Vorfrühling

[123] In dieser Märznacht

trat ich spät aus meinem Haus.

Die Straßen waren aufgewühlt von Lenzgeruch

und grünem Saatregen.

Winde schlugen an. Durch die verstörte Häusersenkung

gieng ich weit hinaus

Bis zu dem unbedeckten Wall und spürte:

meinem Herzen schwoll ein neuer Takt entgegen.


In jedem Lufthauch

war ein junges Werden ausgespannt.

Ich lauschte,

wie die starken Wirbel mir im Blute rollten.

Schon dehnte sich bereitet Acker.

In den Horizonten eingebrannt

War schon die Bläue hoher Morgenstunden,

die ins Weite führen sollten.


Die Schleusen knirschten.

Abenteuer brach aus allen Fernen.

Überm Kanal, den junge Ausfahrtwinde wellten,

wuchsen helle Bahnen,

In deren Licht ich trieb.

Schicksal stand wartend in umwehten Sternen.

In meinem Herzen lag ein Stürmen

wie von aufgerollten Fahnen.

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 1, Hamburg o.J. [1954], S. 123-124.
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