf.
Bester Baumann, wir möchten gern etwas Abendbrod haben.
Zu Befehl.
Kann Er uns denn etwas verschaffen?
Schwerlich.
Oder wenigstens den Speisekammerschlüssel auftreiben?
Wird sich kaum bewerkstelligen lassen.
Lieber guter Baumann, seh' Er doch einmal zu, was sich thun läßt.
Zu Befehl.
Damit machte die seltsame Gestalt Kehrt und marschirte wieder zur Thür hinaus.
Nun, was sagen Sie zu meinem maître d'hôtel?
Daß der Mann auf jeden Fall ein Original ist; aber weshalb hat er mich so unverwandt mit seinen alten klugen Augen angesehen?
Melitta lachte.
Sie müssen wissen, daß der alte Baumann schon Diener bei meinem Vater war, in dessen Regiment er die Feldzüge gegen Napoleon mitmachte. Er hat mich, als ich ein Kind war, auf seinen Knieen geschaukelt, mich nimmer seitdem verlassen und wird mich nicht verlassen, bis ich sterbe oder er stirbt.[99]
Zweimal hat er mir das Leben gerettet, und, ohne daß ich es wollte oder wußte, im Stillen jeden Schmerz mit mir getheilt, ich möchte sagen, auch jede Freude. Wenn ich zu ihm spräche: Baumann, Er muß morgen für mich nach Australien reisen, so würde er sagen: zu Befehl! würde über Nacht seine Sachen packen und vor Sonnenaufgang schon unterwegs sein; und wenn ich sagte: es ist nicht anders, Baumann, Er muß für mich sterben, so und so – er würde sagen: zu Befehl! und nicht mit den grauen Wimpern zucken; aber wenn ich zu ihm sagte: hören Sie, Baumann, statt: höre Er, Baumann – so würde er das für eine Aufkündigung unserer Freundschaft halten. Jetzt ist er böse, daß ich ihm nicht gesagt habe, wer Sie sind. Weiß er das, und weiß er, daß ich Sie gern bei mir sehe, dann ist er zufrieden. Nun passen Sie auf, was geschieht. Er kommt zurück und sagt uns, daß er schlechterdings nichts für uns thun könne. Darauf gebe ich ihm die gewünschte Auskunft, und mache Miene, selber zu gehen. Dann wird Friede geschlossen. Sie müssen ihn aber gütig ansehen, wenn ich von Ihnen zu ihm spreche.
Keine Sorge, gnädige Frau: ich will so freundlich und mild lächeln, wie ein Engel von Guido Reni.
Abermals öffnete sich die Thür. Der alte Diener erschien, marschirte in das Gemach, blieb genau auf demselben Platze wie das erste Mal stehen und sagte, wiederum Oswald fixirend:
Keine Menschenmöglickeit nicht, gnädige Frau.
Aber Baumann, das ist ja jammerschade. Der Herr Doctor Stein ist eigens aus Grenwitz, und noch dazu zu Fuß herübergekommen, um mit Herrn Bemperlein über Julius zu sprechen. Und nun sind die Beiden fortgefahren, und wir können ihm nicht einen Bissen, nicht ein Glas Wein vorsetzen; und ich selbst habe heute Mittag, wie Er selbst gesehen hat, gar nichts gegessen und komme nun bald um vor Hunger.
Oswald mußte sich sehr zusammennehmen, daß sich das ihm anbefohlene Lächeln nicht in ein schallendes Gelächter verwandelte, als er sah, wie die Miene des alten Mannes bei jedem Worte, das Melitta sprach, heller und heller wurde, wie[100] er den vorher auf den Gast fixirten Blick von diesem zu jener, von jener zu diesem wandte, als wollte er sagen: Na, seht Ihr, junges Volk, daß Ihr ohne den alten Baumann nicht fertig werden könnt! und zuletzt sagte:
Nun, was den Kellerschlüssel anbetrifft, so habe ich selbigen wie immer in meiner Tasche, gnädige Frau.
Ja, das ist ja auch wahr, und wie ist es mit dem Speisekammerschlüssel?
Eine Menschenmöglichkeit ist es noch, daß Mamsell ihn wieder unter den Abstreicher gelegt hat, trotzdem ich sie schon oft dieserhalb verwarnt habe.
Will Er denn einmal nachsehen, Baumann?
Zu Befehl.
Sobald sich die Thür hinter dem alten Manne geschlossen hatte, warf sich Melitta lachend in einen Schaukelstuhl.
Habe ich es nicht gesagt? rief sie, sich hin- und herwiegend, lustig wie ein Kind, das seinen Willen durchgesetzt hat; habe ich es nicht gesagt?
Oswald hatte sich ihr gegenüber an den großen runden Tisch gesetzt, auf dem ein aufgeschlagenes Album und allerlei Zeichenmaterialien lagen. Seine Hand spielte mit einer Bleifeder, während er Melitta, in Gedanken verloren, anschaute.
Wollen Sie mich zeichnen?
Ich wollte, ich könnte.
Warum nicht, da liegt mein Album.
Das hilft mir nichts. Lehren Sie mich erst die Kunst, unmittelbar mit den Augen malen zu können.
Sehen Sie, das ist gerade, was ich immer wünsche. Wie oft, wenn mich eine Landschaft, eine Gestalt, ein Gesicht interessiren, denke ich: jetzt mußt du's treffen, und will ich nun auf das Papier bannen, was mir so klar vor den Augen steht, wird's eine Stümperei.
Ich bin überzeugt, Ihr Album wird das Gegentheil beweisen; darf man es besehen?
Nein, man darf es nicht; aber Sie dürfen es. Im Grunde hat es nur Werth für mich; denn für mich steht nicht nur das[101] darin, was ich gezeichnet habe, sondern auch, was ich habe zeichnen wollen. Ueberdies ist mir mein Album eine Art von Tagebuch. Dieses hier werde ich kurz vor meiner italienischen Reise angefangen haben.
So waren Sie in Italien?
Vor zwei Jahren mit meinem Vetter Barnewitz und seiner Frau. Ich wollte, Sie wären auch von der Partie gewesen; einmal Ihrethalben, denn Sie sind es werth, Italien zu sehen, und sodann meinethalben, die ich dann hoffentlich nicht allein, oder in Begleitung von Wachspuppen durch die herrlichsten Gegenden und die reichsten Galerien hätte wandern müssen. Damals, wie stets, war es das Album, dessen geduldigem Papier ich Alles sagte, was sonst Niemand hören wollte.
Melitta hatte sich erhoben und sich neben Oswald gestellt, der aufstehen wollte, ihr einen Stuhl heranzurücken. Sie aber, ihn daran zu verhindern, legte die Hand leicht auf seinen Arm und ließ sie dort ein paar Augenblicke ruhen, – ein paar Augenblicke, und doch lange genug, daß Oswald's Hand zitterte und seine Stimme bebte, als er jetzt, die ersten Blätter umwendend, sagte:
Diese Skizzen sind noch vor der italienischen Reise gezeichnet. Hier ist der geheimnißvolle Teich, an dessen Rand ich heute Nachmittag geschlafen und geträumt habe.
Sie haben mir noch nicht erzählt, was Sie geträumt haben.
Doch, ich sagte Ihnen ja: süßes, närrisches Zeug.
Von einer Dame natürlich?
Ja.
So wäre es indiscret, mehr wissen zu wollen.
Ach, wie reizend! rief Oswald, als er das nächste Blatt umschlug. Wie heimlich versteckt liegt dieses Häuschen im Walde! Gleich treuen Riesenwächtern umstehen es die alten Fichten. Wie eine schützende Gottheit breitet die Buche ihre mächtigen Aeste darüber hin. Als wollten sie sagen: Du bist unser! klettern die Schlingpflanzen daran hinauf und schaukeln sich vor den niedrigen Fenstern. Und wie träumerisch schleicht[102] der Bach zwischen hohen Binsen und Farrenkräutern hier durch die saftige Wiese im Vordergrund! – das ist wunderschön gedacht, sagte Oswald, von dem Blatt zu Melitta emporblickend.
Und weil Sie Alles so hübsch nachempfunden haben, so will sich Sie noch heute an Ort und Stelle führen.
Wie? so ist dies keine Phantasie?
Bewahre! höchstens die Enten hier, die sich vor dem Habicht in die Binsen ducken. Das Bächlein ist der Abfluß Ihres geheimnißvollen Sees im Walde.
Also nur eine Fortsetzung meines Traumes, sagte Oswald weiterblätternd.
Ein loses Blatt kam ihm zunächst in die Hände. Der Kopf eines Mannes im Profil war in schönen, kühnen Linien darauf gezeichnet. In einer Ecke standen die Buchstaben A.v.O. und ein Datum.
Das Blatt wird verloren gehen, sagte Oswald.
Mag es! antwortete Melitta.
Der Ton, in welchem sie diese beiden Worte sprach, war so eigenthümlich, so ganz ohne die gewöhnliche Süßigkeit ihrer Stimme, daß Oswald unwillkürlich zu ihr aufschaute. Er sah, daß ihre schönen Brauen wie im Schmerz zusammengezogen waren und ihre Lippen zuckten. Er senkte sogleich seinen Blick und wollte das Blatt umschlagen. Melitta legte ihre Hand auf seinen Arm und sagte leise:
Wie finden Sie den Kopf?
Ein Sturm brauste durch Oswald's Seele. Er hätte sich von dem Sessel zu Melitta's Füßen werfen und ausrufen mögen: ich liebe Dich ja, Melitta! Wie kannst Du mein Urtheil hören wollen über den Mann, den Du geliebt hast, vielleicht noch liebst ... Aber er bezwang sich und sagte mit scheinbarer Ruhe:
Es ist der Kopf eines Mannes, auf den mir Tasso's Worte zu passen scheinen:
Und haben alle Götter sich vereinigt,
An seiner Wiege Gaben darzubringen,
Die Grazien sind leider ausgeblieben –
[103]
Dieser Mann wird niemals glücklich sein, weil er niemals wird glücklich sein wollen.
Und darum, sagte Melitta, ist dieser Mann aus meinem Leben losgelöst, wie dies Blatt aus dem Album. Wenn man die Erinnerung tödten könnte, wie man ein Blatt vernichten kann, so läge es nicht mehr hier. Da das aber nicht geht, so mag es bleiben, wo es ist. Weiter!
Der Sturm in Oswald's Seele war vorübergebraust. Wie lindes Wehen des Frühlings überkam ihn der Gedanke: Sie könnte und würde dir das nicht sagen, wenn sie dich nicht ihres Vertrauens und ihrer Freundschaft für würdig erachtete. Und ein Gefühl unsäglichen Glücks durchbebte ihn bei diesem Gedanken.
In dieser seligen Stimmung durchmusterte er die folgenden Blätter, die Melitta auf ihrer italienischen Reise gezeichnet hatte: Landschaften mit heiteren klaren Linien, Skizzen aus Städten: Paläste, Straßen, Ruinen, zwischendurch ein keckes Lazzaronigesicht oder ein träumerisches Mädchenantlitz. Dann folgten Studien nach der Antike, zum Theil sehr fleißige Studien, denn Manches war wieder und wieder gezeichnet, bevor es dem regen Schönheitssinn Melitta's genügt hatte. Besonders schön war der Kopf der Venus von Milo. Auf einem der nächsten Blätter war die ganze Gestalt.
Wo haben Sie das gezeichnet? fragte Oswald; doch unmöglich nach einer Copie?
Nein, nach dem Original selbst. Ich war damals in Italien eine halbe Katholikin geworden, und als ich in Paris im Louvre die hohe Gestalt sah, da sagte ich zu mir: diese oder keine ist deine Heilige. O, Sie glauben nicht, wie schön sie ist! wie schön und wie gut! und dieser Ausdruck himmlischer Güte, den die Milonische Venus nicht nur vor allen anderen Venusbildern, sondern auch vor sämmtlichen antiken Köpfen voraus hat, rührte mich fast noch mehr als ihre göttliche Schönheit. Vor der Milonischen Venus habe ich es zum ersten Male begriffen, wie es möglich sei, vor einem Bilde, das Menschenhand geschaffen, zu beten, aufrichtig, inbrünstig zu beten. Warum[104] stützen Sie den Kopf so nachdenklich in die Hand? Hier, nehmen Sie diesen Bleistift und schreiben Sie mir unter das Bild, was Sie eben gedichtet haben; denn ich habe es Ihnen angesehen, daß Sie Verse machten.
Oswald nahm den Griffel, den ihm Melitta halb im Scherz und halb im Ernst bot, und schrieb, während die schöne Frau ihm über die Schulter blickte, mit zitternder Hand:
Fern zu Paris, im hohen Louvresaale,
Inmitten all' der göttlichen Gestalten,
Der marmorschönen, ach! und marmorkalten,
Da thront sie hoch auf dem Piedestale;
Sie, die im stillverschwieg'nen Bergesthale,
Als träumerisch die duft'gen Nebel wallten,
Anchises einst in seinem Arm gehalten,
Bis sie entschwand im ersten Morgenstrahle.
Die Göttin starb. Man fand die schöne Leiche,
Und trug sie still in heil'ge Tempelhallen;
So herrscht die Todte nun im Todtenreiche.
Und, keinem, keinem von den Gläub'gen allen
Neigt gütig sie das Angesicht, das bleiche;
Taub bleibt ihr Ohr für frommer Beter Lallen.
Oswald legte den Griffel aus der Hand und schaute zu Melitta empor. Sein Blick begegnete dem ihrigen. Für ein paar Momente ruhten ihre Augen in einander, als ob sie Eines in des Andern Seele lesen wollten.
Da erschien in der Thür zum Nebenzimmer, aus dem man schon seit einiger Zeit das Klappern von Tellern gehört hatte, der alte Baumann mit einer Serviette unter dem Arm und sagte feierlich, wie der Comthur im Don Juan:
Gnädige Frau, es ist angerichtet.
Schnell, kommen Sie, ehe unser Habermus kalt wird, rief Melitta.
Nur noch die paar Blätter erlauben Sie, sagte Oswald; ich sehe, es ist gleich zu Ende.[105]
Es ist nichts von Bedeutung mehr darin, sagte Melitta fast ungeduldig.
Ei, da ist ja der Park von Grenwitz, rief Oswald, indem er, vom Sessel sich erhebend, das letzte Blatt aufschlug. Der Rasenplatz hinter dem Schlosse. Hier die Flora, dort Bruno im vollen Lauf –
Und hier sind Sie!
Wo?
Dort.
Dieser Nebelstreif? sagte Oswald, auf eine Stelle rechts neben der Flora deutend, wo man von einer Figur, die mit Gummi wieder weggewischt war, noch eben die Umrisse erkennen konnte.
Dieser Nebelstreif! antwortete Melitta lachend. Ich wollte Sie erst in Ihrer wirklichen Gestalt zeichnen, konnte aber nicht damit zu Stande kommen. Jetzt sollen Sie als Erlkönig figuriren, der den Knaben Bruno hascht; das heißt Bruno's Leib, denn seine Seele gehört Ihnen schon. Wie haben Sie es nur angefangen, den jungen Leoparden in den paar Tagen vollständig zu zähmen?
Durch ein Bischen aufrichtige Liebe. Shakespeare nennt als untrügliches Mittel, die Menschen zu fangen, die Schmeichelei; ich finde, daß die Liebe ein noch viel sicheres und dabei viel edleres ist.
Und ist nicht die Liebe die größte Schmeichelei?
So sprachen Oswald und Melitta, während sie in das Nebenzimmer gingen, ein hohes, schönes, mit alterthümlichen Möbeln ausgestattetes Gemach, in dessen Mitte auf einem runden Tischchen allerlei Erfrischungen gar einladend servirt waren. Hinter dem einen der reichgeschnitzten, hochlehnigen Stühle stand kerzengerade, die Serviette unter dem Arm, der alte Baumann, einer Anerkennung seiner ausgezeichneten Verdienste und fernerer Befehle gewärtig.
Nun, was bietet uns denn unser Tischlein-decke-dich? sagte Melitta, sich setzend, und Oswald mit einer Handbewegung einladend, ihrem Beispiele zu folgen.[106]
Kalten Braten – Eingemachtes – ganz charmant, Baumann! Mamsell wird sich ärgern, daß wir ohne sie fertig geworden sind.
Mamsell ist vor einigen Minuten von Faschwitz retournirt, sagte Baumann, der an einem Nebentisch eine Flasche entkorkte.
Ich wette, sie ist gar nicht fortgewesen, flüsterte Melitta lächelnd Oswald zu. Was haben wir denn für unsern Gast zum Trinken, Baumann?
Steinberger Cabinet, zweiundvierziger, sagte Baumann, Oswald's Glas mit dem goldigen Weine füllend.
Und für mich?
Frisches Brunnenwasser, etwa mit Himbeersaft, antwortete Baumann kaltblütig, die Flasche mit dem Stöpfel darauf vor Oswald hinstellend.
Damit bin ich heute schlechterdings nicht zufrieden, Baumann! Wie steht es denn mit unserm Champagner?
Rein alle, gnädige Frau.
Aber wir haben ja doch neulich erst eine Kiste bekommen?
Steht noch nietennagelfest im Keller.
Ach, das ist ja jammerschade, klagte Melitta. Und ich komme fast um vor Durst, und muß nun gerade heute ein solches Verlangen nach Champagner haben.
Nu, nu, tröstete Baumann, wird sich ja noch bewerkstelligen lassen.
Damit schritt er zur Thür hinaus.
Sehen Sie, so muß ich mir in meinem eigenen Hause Alles zusammenbetteln, sagte Melitta, aber Sie essen ja nicht! Und was für ein Stück Sie sich da genommen haben! Das schlechteste auf dem ganzen Teller. Gott, was seid Ihr Männer doch für hülflose, unpraktische Geschöpfe! Ich merke schon, daß ich für Sie sorgen muß.
Und sie begann trotz Oswald's Versicherung, daß er gar keinen Hunger habe, seinen Teller mit dem Besten, was sie auf dem Tisch entdecken konnte, zu füllen.
Es schmeckt Ihnen nicht, sagte sie endlich fast traurig, als[107] sie sah, daß der junge Mann selbst jetzt die Speisen kaum berührte. Sie sind krank?
Ich befand mich im Leben nicht wohler. Aber sind Sie nie in der Stimmung gewesen, wo man Essen und Trinken für das Ueberflüssigste von der Welt, und die himmlischen Götter selbst, die doch noch des Nektars und der Ambrosia bedurften, für sehr armselige Götter hält!
O gewiß kenne ich solche Stimmungen, antwortete Melitta; genau so war mir zu Muthe, als ich von meiner Tante zum ersten Mal auf den Ball geführt wurde. Aber das ist lange, undenkbar lange her; seitdem hat meine Stimmung, so viel ich weiß, mit meinem Appetit nie wieder etwas zu thun gehabt.
Trotz dieser Prahlerei indessen blieb auch für Melitta außer ein paar eingemachten Früchten Alles auf der Tafel Schaugericht. Das süße Feuer, das ihren Busen höher wallen und ihre schönen Augen in noch zärtlicherem Lichte strahlen machte, bedurfte zu seiner Nahrung nicht der Gaben der Ceres. Zum ersten Male an diesem Nachmittage gerieth das Gespräch in's Stocken. Von dem, was ihre Herzen zum Zerspringen füllte, wagte Keiner zu sprechen; und Alles sonst erschien so gleichgültig, so nüchtern! Eine Verlegenheit, die sie vergebens hinter dem Anschein der Unbefangenheit zu verbergen sich bemühten, über kam sie. Beide fühlten, wie eine starke, unsichtbare Hand ihnen die Masken, mit denen wir auf dem Carneval des Lebens unsere wahren Gesichter vor einander verhüllen, langsam, langsam abstreifte.
Aus dieser wunderlichen Lage erlöste sie der alte Baumann, der jetzt das närrische Kind der Champagne in seiner silbernen, mit Eis gefüllten Wiege herbeibrachte, und vor Oswald auf den Tisch stellte. Wie er es in den wenigen Minuten bewerkstelligen konnte, aus dem tiefen Keller und der nietennagelfesten Kiste das Gewünschte herbeizuschaffen, war eines der Räthsel, in die sich der gute alte Mann zu hüllen liebte, und die er für jedes sterbliche Auge undurchdringlich hielt. Mit kunstgerechter Hand die Flasche entkorkend, füllte er den perlenden Wein in die langen zierlichen Kelche, die er vom Büffet genommen, und[108] schaute, wohlgefällig lächelnd, zu, wie seine Herrin fast gierig den süßen Trank schlürfte und ihm das geleerte Glas hinhaltend rief: Encore, Baumann! und schenke Er sich auch ein Glas ein und trinke Er es auf das Wohl unseres Gastes!
Der alte Diener that, wie ihm geheißen; füllte sich am Büffet ein Glas, und dann, auf zwei Schritt an den Tisch herantretend, rief er:
Zuerst auf Ihr Wohl, gnädige Frau! denn das geht mir doch über Alles. Und möge der liebe Gott Ihre Augen allezeit so fröhlich blicken lassen, wie zu die ser Stunde! Und sodann auf Ihr Wohl, junger Herr! und möge der Himmel Ihren Eingang in dies Haus gesegnen, daß nichts als Frieden und Freude daraus komme. Und das wünscht Ihnen der alte Baumann!
So sprach er und leerte langsam das Glas, den Kopf zurückbiegend, bis sein Auge auf den bausbackigen Engelskopf in der Stuckatur der Decke gerade über seinem Scheitel traf; und das geleerte Glas dann wieder auf das Büffet setzend, trat er an's Fenster, dem Paar am Tisch den Rücken zuwendend, wie um die Unterhaltung nicht weiter zu stören.
Die Gegenwart des alten Dieners und der belebende Wein hatten ihre Zungen wieder gelöst und ihre Blicke kühner gemacht. Sie schwatzten, scheinbar unbefangen, über allerlei gleichgültige Dinge, bis Oswald Melitta an ihr Versprechen, ihn noch heute nach dem Häuschen im Walde zu führen, erinnerte.
Habe ich Ihnen das versprochen? sagte Melitta. Nun so muß ich es auch wohl thun, obgleich es mir beinahe jetzt leid ist, denn Sie glauben nicht an meine Heilige und sind deshalb nicht würdig, ihre Kapelle zu betreten.
Ihre Heilige?
Die hohe Frau von Milo. Ich muß Ihnen jetzt auch nur erzählen, wie weit meine Schwärmerei für die Göttliche ging. Nach meiner Rückkehr verfolgte mich die Erinnerung an das schöne Bild im Louvre so, daß ich nicht ruhte, bis ich mir von Paris mit nicht geringen Kosten eine ausgezeichnete Copie verschafft[109] hatte. Weil ich aber nicht wagte, meine Heilige hier im Hause aufzustellen, brachte ich sie nach dem Häuschen im Walde, das so meine Waldkapelle wurde, zu der ich jedes Mal, wenn Besuch in Berkow ist, den Schlüssel verloren habe; und wo ich oft ganze Tage und Nächte zubringe, wenn die dummen Menschen mich einmal mehr als gewöhnlich geärgert haben, und ich, da ich keine Gesellschaft haben kann, wie ich sie wünsche, wenigstens ganz einsam sein will.
Und da machen Sie dann mit dem Harfner im Wilhelm Meister die traurige Erfahrung, daß, wer sich der Einsamkeit ergiebt, bald allein ist; aber Ihnen hätte ich solche hypochondrische Grillen am wenigsten zugetraut.
Warum nicht mir?
Weil Sie so gut und so heiter blicken – blicken können.
Und wissen Sie nicht, daß gerade die heitern Augen am leichtesten weinen?
Ich möchte Sie um Alles in der Welt nicht weinen sehen; ich glaube, das könnte mir das Leben auf immerdar verleiden.
Und wieder ruhten ihre Blicke in einander, und ihre Seelen küßten sich.
Nun denn, so kommen Sie! sagte Melitta.
Es zieht ein Gewitter herauf, bemerkte der alte Baumann vom Fenster her, ohne sich umzuwenden.
Bis es herauf ist, sind wir längst drüben, sagte Melitta, die sich schon erhoben hatte. Und wenn Sie sich vor einem Gewitter nicht mehr fürchten, als ich – oder fürchten Sie sich vor einem Gewitter? –
Oswald lächelte.
So soll uns das wahrlich nicht abhalten. Uebrigens sehe ich vom Gewitter keine Spur; sagte sie schon an der Thür des Gartensaales.
In diesem Augenblick zog ein blauer Schatten über den Garten, und eine Schaar Schwalben schoß zirpend und schreiend dicht über die Erde streifend, an der Thür vorbei.
Wollen wir doch lieber bleiben? sagte Melitta, die schon den Fuß über die Schwelle gesetzt hatte, zu Oswald zurückgewandt.[110]
Ich fürchte mich nicht vor dem Gewitter, antwortete Oswald, nicht nach dem Himmel, sondern in ihre Augen blickend.
Und im Walde ist es gerade am schönsten im Sturm und Gewitter! rief Melitta. Adieu Baumann! Wenn der Wagen von Grenwitz kommt, schicke Er ihn nach der Försterei. Der Kutscher soll sich im Waldhäuschen melden. Baumann schaute den Enteilenden nach, bis Melitta's weißes Kleid zwischen den Büschen verschwunden war.
Wer ihn so auf der Schwelle des Hauses stehen sah, den alten, hohen Mann mit dem weißen Bart und dem narbenvollen Gesicht, die noch immer starken Arme über der treuen Brust verschränkt und die klugen, treuen Augen nachdenklich in die Ferne gerichtet – der mochte wohl denken, daß ein besserer Wächter nicht könnte gefunden werden. Aber ach! das Haus war leer; die geliebte Herrin war davon geeilt, hinein in den gewitterschwülen Abend mit dem Fremden, dem Manne, den sie seit gestern kannte. Und er, der treue Diener, seufzte tief, während er mit gesenktem Haupte durch den Saal in das Eßzimmer zurückschritt und langsam den Tisch aufzuräumen begann. Die guten Gottesgaben kaum berührt, murmelte er, das gefällt mir nicht. Wenn junges Volk keinen Hunger im Magen hat, hat es Narrenspossen im Kopf. Und an dem Wein haben sie auch nur genippt. Da steht die Flasche noch halb voll – und morgen ist er nicht mehr zu trinken ... morgen ... Der alte Mann setzte sich an den Tisch und stützte sein sorgenvolles, graues Haupt auf die runzlige Hand. Aber an Morgen denkt das junge Volk nicht. Morgen ist der junge Mann mit seiner weichen Stimme und seinen großen blauen Augen wieder in Grenwitz, und wer weiß, wo er übermorgen ist. Aber der alte Baumann ist hier – morgen und übermorgen; und wenn die Gäste fort sind, sieht das Haus ganz anders aus, und beim Auskehren da findet es sich ... Ja, ja, der alte Baumann sieht, was die Andern nicht sehen, und hört, was die Andern nicht hören. – Ach, Baumann, ich wollte, ich wäre todt! ach, Baumann, warum hat Er mich damals aus dem Feuer getragen! – Jetzt sagt sie: ich fürchte mich nicht vor dem Gewitter[111] und: schicke Er uns nur den Wagen nach, Baumann! Hm, hm! ich hätte es eigentlich nicht zugeben sollen; ich hätte sie bei Seite nehmen sollen und zu ihr sagen: Höre Kind, so und so! denke an das und das! ... Aber wenn ich die Kleine so glücklich sehe, so fröhlich, wie damals, als ich sie zuerst auf dem Pony reiten sah, ein zwölfjähriges Ding, und sie sagte: bitte, bitte, lieber Baumann, nun laß Er uns einmal ordentlich jagen, da konnte ich auch nicht nein sagen, und fort ging es, was die Thiere laufen wollten. Gerade so große, strahlende Augen hatte sie heute Abend wieder und gerade so rosig und frisch sah sie wieder aus. Das arme, arme Kind ... Ja so, du wolltest ja nachsehen, ob oben die Fenster alle ordentlich schließen, es ist von wegen des Gewitters.
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