Fluß im Abend

[172] Der Abend

läuft den lauen Fluß hinunter,

Gewittersonne übersprengt

die Ufersenkung bunter.

Es hat geregnet.

Alle Blätter dampfen Feuchte.

Die Weidenwildnis streckt mit hellen Tümpeln

sich ins witternde Geleuchte.

Weiße Nebel

sich ins Abendglänzen schwingen.

Unterm seichten Fließen dumpf und schrill

die mitgezognen Kiesel klingen.

Die Pappeln stehn im Licht, traumgroße Kerzen

dick mit gelbem Honigseim beträuft –

Mir ist, als ob mein tiefstes Glück durch grüne Ufer

in den brennenden Gewitterabend läuft.

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 1, Hamburg o.J. [1954], S. 172-173.
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