Frühe Dämmerung

[185] Die letzten müden Liebesworte irren

Wie Abendfalter, die mit schweren Flügen

In Dämmerung und Träumen sich verwirren.


Und trunken niedersinkend ist's, als trügen

Ein zartes Leuchten sie um Deine Wangen

Und Sänftigung zu Deinen Atemzügen.


Ich seh' das Glück an Deinen Lippen hangen

Wie eine Blüte, warmer Nacht entsprungen –

Indes ich dumpf, in namenlosem Bangen,


Dem Gang der Stunden lausche, die verschlungen

Zu dunklen Ketten in das Leere gleiten,

Vom harten Glockenschlag der Nacht umklungen.


Ich hör im Takt ihr endlos gleiches Schreiten

Auf heißem Lager sinnlos aufgerichtet,

Hinhorchend in die nachtbeschwerten Weiten,


Die schon der erste Schein der Frühe lichtet.

Quelle:
Ernst Stadler: Dichtungen, Band 1, Hamburg o.J. [1954], S. 185-186.
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