Zwölftes Kapitel.

[296] Hast du gethan, was nicht recht, so trage den Lohn mit Geduld,

Laß' vom verdienten Geschick nicht allzutief Dich beugen:

Willst Du die zürnende Welt von Reue überzeugen,

Wähle die Mittel nur gut, sonst mehrst Du die vorige Schuld.

Anonymus.


»Was bringt Ihr mir, würdiger Vater!« sprach Frau Margarethe Frosch, da sie den Beichtvater Reinhold bei sich eintreten sah, und eilte ihm hoffend entgegen: »O sagt, – sagt, mein guter Herr, bringt[296] Ihr Leben oder Tod?« – Der Mönch machte das Zeichen des Kreuzes auf die Stirne der angstvoll Harrenden, und entgegnete: »Liebe Schwester im Heiland! die Kirche und ihr Diener bringen nie den Tod, so lange ein gläubiges Vertrauen in sie gesetzt wird; wohl aber immer das wahre Leben durch den himmlischen Trost, wenn auch der beschränkte Menschenverstand dagegen ankämpft. Auf Euren Gatten, liebe Frau, hofft indessen nicht mehr. Er ist hart wie ein Fels, und will weder durch Eure Bitten, noch durch meinen Zuspruch, der Rührung Eingang verschaffen. Es haben sich böse Mächte seiner angenommen, die sein Ohr verstopfen, und seine Sinne umnebeln; darum gieng ich auch nicht zum Äussersten, und habe ihm nichts entdeckt, was seine Wuth noch hätte reizen können.« – »Er weiß also nicht?« fragte Margarethe mit langem Athemzuge, »er weiß nicht, und zürnt mir dennoch unversöhnlich?« – »Schwerer Verdacht;« versetzte der Mönch achselzuckend: »Sein Sohn Dagobert scheint ihm der Räuber seiner Ehre zu seyn, und sein Sohn Johannes eine Frucht unziemlichen Verständnisses.« – »So ist es denn nun herausgesagt, was ich ahnte?« klagte Margarethe mit hervorquellenden Thränen: »und dennoch, bin ich unschuldig, unschuldig, wie die Sonne!« – »Allerdings;« stimmte Reinhold bei, »ohne Zweifel, ob ihr gleich den jungen Mann geliebt, wie niemand besser wissen kann, denn ich. Ihr habt Euch männlich herausgerissen aus den Schlingen, in die Euch der Satan verstricken wollte; eifrig habt Ihr Buße gesucht, und darum sie auch gefunden.«[297] – »Und dennoch also verkannt?« fiel Margarethe ein. – »Nehmt dieses hin als eine Strafe für den Fehl, den Ihr begangen;« erinnerte Reinhold: »Daß Ihr, wie ich aus Eurer Beichte weiß, einen fremden Knaben statt des Euern verstorbenen eingepflanzt, wäre nichts, denn, was wir nicht wissen, ist nichts, und ein glücklicher Wahn ist besser, denn eine bittere Wahrheit; allein die Mittel zu dem Zwecke waren nicht gut, sondern verdammlich gewählt. Einen Juden zum Vertrauten zu machen, ... eine Kreatur, weit verabscheuungswürdiger, denn die schwarzen Heiden im Lande Afrika, die doch nur halbe Menschen seyn sollen ... o! das wird Euch böse Früchte tragen. Mich befremdets, daß Euer Name nicht schon vor dem Richterstuhl genannt worden ist, und Gott hat mir noch nicht den Ausweg gezeigt, der endlich diesem Wirrsal ein Ende machen werde.« – »Sollte Wahrheit nicht die beste Wahl seyn?« fragte Margarethe kühn entschlossen: »Sollte es mir nicht den Frieden wiedergeben, wenn ich hinträte und offen eingestünde, was ich gethan?« – Der Pater schüttelte bedenklich den Kopf. »Ein altes Sprichwort ist's,« sagte er, »daß man den schlafenden Wolf nicht wecke. Ist einmal der Pfeil vom Bogen, dann halte ihn auf, wer kann. Nicht doch. Ihr würdet Euch vielleicht unnöthig der Schande preis geben, während jetzt nur ein Verdacht Euch belastet. Was ist ein Verdacht, wenn man sich unschuldig fühlt? Eine giftberaubte Schlange zu unsern Füßen. Hundert Frauen tragen ja geduldig den gegründeten Verdacht. Daß sie die Treue nicht bewahrten, ihre Stiefsöhne[298] küßten, immerhin! Aber mit einem Juden solchen Menschenhandel getrieben zu haben. – Das würde keine von sich sagen lassen wollen. Zudem, wo ist die Gewißheit, daß Johannes das Kind sey, das der Jude ermordet haben soll? Ist's unwahrscheinlich, daß der Bösewicht ein ander Kind gemartert habe? Noch hat er nicht geplaudert, und übermorgen wird sein und seines Vaters Urtheil gesprochen. Könnte er mit dem Geständniß seinen Hals retten, – sicher hätte er's nicht unterlassen. Ich werde übrigens das Nähere morgen wissen, denn ich will versuchen, ob's möglich wäre, diese heidnischen Blutzapfer vor ihrem gräßlichen Ende zu bekehren.« – »Ihr verwerft also ein offen reuiges Bekenntniß?« fragte Margarethe noch einmal. – »Gott und seiner Kirche ist man verbunden, Alles zu entdecken und aufzuthun die geheimsten Falten des Herzens;« erwiederte Reinhold kalt; »das Laienvolk braucht nicht Alles zu wissen. Einen einzigen Mann kenne ich, bei welchem Euer Bekenntniß Nutzen bringen möchte; indem sein Schutz und Schirm Euch aus der peinlichen Lage reißen würde, in die Euch der Argwohn Diethers versetzt hat. Ich meine den Schultheiß. Der Ritter hat längst nach Eurer Gunst gestrebt. Mit Begierde wird er die Gelegenheit ergreifen, sie zu verdienen. Ein Wort von Euch, und die gefährlichen Juden sterben plötzlich dahin, der Schöff wird beschwichtigt oder zur Ruhe gezwungen, und Johannes bleibt, was er seyn soll, Euer Erbe.«

»Nimmermehr!« entgegnete Margarethe unwillig: »Aus Eurem Munde diesen Rath? Nein; ich[299] habe nicht Lust wirklich zu werden, wofür mein Eheherr mich hält.« – »Wie ihr meynt;« sprach Reinhold gelassen: »ich preise Eure Tugend, welche verwirft, was Tausende thun würden, um die Möglichkeit zu vermeiden, vor der Welt ein Ärgerniß zu geben. Ihr seyd aber nicht wie Andere, obwohl auch aus heiligen Büchern Beispiele anzuführen wären, daß selbst die frömmsten Weiber sich nicht scheuten, dem besten Zwecke manche Bedenklichkeit zu opfern. Denkt an Judith, die dem wilden Holofernes sich überließ ...« – »Schweigt, würdiger Herr!« bat Margarethe: »Ich vermag nicht, was Ihr jetzo begehrt. Laßt es daher beruhen, und sprecht mir von Derjenigen, die noch ferner um das Geheimniß weiß; ... von Willhild.« »Ich weiß nichts von ihr und ihr Schweigen macht mir bange.« – »Ich kann Euch beruhigen,« antwortete der Mönch: »Ich habe mich befragt. Willhild und ihr Mann sind vor wenigen Tagen gen Compostell gezogen, auf eine Wallfahrt. Besorgt nichts von ihnen. Der Mann ist blödsinnig zu nennen, und die Frau, die vor Kurzem erst sehr krank gewesen, kömmt sicher aus Hispania nicht wieder heim.« – »Ich hätte nimmer geglaubt, daß die Hoffnung auf eines Menschen Tod mich beruhigen könnte;« versetzte athemholend Margarethe. – »O die Hoffnung ist immer süß,« sagte der Pater, »wenn sie sich auch auf Gräber richtet, die sich erst öffnen sollen. Haben den Juden die Flammen erstickt, die unzuverläßige Willhild die Mühseligkeiten der Wallfahrt hinweggerafft ... wie lange dauert's, und sie tragen einen alten Schöffen[300] zur Gruft? Dann fallen Eure Fesseln; dann feiert Ihr schon hienieden die Auferstehung.« – »Ach, hochwürdiger Herr!« seufzte Margarethe: »Gehe es mit mir, wie es wolle; aber dieser Augenblick bleibe fern. Kann ich den Greis auch nicht lieben, wie eine Braut den gefälligen Bräutigam, so ehre ich doch sein graues Haupt, und bin ihm dankbar, daß er mein dürftiges Leben mit Überfluß gekrönt hat.« – »Hm!« entgegnete Reinhold: »Jedem das Seine. Der reiche Prasser kann zwar, sitzt er im Schwefelpfuhle der Hölle mit all seinem Golde nicht einen Tropfen Wasser erkaufen, aber hienieden steht ihm die schönste Blume zu gebot, daß sie an seiner kalten Brust verwelke. Hat Diether Euer Leben mit Überfluß gekrönt, so krönt er es jetzt mit unverdienter Schmach. Ihr seyd im Vortheil gegen ihn, und Er muß Euch dankbar seyn für die edle Gesinnung, die ihr für ihn hegt. Der alte Mann ist derselben nicht würdig, da er beinahe unverholen ahnen läßt, er schreibe Euch jenen Mordüberfall zu, und versehe sich eines Zweiten, wenn nicht seine Klugheit vorbaue.« – »Schrecklich!« rief Margarethe empört: »Die Schlange erneut sich stets in seiner Brust. Er fürchtet einen Meuchelmord von seiner Gattin!« – »Noch mehr,« versetzte der Mönch: »er achtet ihn ganz nahe. Heute just, fürchtet er, lauern Mörder auf sein Leben; Mörder von Euch gedungen und Eurem Bruder, vielleicht von Dagobert, wie der Argwöhnische sich nicht schämt, zu glauben. Ein Unbekannter hat ihm gemeldet, daß er erfahren würde, wo Wallrade hingekommen, wenn er in der heutigen Nacht, mit[301] Geld versehen, am Bannsteine von Bergen, das Sprünglin genannt, erscheinen wolle. Diese Nachricht hält er von Euch erdichtet, und wittert Verrath, und wird nicht gehen, niemand senden.« – »Am Sprünglin? sagt Ihr?« fragte Margarethe neugierig. »So ist's,« antwortete Reinhold: »Ich, an seiner Statt, würde doch Jemand hinaussenden; denn ich traue eher dem, der um Geldes willen mir ein Ding zu verrathen verheißt, als der reinen Menschenliebe wegen. Indessen, Euch kann's gleichviel seyn. Wallrade mag Euch nie zu lange aussen bleiben; wohl aber der gute Dagobert, dessen keckes Handeln Euch und Eurer Sache nur Vortheil gewähren kann. Nicht wahr?« –

Margarethe schlug die Augen vor den forschenden des Paters nieder, welcher nach einer Pause fortfuhr: »Wie ich vernommen, hat der junge Mann sich von der Kirche, welcher er verlobt gewesen, lösen lassen. Meines Bedünkens hat er übel daran gethan, und sogar sein hochmüthiger Lehrer, der Predigermönch Johann, der, wie alle seines Ordens, dem unsrigen nicht hold ist, weil er am Evangelium reiner hängt, denn alle Andern, muß mir Recht geben. Wäre der Junkherr Priester geworden, es wäre ihm nicht geschehen, was seit heute Morgen das Gerede der ganzen Stadt ist.« – »Um Gotteswillen!« sprach Margarethe ängstlich: »Was ist ihm geschehen? welch Unheil? redet.« – »Ihr wißt nicht?« fragte Reinhold entgegen: »Da sieht man wohl, wie sehr Recht das Lied hat, welches sagt: Jenseits bin ich wohl bekannt, – Fremdling doch im eignen Land![302] Daß Eure Zofen aus Schonung Euch's verschwiegen haben, gebe ich zu, – aber der Rachbegierde Eures Eheherrn hätt' ich das Schweigen nicht zugetraut. – Heute morgen hat Euer Knecht Eitel, als er des Hauses Thüre öffnete, ein Pergament daran geheftet gefunden, und die drei Späne, die aus der Pforte gehauen worden waren, entdeckten dem des Lesens Unkundigen gleich das Wahre, wie auch dem Pöbel, der schon lange gaffend vor dem Hause stand. Eine Ladung der heimlichen Acht ist es, gerichtet an den Junkherrn Dagobert Frosch, welcher auf den nächsten Dienstag vorgefordert wird vor den Stuhl zu Sachsenhausen, um sich zu verantworten über schwere Missethaten, deren er angeklagt worden.« –

»Heiliger Gott!« stammelte Margarethe: »die heimliche beschlossene Acht? armer Dagobert! welch' ein Teufel hat Dich vor diese Schranken gefordet, wo der Kläger nur Recht erhält? Hochwürdiger Herr! Um meinetwillen, – o gewiß, um meinetwillen ist er in diese Verderbniß gerathen! Wie soll ich mir jetzt rathen, ...: wie soll ich mir helfen?« – Der Mönch zuckte die Achseln, verwies die Klagende auf den Willen Gottes, und auf das eigne Schweigen, und begab sich mit dem Versprechen hinweg, bald wieder einzusprechen, und ihr sogleich zu wissen zu machen, wann der gefangene Jude ein gefährliches Geständniß besorgen lassen sollte.

Eine unsägliche Angst bemächtigte sich Margarethens, da sie wieder allein war, und in ihrem erschütterten Geiste Alles zusammenstellte, was sich in den letzten Tagen zugetragen, und ihr Schicksal auf[303] solch entsetzliche Weise verwirrt hatte. Ihres Fehls bewußt, drängte es sie, etwas zu unternehmen, wodurch sie die Schuld ihres Gewissens in etwas zum mindesten zu sühnen vermöchte, und dieses Etwas wurde, trotz seiner gefährlichen Abenteuerlichkeit, bald in ihr zum festen Entschluß. »Ich will ihn zwingen, wenigstens nicht das ärgste von mir zu glauben,« sprach sie zu sich selbst; »nicht die Bosheit, Wallraden aus dem Wege geschafft, noch die größre, Mörder gegen sein Leben aufgestellt zu haben. Ist es Gottes Wille, daß ich in meinem Vornehmen umkomme, so sey es darum; – wo nicht, so sey der Engel gepriesen, der mir diesen Weg gezeigt, wieder etwas in der heillosen Verwirrung gut machen zu können, worein meine leichtsinnige Verblendung mein Haus gestürzt hat.« – Sie sammelte mit zitternder Hand die Kleinodien und den kleinen Schatz von Denkmünzen und seltnen Goldpfennigen, die sie der Freigebigkeit ihres Gatten verdankte, und wählte aus ihrem Kleiderschreine einen dichten, weitverhüllenden Regenmantel, welcher ihr zu ihrem Vorhaben geeignet schien. Hierauf sagte sie zu Elsen, die sich mit dem kleinen Johannes bei ihr eingefunden hatte: »Gute Dirne! Du hast schon viele Heftigkeit von mir ertragen und meinem aufbrausenden Zorn stille Geduld entgegengesetzt. Nun, da ein böses Geschick mir die Augen geöffnet, und mir selbst Duldung zur Pflicht gemacht hat, danke ich Dir für Deine Nachgiebigkeit, welche immer mit der seltensten Treue gepaart war. Du hast treu bei mir ausgehalten, seit mich ein widriges Gestirn in die Tiefe des häuslichen Unglücks versenkte; nicht[304] Dein Mund, nicht ein Blick von Dir hat mich fühlen lassen, wie sehr die Gegenwart meine Vergangenheit in Schatten stellt. Empfange dafür meinen herzlichsten Dank, und gib mir Gelegenheit, Dir eine noch wärmere Dankbarkeit widmen zu können. Willst Du, meine gute Else?« – Die Zofe staunte bei dieser ungewohnten und aufrichtigen Sanftmuth ihrer Herrin, und versicherte sie ihrer Bereitwilligkeit. – »Entsinnst Du Dich noch des Traums, den ich Dir vor manchen Monden erzählte?« fuhr Margarethe fort! »Ich spottete damals Deiner finstern Ahnung, obwohl mir der Spott nicht von Herzen ging. Nun aber erwahrt sich das Gebilde jener Nacht auf eine furchtbare Weise. Aus der Zeit ist eine Schlange erwachsen, aus Allem dem, was ich für das Theuerste achtete, ist ein Ungeheuer entsprungen, das mir das Herz abfrißt. Ich weiß, um diese Schrecken zu mildern, nur einen Ausweg, und diesen zu ergreifen, sollst Du mir behülflich seyn.« – Else küßte der Gebieterin Hand, und fragte unter Thränen: »Was soll ich thun, ehrsame Frau, das Euch genehm wäre, und das Mittel darböte, den Frieden in Euer Haus und Herz zurückzubringen? Wenn eine schwache Magd vollbringen kann, was Ihr begehrt, so zählt auf mich.« – »Ich muß fort;« sprach Margarethe mit gedämpften Tone weiter: »noch in dieser Nacht muß ich fort. Begünstige diesen Vorsatz; hilf mir hinaus aus diesem Gebäude, wo mich Kummer und Angst tödtet.« – »Fort?« fragte Else erstaunt: »Fort? Ei, um unsrer lieben Frauen willen? was wollt Ihr beginnen? Wollt Ihr Euern Herrn verlassen, und[305] Euern guten Leumund zu Grunde richten? oder wollt Ihr Euch ein Leides anthun? Ach, liebe Meisterin, unterlaßt doch dieses Vornehmen! Ihr seyd jung, Ihr seyd Mutter und Hausfrau. Verzweifelt nicht an der Barmherzigkeit, die Allen hilft. Ist der Kummer unverschuldet, der Euch drückt, ... und wie könnte es anders seyn? ... so wird er Euch nicht tödten, und der Allmächtige Euch nicht umkommen lassen. Die Wahrheit muß ja doch endlich an's Tageslicht kommen, und Eure Feinde verderben. Man lebt nur einmal, gute Frau, und was helfen Euch alle Ehrenkronen auf Euerm Grabe, so bald Ihr die Augen nicht wieder aufthun könntet.« – »Nicht doch;« versetzte Margarethe mit schmeichelnder Überredung: »Gutes Kind, Du irrst. Ich will weder flüchtig gehen, noch mir das Leben nehmen, und, wenn die Sterne mir günstig sind, bin ich morgen bei guter Zeit wieder zurück. Sollte ich jedoch nimmer wiederkehren, so sage meinem Herrn, daß er von Deiner Mutter erfahren würde, wohin ich gegangen, und wie mein letzter Gruß an ihn gelautet. Du aber bete dann für meine Seele, Mädchen!« – »Ihr wollt mich beruhigen, ehrsame Frau;« begann Else nach einer kleinen Weile, in welcher sie die Gebieterin stumm betrachtet: »und dennoch mehrt sich meine Angst. Wohin wollt Ihr gehen, daß Ihr vielleicht nimmer lebendig wiederkehren dürftet. O, liebe Frau, denkt an Euern Knaben!« – Sie führte den wehmüthig die Hände faltenden Johannes zu Margarethen. Die Altbürgerin betrachtete den Knaben kummervoll, legte die Hand auf seinen Kopf, und sagte:[306] »Armer Junge! Du bist die Quelle des Unheils, das uns betroffen, und doch unschuldiger, als wir Alle! Traue auf Gott, und er wird wohl an Dir machen, was Menschensinn verdarb. Du wirst, wie auch Dein Geschick sich wende, an Herrn Diether einen Vater finden.« – »Das walte Gott!« seufzte das Mädchen: »Was wird aber der rauhe, argwöhnische Herr an dem Knaben thun, da Ihr, die Mutter, so kalt von ihm scheidet?« – »Du schiltst mein Mutterherz?« fragte Margarethe heftig, und ihr Auge suchte weinend am dämmernden Himmel den Wohnsitz des verblichnen Sohns. Sie faßte sich jedoch bald wieder, und fuhr gelaßner fort: »Die Nacht bricht ein, mein Kind. Laß mich nicht vergebens bitten. Bleibe mir treu; ich fordre es vielleicht zum Letztenmale von Dir. Berichte mir, wenn Herr Diether heut Abend das Haus verläßt, und öffne mir alsdann die Thür, wenn Du's vermagst. Ich selbst habe die Schlüssel des Hauses nicht mehr, da sie mein Herr mir abfordern ließ, allein ich denke ...« – »Gute Frau,« fiel Else ein: »ich habe Mitleid mit Euch. Herrgott! so jung, so schön und reich zu seyn, und doch nicht glücklich! Das kann uns armen Leuten nicht recht zu Sinne gehen, wenn wir nicht in Herrendiensten sind. Ich sehe es aber hier deutlich, und will gerne die Hand zu einem Schritte bieten, von welchem, wie Ihr sagt, meine wackre Mutter weiß. Aber Ihr vergeßt, daß der ehrsame Herr, so oft er Abends das Haus verläßt, die Thüre sperrt. Wie wird es möglich seyn, zu entweichen, wenn es auch geschehen könnte, daß keine Magd und kein[307] Knecht Euch sähe?« – »Welch ein Hinderniß!« klagte Margarethe: »und heute, gerade heute muß ich fort! Sinne nach, kluge Dirne, sinne nach, und hilf. Schon steigt der neue Mond herauf am Himmel; wir haben nicht lange Zeit zu verlieren, denn weit ist der Weg, den ich unternehme.« – »Es wird mir schauerlich zu Muthe,« erwiederte Else, »hör' ich Euch also sprechen. Ihr werdet doch nicht zu einer Hexenfrau gehen, um Euch die Zukunft deuten zu lassen durch verbotnen Zauber? Gute Frau, ... das thut nimmer gut, nicht hier, nicht jenseits über den Himmeln.« – »Schwätzerin!« schalt Margarethe halb scherzhaft, ihr auf die Wange klopfend: »Vergissest Du, daß Deine Mutter um die Sache wissen wird, und daß sie eine allzufromme Christin ist, um sich mit Hexenwerken einzulassen? Sey ruhig, und öffne mir einen Weg aus dem Hause. Höre aber vorerst, was das Geräusch bedeutet, das ich in den Gängen vernehme.« – Die Zofe ging hinaus, um nach dem Willen der Gebieterin zu thun. Der kleine Johannes näherte sich aber der in Trübsinn versinkenden Frau; faltete nochmals seine Händchen, und sprach: »Lieb Mütterlein! Du kommst doch wieder? Du lässest mich doch nicht allein bei dem finstern Manne, der uns nicht mehr sehen nicht mehr hören will?« – »Ich komme wieder, Johannes!« versicherte Margarethe, seine Hand streichelnd: »und wenn ich auch nicht wieder käme, so verzage nicht. Du bist ja ein unschuldig Kind. Dir werden sie nichts zu Leide zu thun.« – »Ach, dem kleinen[308] Hans ist schon viel zu Leide gethan worden,« – klagte der Knabe: »die schwarze Mutter hat ihn viel geschlagen, und endlich gar verlassen. Und Du bist so eine freundliche Mutter, und wolltest auch von mir gehen?« – »Ei, Hans;« zürnte Margarethe leise: »Wie magst Du denn schon wieder an Deine Träume denken? Geträumt hat Dir von der schwarzen Mutter ... nichts weiter. Wie kömmt es denn, daß Du wieder an die Tollheiten kömmst?« – »Seit heute Nachmittag, lieb Mütterlein;« erklärte der Bube gesprächlicher: »Es muß am Ende doch wahr seyn, was ich geträumt habe. Else hat mich hinausgeführt auf die Gassen unter die andern Buben, und wir haben gespielt. Und da ich müde würde, und Else sich vor einem großen schönen Hause mit mir hinsetzte, mir das Hütlein abnahm, und den Schweiß abtrocknete, – ja, da hab' ich den Mann gesehen, der mich gefunden hat, da meine schwarze Mutter von mir gegangen war, und es ist just so vor mir gestanden, Alles, wie damals, als es mir geträumt hat, wie Du sagst.« – »Welchen Mann?« fragte Margarethe mit pochendem Herzen. – Der Knabe besann sich ein wenig; dann versetzte er: »ich habe bei ihm geschlafen, ... ganz gewiß, ... und bin auf seinem Knie geritten; ... ach Mütterlein! welch ein großer Schnauzbart; und den hat er noch.« – Ei, wo sahst Du ihn denn, Hans? – »Am Fenster stand er,« fuhr der Bube fort, »und ein schwarzer großer Herr neben ihm, und sie sahen mich auch lange an; der Mann hätte gewiß mit mir geredet, wenn er nicht im Hause gewesen wäre, und ich auf der Gasse.« –[309] »Gewiß,« versetzte Margarethe, leichter athmend: »daß er aber nicht zu Dir heraus kam, sey Dir ein Beweis, daß es doch nichts war, als ein Traum, was Du Dir einbildest; ein Traum, von dem zu reden ich Dir ernstlicher verbiete als jemals; hörst Du? Wenn Du haben willst, daß ich nicht mehr zurück komme, so magst Du thun, was ich verboten habe.« – »O, mein Mütterlein!« antwortete schmeichelnd der Bube: »Wieder kommen! nichts sagen, – gewiß nicht, herziges Mütterlein.« – Da trat Else wieder in die Stube. – »Ersame Frau,« sprach sie, auf den Zehen heranschleichend: »es ist, als ob ein Zauber Euern Ausgang begünstigen wollte: wir haben Besuch bekommen; der Bruder des Herrn, der Prälat aus Wälschland ist so eben im Hause eingekehrt, mit einem gar holdseligen Fräulein, das wohl seine Haushälterin oder eine Verwandte seyn mag. Der Herr Schöff ist überrascht auf seiner Stube ihnen entgegen gegangen, und hat die Gäste bewillkommt, und in den großen Gaden geführt. Darauf hat er dem Eitel befohlen, spanischen Wein heraufzubringen, und ein Nachtmahl anzuordnen, wie es in der Eile sich würde thun lassen. Das Gesinde ist in Küche und Keller beschäftigt, die Thüre ist offen, das Glück und die Nacht sind Euch günstig, wenn Ihr ferner bei Eurem Vornehmen beharrt.« – »Ob ich dabei beharre?« fragte Margarethe lebhaft: »Hartnäckiger denn zuvor. Den Prälaten, welcher Wallraden liebt, wie seinen Augapfel will ich nicht eher sehen, als bis ich etwas gethan, das unläugbar von meinem guten, aber schnöd verkannten Sinne zeugt.[310] Komm, Else, hilf mir, und Du, mein Junge, setze Dich dort in den Winkel, und weine nicht, und plaudre nicht. Ich werde wiederkommen, und Dir schöne Sachen mitbringen.« – Hans that, wie ihm geheißen war, und Else warf der Gebieterin den Mantel um. »Gott schütze Euch!« schluchzte die gute Seele, da sie die schweren silbernen Hacken am Halse Margarethens zumachte, und ihr das Kästchen unter den Arm schob: »Der Himmel gebe, daß wir alle es nicht bereuen mögen, daß Ihr heute fortgegangen von Euerm Herrn und Sohne.« – »Das gebe der Himmel!« erwiederte Margarethe, und öffnete die Thüre des Gemachs leise und vorsichtig. Else folgte der voranschleichenden Herrin, wie ein lauschender Dieb, und der Zufall wollte, daß kein Verräther über ihren Weg ging. Die schwere Hauspforte wurde halb aufgezogen, und in die braune Dämmerung entschwand Margarethe.

Die aufgeregte Einbildungskraft zeigt uns oft, wenn uns die Nacht auf Haide und Blachfeld überrascht, am Saume der Wolken Schatten und Gestalten, die dahin gleiten wie in Flören und weit verhüllenden Gewändern schwebend, Klagefrauen ähnlich, die um den in Meeresfluthen begrabnen Tag trauern, und die Hände ringen. Also durcheilte Margarethe die Straßen der Stadt, über welche der neu eingetretne Vollmond einen feuchten, düstern Himmel gespannt hatte. Mit der Sonne hatte auch das schöne Wetter Abschied genommen, und gewitterliche Wolken den Schauplatz bezogen. Wohl leuchtete der Mond, aber seine Scheibe war bleich, und diese blasse[311] Helle deutete auf herannahenden Sturm und Regenguß, so wie die Mitternacht herankommen würde. Wann hätte jedoch des Firmaments Beobachtung einen Menschen abgehalten von dem Vorsatz, zu welchem ihn der feste Wille treibt, oder die unerschütterliche Nothwendigkeit? Auch das schwächre Weib zittert nicht vor den drohenden Schrecken der Natur, wenn sein Herz zu höhern Pflichten, zu wirklichen oder eingebildeten ruft, und Margarethe bemerkte, rasch fortschreitend, nicht den stillen Wolkenkampf am Himmelsbogen, nicht das dumpfige Wehen der näßlichen Luft. Es war ein seltnes Schauspiel, um jene vorgerückte Abendstunde ein Weib aus dem bessern Stande allein auf den Gassen der Stadt zu gewahren, und mehr als ein zudringlicher Junker bot der Eilfertigen seine Begleitung an. Kaum hörte sie jedoch die Begrüßung der Schüchternen, die Frechern wies sie mit harten Worten zurück, und verschloß ihre Ohren vor den Spöttereien der Wächter am Thore. Ein Ziel vor Augen habend, ging sie muthig hinaus in's Weite, und das Mondlicht sowohl, als auch dann und wann ferne am Feldberg aufzudeckende Blitze leuchteten ihr mitleidig auf dem Weg zum Schellenhof. Keine menschliche Seele war ihr vor der Stadt begegnet. Züge von Dohlen und Krähen, die, vor dem fern dräuenden Sturm einen Zufluchtsort suchend, dicht am Boden vorüberflatterten, waren die einzigen lebenden Geschöpfe, die sich zeigten. Frau Margarethe, trotz aller Standhaftigkeit dennoch solcher einsamen Wanderungen ungewohnt, dankte dem Himmel im Stillen, als die Hunde[312] des Schellenhofs bei ihrer Annäherung anschlugen, obwohl hier erst der halbe Weg zur Gefahr überwunden war. Die Hunde tobten an der Kette, und der geschloßne Fensterladen im Erdgeschoße ging auf. Crescentia, die nach der Ursache des Gebells aussah, erschrack in die tiefste Seele, als sie die Stimme der Dienstherrin vernahm, die auf einen Augenblick den Eintritt in'ß Haus verlangte. Die Beschließerin gehorchte indessen auf der Stelle, und that ihr gastliches Gemach auf, in welchem Margarethe einen langen Mann gewahrte, welcher so eben einen mäßigen Nachtimbis einnahm, und verlegen aufsprang, da Margarethe in die Thüre trat. – »Sieh da, Vollbrecht!« rief die Altbürgerin, schmerzlich und freudig betroffen von dem Anblick des Knechts: »Du hier? Ei, sprich, wo ist Dein Herr, und kehrt er zurück?« – »Ehrsame Frau!« lautete die Antwort: »Wir sind herumgezogen in der Irre, wie Roland's Knappen, haben aber nichts erlauert, nichts erspürt. Wir haben zwar manchen Span bestanden mit den adelichen Herren, die rundum an den Straßen und Flüssen die Schlagbäume machen, und von Freund und Feind den Zoll heischen, – aber, die wir suchten, fanden wir nicht, und des Fräuleins leibeigner Knecht Rüdiger, nachdem er uns lange links und rechts und kreuz und quer im Lande umhergeführt hatte, meinte endlich, er werde doch nimmer das Schloß erkennen, in welchem sie gesteckt, – das Fräulein, Er und die Zofe, – und glaube steif und fest, man habe das Fräulein umgebracht, weil auch kein Laut mehr, von ihr zu hören sey. Darauf haben wir uns[313] auf den Rückweg gemacht, und wollten heut zur Vesperzeit in Frankfurt einreiten, als mit einemmale der Rüdiger krank wurde, und so bresthaft, daß er wohl nimmer erstehen wird. Der Mensch hat sich so viel Gedanken um seiner Herrschaft Schicksal gemacht, und sich so sehr darob gegrämt, daß, er sicher schon verschieden wäre, wenn er nicht etwas auf dem Gewissen gehabt hätte, das ihn, wie er sagt, seit geraumer Zeit gedrückt hat, wie ein Fels. Der Junkherr hat ihm zugesprochen, wie ein Beichtherr, denn das versteht er aus dem Grunde, und endlich hat der Knecht sich drein ergeben, und versprochen, ihm Alles zu bekennen, und sein Herz zu erleichtern vor dem Ende.« – »Was kümmert mich der Knecht?« schaltete Margarethe dringend ein: »Wo ist Dein Herr? das will ich wissen.« – »Ich bin ja gleich zu Ende;« erwiederte der Knecht gehorsam: »Wir waren gezwungen, in einer schlechten Winkelschenke einzukehren, nicht allzufern von hier, da der Rüdiger nicht weiter konnte, vor Frost und Hitze, und wenn man ihn auf's Pferd gebunden hätte. Und da es den sterbenden Mann drängte, meinem Herren zu vertrauen, was ihn quält, und mir, dem Knecht, nicht nöthig und ziemlich ist, davon zu wissen, so hat der Junker gesagt: ›Reit Du indessen gen Frankfurt, Vollbrecht, und sieh nur, wie's dorten steht, ob sich vielleicht durch Gottes und eines andern Biedermanns Hülfe die Schwester daselbst wieder eingefunden, und wie es mit dem lieben Vater steht, der Mutter und dem kleinen Hans. Vergiß jedoch nicht, vorerst auf dem Schellenhofe einzusprechen, und der[314] wackern Frau Creszens meinen Gruß zu bringen, mit dem Vermelden: es stehe bis auf die getäuschte Hoffnung, wohl mit mir, und sie solle es nur weiter sagen. Sobald des Rüdigers Zustand es erlaubt, komme ich selbst.‹« – »Um Gotteswillen nicht!« fiel hier Margarethe eifrig ein: »Fliege zurück zu ihm, und bringe ihm diese Kunde! Nur gen Frankfurt nicht. Die Heimath wird sein Grab. Er bleibe fern, denn seine Feinde haben die tödtlichsten Pfeile auf ihn gerichtet. Die heimliche Acht hat ihn vorgeladen, und von ihren Schranken kehrt kein Gerechter wieder.«

»Jesus Maria!« seufzte die Beschließerin, und schlug ein großes Kreuz. Der lange Vollbrecht faltete erschrocken die Hände, und sprach kein Wort. – »Wenn ihm sein Leben, wenn ihm meine Ruhe lieb ist, so bleibe er fern, so verberge er sich in entlegnen Landen vor den Schöffen der Vehme!« fuhr Margarethe bewegter fort: »Sage ihm, Vollbrecht, ich hätte gehört, daß der Kaiser allein die Vervehmten zu schützen vermöge. Er suche zu Sigmunds Füßen die Lossprechung von jener furchtbaren Ladung. Er fliehe zu den Füßen des heiligen Vaters, denn in Deutschland sollen Hunderttausend Dolche auf die Brust des Geächteten lauern. Doch, was rede ich?« setzte sie sich besinnend bei: »ich sollte ihn wegscheuchen vom heimatlichen Boden, ohne ihm erst zu sagen, wie sich Alles gestaltet? Nein, nein, nein! Guter Vollbrecht! vergib mir, wenn ich verwirrt rede, aber wiederhole ihm getreu meine Worte. Sie verrathen selbst in ihrer Verwirrung die Liebe, die dankbare Freundschaft, die ich für ihn empfinde. Er[315] soll mir glauben, Vollbrecht, – nicht wähnen, als sey es Bosheit einer Stiefmutter, die den Sohn erster Ehe aus dem Vaterhause treiben möchte! Ich bin ja selbst geächtet, ... selbst verstoßen! Aber recht! reden muß ich noch einmal zu ihm. Ich muß ihn sprechen, obgleich ich nicht weiß, ob ich morgen noch lebe! Sage ihm, treuer Knecht, sage ihm, daß er morgen, um diese Stunde – hier erscheine – er würde mich finden, ihm Lebewohl zu sagen; bis dahin möge er jedoch verborgen bleiben; denn Alles sey gegen ihn verschworen. Und nun mache Dich zur Stelle auf, und eile von dannen. Vielleicht ist jetzt schon Rüdiger des Todes, oder genesen. Vielleicht geht jetzt schon der Sorglose, Unbefangne seinem Untergange entgegen, ohne Warnung, ohne Ahnung! Geh! geh! guter Vollbrecht!« –

Um den schwankenden Entschluß des zögernden Burschen zu beschleunigen, drückte sie ihm ein Geldstück in die Hand, und diese Freigebigkeit, verbunden mit der aufrichtigsten Anhänglichkeit an seinen Herrn bestimmte den Knecht, sich alsobald auf zu machen. Frau Margarethen für ihr Geschenk das Kleid küssend, Crescenzien für das Nachtmahl dankbar die Hand schüttelnd, sprang er hinaus, warf sich auf den harrenden Gaul, und suchte auf gut Glück in dunkler Nacht den Weg, den er gekommen. Die Schaffnerin hatte kaum ihren Ohren getraut, als sie die Reden vernommen, die Margarethens Mund, wie vom Sturme beflügelt, gesprochen hatte. Es schien ihr noch immer, wie ein Traum, das ihre Meisterin jetzt, zu dieser Stunde in ihrem Gemache[316] stehe, und eine ängstliche Neugierde bemächtigte sich ihrer, zu erfahren, was der seltne und verstörte Gast eigentlich hier begehre. Die Altbürgerin ließ diese Neugier nicht zu Worte kommen, denn auch sie wurde von der vorrückenden Nacht gemahnt, ihr Gewerbe hier zu Ende zu bringen. – »Das Morgen wird kommen,« sagte sie ernst zu der Dienerin: »Ich werde vielleicht nicht wiederkehren, denn meines Lebens bin ich nicht sicher auf dem Wege, den ich heute gehen muß. Versprich mir aber, Crescenz, daß, wofern ich morgen in des Tages frühe nicht zurückkehrte, Du meinen Herrn aufsuchen wollest, und ihm melden: Ich hätte es nicht ferner tragen können, meine Unschuld für böse Schuld abgewogen zu sehen. Ich sey ihm immer treu gewesen und hold, – Dagobert sey rein, wie das Sonnenlicht, – ich hätte weder meinen Herrn und zu Ehewirth zu morden begehrt; noch sein Herz zu zerreißen durch Wallradens Raub, den er mir ebenfalls zugeschrieben. Um ihn zu überzeugen, daß ich wahr und redlich gehandelt, sey ich heut hinausgegangen zum Sprünglinsteine, um dort zu verrichten, was Herr Diether, von Argwohn und Mißtrauen befangen, nicht unternehmen wollte. Er möchte mir daher vergeben, was ich vielleicht im Leichtsinn der Jugend an ihm gefrevelt. Böses habe mein Herz dabei nie im Schilde geführt. Er möge mir auch verzeihen, was ich Schwereres begangen, und mir nicht als Sünde zurechnen, was ein irre geleitetes Gefühl verbrach. Er möge endlich meiner in Frieden gedenken, und von dem kleinen[317] Hans seine Hand nicht abziehen, wie auch die Dinge kommen sollten. Verstehst Du mich, gute Crescenz?«

Die Alte hatte zugehört, und immer aufmerksamer Auge wie Ohr geöffnet. Nun aber, da Margarethe zu reden aufgehört, starrte sie dieselbe unbeweglich an. »Ich werde ausrichten, was Ihr befehlt, ehrsame Frau,« sagte sie, in ihrer Bestürzung verharrend, – »aber ich will nicht getauft seyn, wenn ich begreife, was das Alles heißen soll? Hat Euch denn der liebe Herrgott Euer Sterbestündlein offenbart? oder welche Ursache habt Ihr dann, daß Ihr solche bedenkliche Reden führt? Oder hätte Euer häuslich Kreuz Euren Verstand beschädigt? Ich sollte Euch wahrlich nicht fortlassen in der dunklen Nacht.« – »Keine Widerrede:« befahl Margarethe herrisch, und Crescenz zog sich alsobald in die Schranke der Demuth zurück: »Höre noch das letzte:« setzte die Altbürgerin hinzu: »Athme ich morgen noch, so werde ich am Abend hier mit meinem Stiefsohne ein Wort des Abschiedsreden, – in Gegenwart Deiner beiden Augen, unter der Obhut Deiner verschwiegenen Zunge. Hat jedoch der Herr des Lebens über mich geboten, so sage dem jungen, unglücklichen, durch mich unglücklich gewordnen jungen Manne: Bis zu meinem letzten Athemzuge sey er mir der theuerste Mensch auf Erden gewesen. Die Zeit, da ich ihn verstohlen liebte, wie ein unerreichbar höchstes Gut, sey meine glücklichste; die Zeit in der ich ihn haßte in verirrter Leidenschaft, meine elendeste gewesen. Seine vergebende Freundschaft war Paradieseshauch in meinem häuslichen Jammer, sein Bild[318] der Heilige zu dem ich betete. Bekenne ihm in meinem Namen, daß ich, die Unwürdige, glücklich war, in der Erinnerung an ihn, und daß, wenn es möglich ist, mein Geist sich von oben herabneigen wird, um über seine Schritte zu wachen, daß ich ihn aber bitte mit der verzweifelnden Liebe einer Mutter, sich selbst zu erhalten, und die Stätte zu meiden, wo öffentlich und heimlich die höchste Gefahr ihm droht, wo selbst der eigne Vater von schnöder Rachlust entbrannt ist gegen den Unschuldigen. Beschwöre ihn,« ... – hier hemmten Thränen die Worte Margarethens, und mit einem schmerzlichen: »Ich kann nicht mehr; lebe wohl!« stürzte sie aus dem Gemach. Die angstvolle Crescentia folgte ihr ermahnend, bittend und klagend. – Die Altbürgerin war unerbittlich gegen ihr Flehen; – noch unter der Hausthüre mußte ihr die Alte in dem ungewissen Dunkel die Richtung bezeichnen, die sie gen Bergen zu nehmen hätte, und unter dem Gebell der wachbaren Hunde, entwich die kühne, auf's Äußerste gefaßte Frau den Augen der alten Dienerin. – Kopfschüttelnd sah ihr die Letztere nach, schob alsdann den Riegel vor, und sendete das Gesinde, das durch das Hundegebell aufgeschreckt worden war, wieder zum Lager zurück. Sie setzte sich hierauf in den Sorgenstuhl, und dachte im unruhigen Geist nach über die Begebenheiten des Abends. Nach allem Überlegen schien ihr endlich nichts klarer und gewisser zu seyn, als daß der angehäufte Gram und Unmuth Margarethens Verstand in Unordnung gebracht habe, und sie begann, sich die bittersten Vorwürfe zu machen,[319] daß sie die Sinnverwirrte hinausgelassen in die einsame Finsterniß, wo ihr unstäter Fuß gar leicht in des Wassers Fluth gerathen, oder ein Blitz ihr Haupt zerschmettern konnte. Sie schalt sich einfältig, daß sie gar nicht bedacht, wie ungnädig Herr Diether ihr Betragen, – kam's zu Tage – aufnehmen würde, und bedauerte abwechselnd die arme Frau, sich selbst, und den guten Junker Dagobert, den die Botschaft, die Margarethe seinem Knechte aufgegeben, unbedingt zum Tode erschrecken müsse. – »Der biedre Junker!« sagte sie vor sich hin, während sie ihr Nachtkleid überwarf: »Wie er Alles liebt, das ihm vertraut. Wie dankbar, gedenkt nicht sein die Stiefmutter, die ihn haßte? Wie zart denkt er nicht Aller, deren er sich angenommen! Wie werde ich das gute Judendirnlein morgen mit der Nachricht erquicken, daß er gesund und wohl ist. Der lange Knecht ließ sich's gewiß nicht träumen, daß der Gruß an die alte Crescenz auch noch jemand Anderm galt! Wie aber in aller Welt, kommt es, daß der biedre junge Herr vor die Vehme gerathen ist, von der ihm nur der Kaiser loshelfen mag?« – »Ei!« unterbrach sie sich, gegen das Fenster lauschend: »war mir's doch, als ob die Hunde sich wieder bewegten, und leise knurrten. 'sist aber wieder Alles stille. – Und dennoch,« setzte sie nach einer Pause hinzu: »dennoch regt sich draußen etwas, und ich höre die Hunde schnaufen und schmatzen, als ob sie etwas köstliches zu fressen erhalten, hätten.« – Schon griff die herzhafte Frau nach der Lampe, als eine behutsame Faust einigemal leise an den Laden klopfte. – »Da[320] haben mir's!« flüsterte die Alte vor sich: »Das ist ein frecher Dieb, der meinen Hunden mit Gift das Maul gestopft hat, und nun herein möchte.« – Sie erfaßte schnell eine Haue, die in der Ecke stand, öffnete das Fensterlein, und sprach durch die Ritze des Ladens hinaus: »Du diebischer, ungeschlachter Gesell, wer du auch seyst, – packe Dich fort, denn meine Leute sind beim ersten Schrei wach und hellmunter. Auch halte ich eine Haue in der Hand, die dir den Kopf zerschmettert, wenn Du in's Fenster einzubrechen wagst. Zieh darum ab. Ich bin 'ne arme Frau, und hier ist nichts zu holen, als ein blutiger Kopf.« – »Macht keinen Lärm!« flüsterte es von draußen herein: »Ich bin kein Dieb, sondern ein ehrlicher Mann. Ich komme doch nur, um Euch zu warnen, Mütterlein.« – »Wofür? Du Schalksgesell?« fragte Crescenz, noch immer ungläubig. Der Fremde vor dem Fenster fuhr aber fort: »Man ist Ben David's Esterchen gekommen auf die Spur; Du gutes Weiblein. Sie werden kommen, ehe vergeht eine Stunde, mit Spießen und Stangen, um die Jüdin zu fangen, und um Dich, als Hehlerin, zu setzen auf den Thurm bei Wasser und Brod.« – Crescentia's Herz klopfte heftig, – denn sie konnte nicht an dem guten Wissen des Klopfenden zweifeln. Sie öffnete scheu den Laden, obgleich nur halb, und beleuchtete vorsichtig Zodick's häßliches Antlitz, das sich herein bog. »Wer bist denn Du, Nachtläufer?« fragte sie halb erschrocken. – »Kennst Du mich denn nicht, Mämme!« sagte Zodick entgegen: »Bin ich doch gewesen der Knecht, der Dir so oft gebracht hat[321] mildthätige Beisteuern von David, dem Sohne Jochai. Du mußt Dich noch besinnen auf meine Gestalt.« – »Ach! Du bist's?« rief die Alte erschreckt: »Weiche von dannen, Du Lügner, der seinen Herrn zum Tode bringt, durch seine blutige Bosheit!« – »Ich bin nicht derselbe;« hieß es entgegen: »Jener Zodick, der geklagt hat in Edom, ist nicht mehr, sondern ein reuiger Zodick lebt noch, und darum will er retten, die Tochter seines Herrn, die Einer aus Israel verrathen hat an den wollüstigen Schultheiß.« – »Um Gotteswillen!« fiel die Alte kläglich ein: »Der Schultheiß? das arme Kind ... wer war der Verräther?« – »Joseph der Arzt;« erwiederte Zodick leise: »Um die elfte Stunde kommen des Oberstrichters Trabanten heraus, und wehe Dir, wenn man die Dirne findet. Mir hat's gesagt der kleine Finger, und ich will holen das Estherchen, und es bringen zum Vater.« – »Zum Vater?« fragte Crescentia mißtrauisch: »Faule Fische, rothköpfiger Jude.« – »Ich will sprudeln Gift und Galle ein Jahr lang,« betheuerte Zodick, »wenn es nicht ist wahr. Ich habe herausgebracht den Alten aus dem Thurm, und ihm versprochen, weil er selber ist krank und schwach, die Tochter zu retten aus den Klauen der haarigen Böcke.«

»Ei, Du unverschämtes Lügenmaul!« eiferte die Alte: »Du hälst mich für eine Schnattergans, daß Du solch Possenzeug mir weiß machen willst. Esther ist nicht hier, ist noch nie hier gewesen, magst Du wissen, Du schleichender Spürhund. Hier haußt eine andre Jungfer, die mit Euch Juden nichts gemein[322] hat: weißt Du das? Deine Mährlein von dem Oberstrichter und seinen Knechten trage nur anderwärts hin, hörst Du?« –

»Laßt doch das lächerliche Gedibber;« versetzte Zodick unwillig: »Wer im Giebelstübchen wohnt, weiß ich gar wohl, so gut als der Prophet Elias. Ruf' mir das Schickselchen herab, und ich führe sie zum Ärte, ehe noch die Gewalt kommt über Euch.« – »Wenn Du nicht alsobald gehst,« erwiederte die Alte derb, »so kommt die Gewalt meiner Haue und meiner Hunde über Dich; wenn Du nicht die Letztern vergiftet hast, da ich keinen Laut von ihnen höre.« – »Ohne Sorgen, Mütterlein;« sagte Zodick schmeichelnd: »sie leben, die Thiere; aber thun werden sie mir nichts, denn ich verstehe das Handwerk, und habe ihnen gegeben Kuchen, besser als der Kuchen Levi in der Nacht des Passah. Du, laß mich aber hinein, daß nicht Unglück einzieht bei Dir und Estherchen frei werde, von Amaleks sündigen Richtern.« – »Nimmermehr!« wiederholte Crescenz: »Ich traue Dir nicht, ich glaube Dir nicht, Du abtrünniger Mensch, dem's mit dem wahren Glauben eben so wenig Ernst ist, als mit dem falschen. Du bist ein Gezeichneter. Mache, daß Du von hinnen kömmst!« –

Ein blitzendes Messer züngelte wie ein Strahl durch die Öffnung des Ladens; Creszens gewahrte jedoch noch zu rechter Zeit des meuchelmörderischen Versuchs, sprang zurück, und riß den Laden mit einer Gewalt zu, daß die Klinge zerbrach. – Der Mordbube fluchte draußen halblaut über des Weibes[323] Klugheit, und den Verlust seines Gewehrs. Crescenz belferte ihm aber zu: »Rothhaariger Schuft! wo Du nicht gleich Reißaus nimmst, rufe ich meine Leute, und Dein letztes Brod ist gebacken, Du Schurke.« – Eilig, wie ein rollender Kiesel, entsprang der Bösewicht, und die Hunde, wie von einem Zauberspruch betäubt, rührten sich nicht in ihren Hütten.

Quelle:
Carl Spindler: Der Jude. 3 Bände, Band 2, Stuttgart 1827, S. 296-324.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Jude
Der Jude: Deutsches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts, Volume 2 (German Edition)
Der Jude: Deutsches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts, Volume 4 (German Edition)
Der Jude: Deutches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts, Volumes 3-4 (German Edition)
Der Jude: Deutsches Sittengemälde Aus Der Ersten Hälfte Des Fünfzehnten Jahrhunderts (German Edition)

Buchempfehlung

Jean Paul

Titan

Titan

Bereits 1792 beginnt Jean Paul die Arbeit an dem von ihm selbst als seinen »Kardinalroman« gesehenen »Titan« bis dieser schließlich 1800-1803 in vier Bänden erscheint und in strenger Anordnung den Werdegang des jungen Helden Albano de Cesara erzählt. Dabei prangert Jean Paul die Zuchtlosigkeit seiner Zeit an, wendet sich gegen Idealismus, Ästhetizismus und Pietismus gleichermaßen und fordert mit seinen Helden die Ausbildung »vielkräftiger«, statt »einkräftiger« Individuen.

546 Seiten, 18.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon