Der Flüchtling

[145] Da sich mein Leib

in jener Gärten Zaubergrund verirrte,

Wo blauer Schierling

zwischen Stauden dunkler Tollkirschblüten stand,

Was hilft es, daß ein später Tagesschein

den Knäuel bunter Fieberträume mir entwirrte,

Und durch das Frösteln grauer Morgendämmerungen

sich mein Fuß den Ausweg fand?


Von jener Nächte

frevelvollen Seligkeiten

Gärt noch mein Blut

so wie mit fremdem Fiebersaft beschwert

Und aus dem Schwall der Stunden,

die wie hingejagte Wolken mir entgleiten,

Bleibt tief mein Traum

wie über blaue Heimatseen in sich selbst gekehrt.


Um meines Lebens

ungewisse Schalen neigen

Und drängen sich die Bilder,

die aus Urwaldskelchen aufgeflogen sind,

Und meine Wünsche wollen,

wilde Vogelschwärme, in die Tannenwipfel steigen,

Und meine Seele schreit,

wehrlose Wetterharfe unterm Wind.

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 1, Hamburg o.J. [1954], S. 145.
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