Vierzehntes Kapitel

[130] Als Albrecht eine Viertelstunde später mit Luckow und ein paar andern »Künstlern« in die überfüllten vorderen Gesellschaftsräume trat, kam alsbald der Wirt des Hauses auf ihn zu mit ausgestreckter Hand:

Lieber Herr Professor, Sie haben meine Frau und mich zu so großer Dankbarkeit verpflichtet! Wir sind ja ganz beschämt. Welcher Welt von Arbeit haben Sie sich unseretwillen entzogen! Aber wie herrlich ist auch alles gelungen! Nun müssen Sie zuerst mit zu meiner Frau und sich ihren Dank holen.

Albrecht wollte abwehren; der liebenswürdige Mann ließ ihn kaum zu Worte kommen und zog ihn mit sich durch die Menge fort in das nächste Gemach, wo sie die Frau Direktor fanden im Gespräch mit einem hochgewachsenen, sehr eleganten, ordengeschmückten Herrn, in welchem Albrecht, nicht ohne eine gelinde Empfindung von Schrecken, den General-Intendanten der königlichen Schauspiele erkannte. Die gütige Frau hatte ihren ehrlich gemeinten Dank hergesagt, um dann sofort von ihren anderweitigen wirtlichen Pflichten in Anspruch genommen zu werden, nicht ohne vorher »unsern trefflichen Hausdichter« Seiner Excellenz vorgestellt zu haben.[130]

Excellenz hatte dem Vorgestellten höflich seine schlanke Hand gereicht.

Ich habe auch ein Haus, an welchem der treffliche Dichter wohl schon einmal hätte anklopfen sollen, sagte er mit verbindlichem Lächeln.

Ich that es – bereits vor zwei Jahren, erwiderte Albrecht mit schneller Entschlossenheit. Es wurde mir leider nicht aufgethan.

O! sagte Excellenz; ich erinnere mich nicht.

Ein so unbedeutender Fall wird schwerlich zur Kognition von Excellenz gelangt sein.

Um was handelte es sich?

Albrecht berichtete in kurzen Worten, daß er vor zwei Jahren ein historisches fünfaktiges Trauerspiel eingereicht, aber mit dem Bescheid zurückerhalten habe, man glaube es zur Aufführung bringen zu können, falls sich der Verfasser entschlösse, gewisse, näher bezeichnete Änderungen vorzunehmen. Er habe diese Änderungen vorgenommen; harre aber seitdem, seit anderthalb Jahren – vergebens auf Antwort.

Das thut mir ja recht leid, sagte Excellenz. Indessen, meine Herren sind wirklich über die Maßen beschäftigt – die vielen eingesandten Manuskripte – man macht sich draußen davon gar keine Vorstellung – und dann ein Trauerspiel – ein historisches – fünfaktiges – das ruft so viele Bedenken wach – schon was den Inhalt betrifft – und nun erst das D'rum und D'ran – neue Coulissen, – neue Kostüme sehr wahrscheinlich – eine große Komparserie jedenfalls – warum haben Sie es nicht mit den allerliebsten Sächelchen von heute abend versucht?[131]

Ich habe es nicht gewagt, Excellenz.

Sehr mit Unrecht, mein Bester! Gerade so was will das Publikum – harmlos – ohne leidige Tendenz – dabei doch von kräftiger, drastischer Komik –

Excellenz sind zu gütig!

Ich habe wirklich ein paarmal herzlich lachen müssen – die Idee in dem ersten Stück mit dem geheimnisvollen Schrank – das ist sehr gut – ganz originell – auch die zweite Bluette – allerdings der Titel! – es schmeckt doch ein wenig nach Persiflage – der Polizeipräsident –

Vielleicht eine Änderung des Titels, Excellenz?

Würde allerdings zu überlegen sein. Und dann die beiden Offiziere in Uniform – hier im Privatkreise – als Söhne des Hauses – zum Wiegenfest des Vaters – à la bonne heure! Aber auf der königlichen Bühne – völlig unmöglich!

Wenn man fremdländische Uniformen nähme, Excellenz? Obgleich dann freilich der Humor –

Freilich, der Humor! Das ist wichtig – bin ein großer Freund von Humor. Nun, wir werden sehen. Jedenfalls bitte ich um die Manuskripte. Und – was ich sagen wollte- schicken Sie sei mir direkt – persönlich – es könnte sonst leicht wieder –

Wie Excellenz befehlen.

Also abgemacht! Hat mich sehr gut gefreut –

Albrecht war mit einem nochmaligen sanften Druck der schlanken Hand und obligatem verbindlichem Lächeln entlassen und hatte kaum seine Verbeugung gemacht, als der Direktor abermals eilig an ihn herantrat und ihm zuflüsterte:[132]

Muß Sie nun auch unserer Excellenz vom Kultus vorstellen. Er wünscht, Sie zu sprechen.

Die Unterredung mit der zweiten Excellenz war kürzer als die erste, aber für Albrecht nicht minder schmeichelhaft und erfreulich. Excellenz sah es gern, wenn die Herren neben ihren Berufsarbeiten, die freilich vorgingen, eine freie Stunde für die Musen erübrigen könnten. Der schöne Bund von Dichtung und Gelehrsamkeit, wie er in der Goethe-Schiller-Zeit bestand und eifrig gepflegt wurde, sei freilich heute, wo eine konsequente Arbeitsteilung die conditio sine qua non, nicht länger aufrecht zu erhalten. Als Regel! Aber keine Regel – das wißt Ihr Schulmänner am besten – ohne Ausnahmen. Und ich für meinen Teil lasse die Ausnahmen gern gelten als eine freundliche Reminiscenz der klassischen Tage von Weimar und Jena. Sie, lieber Herr Professor, haben mich durch Wachrufen dieser Erinnerung heute abend zu Dank verpflichtet. Es soll mir lieb sein, wenn Sie mir Gelegenheit geben, diesen Dank durch die That zu beweisen.

So huldvoll verabschiedet, tauchte Albrecht wieder in das Gewühl zurück, das Herz geschwellt von einem Frohgefühl – er hätte hineinjauchzen mögen in diese geschminkte Maskerade der oberen Zehntausend, wie er es in der Einsamkeit seiner Berge als Junge gethan hatte, wenn die Welt hell sonnig um ihn wogte, unter ihm sich breitete. War er denn wirklich der arme Schulmeister von gestern, von heute vormittag noch, der sich in seiner Verzweiflung Odysee-Exemplar nicht an die hohlen Köpfe zu werfen! Aber »aus den Wolken muß es fallen, aus[133] der Götter Schoß das Glück!« Und spenden sie einmal, die Unsterblichen, so thun sie es mit vollen Händen: den Kuß von den süßen Lippen der angebeteten Frau! die Gunst und Huld der Mächtigen dieser Erde, die den Schlüssel führen zu der Halle des Ruhms! Liebe und Ruhm! die beiden höchsten Sterne, an denen der sehnsuchtsvolle Blick des Knaben schon gehangen! Nun nicht mehr unerreichbar in unermeßlicher Höhe! Als holde Genien niedergeschwebt zu ihm, die glänzenden Fittige um ihn breitend, die finstere Gruft zum lichten Wolkenbette wandelnd, auf dem er gehoben wurde aufwärts zum Olymp, fortan zu speisen mit den Seligen von Ambrosia und Nektar!

So flutete es in mächtigen Wogen durch seine Seele, während er mit unzähligen Menschen sprach, Herren und Damen, die er nicht kannte, die ihm auch völlig gleichgültig waren, und die er doch, wie sie sich um ihn drängten und ihm huldigten, mit geistreichen Worten und Erwiderungen zu bezaubern nicht verschmähte. Mein Gott, ein Alexander auf seinem Eroberungszug, er annektiert auch die dürren Provinzen, steht ein königliches Herz gleich nach Indien mit seinen Lotosblumen und Palmenwäldern! Wie mein Herz nach dir, du Königin der Frauen! nach dem Moment, wo wir uns wieder Aug' in Auge blicken dürfen!

Er konnte sie nicht entdecken, so gierig seine Blicke auch in der wühlenden Menge nach ihr spähten. Aber das würde ja nicht lange mehr währen. Der Moment, wo man zu Tisch ging, mußte sie wieder vereinigen. Fräulein Stephanie hatte durch ihre Adjutanten herumsagen lassen, daß die »Künstler« auf dem Schauplatz[134] ihrer Triumphe eine besondere Tafel bereit finden sollten. Sich von der erlauchten Runde auszuschließen, sei bei Strafe ihrer allerhöchsten Ungnade verboten.

Albrecht wußte: Klotilde würde sich nicht ausschließen.

Wie sie überzeugt war, daß er kommen würde.

In einem der anderen Gemächer, von einer dichten Schar Herren in Uniform und Civil umgeben, war sie inzwischen der Gegenstand ausschweifender Huldigungen gewesen. Hundertmal hatte sie zu hören bekommen, daß sie großartig, superb, magnifique gespielt habe, von ihrer Erscheinung, der kein Ausdruck gerecht werden könne, zu schweigen. Die Bernhardt und die Duse! Kunststück, wenn man jeden Abend, den Gott werden ließe, auf den Brettern stände! Aber so – aus dem Stegreif – aus dem Handgelenk – es sei einfach stupend!

Lächerliche Übertreibung! niemand wußte das besser als sie selbst, die beide große Künstlerinnen wiederholt gesehen und, nicht ohne ein starkes Gefühl des Neides, bewundert hatte. Aber sie war in der Stimmung, auch größeren Unsinn zu goutieren. Und dann fragte es sich noch sehr, ob die Theaterdamen auf dem Parkett des Salons das leisten könnten, was sie unter anderm heute abend fertig gebracht. Endlich einmal in der Welt, in der man sich langweilt, ein pikantes Abenteuer! Und das sie sich ganz allein verdankte! Der schüchterne Mensch! Wie lange sie wohl hätte warten müssen, bis er sich den Mut faßte! Und die Keckheit, mit der sie es ausgeführt! Ein Stück Tapete, das bloß umzufallen brauchte, und sie hielt vor aller Welt den heimlich Geliebten in den Armen! Es war unglaublich lächerlich![135]

Und Klotilde lachte und scherzte, tollte und neckte sich mit den jungen Herren und wünschte von Elimar, der eben herangetreten war, zu wissen, weshalb er unter all den fröhlichen Leuten ein so ernstes Gesicht mache wie der steinerne Gast im Don Juan?

Thue ich das? sagte Elimar. Es wäre freilich das möglichst Unpassende von einem, der mit der großen Bitte kommt, Sie zu Tisch führen zu dürfen.

Lieber Freund, da kommen Sie freilich zu spät, rief Klotilde. Ich habe meine arme Seele bereits unserm Dichter verschrieben; besser verschreiben müssen – auf Stephanies Befehl.

Das thut mir aufrichtig leid, sagte Elimar. Ich wäre für Sie ein gewiß weniger geistreicher, aber, ich glaube, weniger gefährlicher Nachbar gewesen.

Sie waren so weit von den andern weggetreten, daß es als ein Gespräch unter vier Augen gelten konnte.

Jetzt sich nichts merken lassen, sagte Klotilde bei sich und erwiderte lachend:

Sehr freundschaftlich-ritterlich! Aber ich gebe Ihnen mein Wort: der Professor ist der letzte, der mir gefährlich werden würde.

Was ja nicht ausschließt, daß Sie es ihm bereits geworden sind.

Das große Unglück!

Noch ist es, denke ich, keins. Aber aus einem kleinen Brande entwickelt sich leicht ein großer. Liebe Klotilde, ich will ohne Umschweif sprechen. Was mir aufgefallen ist, kann auch andern aufgefallen sein, die es aus diesem oder jenem Grunde weniger ruhig neh men und entschuldbar finden als ich. Mir würde es leid, sehr leid thun,[136] sollten Ihnen daraus Ungelegenheiten erwachsen. Es ist eine undankbare Rolle, den treuen Eckart zu spielen – ich weiß es wohl. Aber um jemandes willen, den man aufrichtig lieb hat, übernimmt man auch einmal eine solche Rolle. Sollte ich Sie heute abend nicht wiedersehen, leben Sie wohl!

Aber Sie müssen ja mit an den Künstlertisch.

Meine Excellenz hat mir befohlen, wenn ich mich frei machen könnte, mich zu ihm zu setzen. Da ich nun frei bin –

Auf Klotildens Lippen schwebte das Wort: Elimar, führen Sie mich! Aber bereits hatte sich der Freund gewandt, und in demselben Augenblick kam Stephanie mit ihrer Schar, in der sich auch Albrecht befand, und rief:

Klotilde, wir haben keinen Augenblick zu verlieren. Sonst kommen wir durch das Gedränge nicht mehr zu unsern Plätzen![137]

Quelle:
Friedrich Spielhagen: Zum Zeitvertreib. Leipzig 1897, S. 130-138.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Grabbe, Christian Dietrich

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Herzog Theodor von Gothland. Eine Tragödie in fünf Akten

Den Bruderstreit der Herzöge von Gothland weiß der afrikanische Anführer der finnischen Armee intrigant auszunutzen und stürzt Gothland in ein blutrünstiges, grausam detailreich geschildertes Massaker. Grabbe besucht noch das Gymnasium als er die Arbeit an der fiktiven, historisierenden Tragödie aufnimmt. Die Uraufführung erlebt der Autor nicht, sie findet erst 65 Jahre nach seinem Tode statt.

244 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon