Anrede

[159] Ich bin nur Flamme, Durst und Schrei und Brand.

Durch meiner Seele enge Mulden schießt die Zeit

Wie dunkles Wasser, heftig, rasch und unerkannt.

Auf meinem Leibe brennt das Mal: Vergänglichkeit.


Du aber bist der Spiegel, über dessen Rund

Die großen Bäche alles Lebens geh'n,

Und hinter dessen quellend gold'nem Grund

Die toten Dinge schimmernd aufersteh'n.


Mein Bestes glüht und lischt – ein irrer Stern,

Der in den Abgrund blauer Sommernächte fällt –

Doch deiner Tage Bild ist hoch und fern,

Ewiges Zeichen, schützend um dein Schicksal hergestellt.

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 1, Hamburg o.J. [1954], S. 159-160.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Aufbruch
Der Aufbruch und ausgewählte Gedichte
Der Aufbruch und andere Gedichte
Der Aufbruch
Der Aufbruch: Gedichte