Leda

[180] (Nach Henri de Régnier)


Im Becken, das mit runder Marmorwand

schläfrige Flut faßt, wellenüberfaucht

vom Schwan, der tief den Kopf zum Spiegel taucht,

in dessen grünem Glänzen er sein Auge fand,


wölbt sich ihr Leib, erwartungsvoll gespannt.

Den nackten Fuß umspült des Wassers Blitzen,

und schmachtend lehnt sie an den Muschelspitzen,

sehnsüchtig suchend langt die starre Hand.


Und Schwäne, die die Nymphe müd umschweben ...

Es streift den Leib im Gleiten ihr Gefieder,

ihr weichgeschwungner Hals umkost die Glieder –


Das Erz, das spiegelnd tief im Wasser flirrt

scheint noch in Märchenliebe heiß zu beben,

die selbst im Traum ihr stummes Fleisch verwirrt.[181]

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 1, Hamburg o.J. [1954].
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Verstreute Gedichte aus den Jahren 1902 bis 1904
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