Beispiele von lächerlicher Furcht und Aberglauben.

[29] In einem Dorfe waren einst die Bauern, die es bewohnten, sehr abergläubisch und furchtsam. Sie glaubten, daß in ihrer Kirche wunderbare Dinge geschähen, und wagten es nicht, des Abends nahe bei derselben vorüber zu gehen. Einst, an einem Sonntage, hörte der Küster spät noch, als es fast Nacht war, ein entsetzliches Gepolter in der Kirche. Voll Furcht und Schrecken lief er in die Schenke, holte die versammelten Bauern, den Pfarrer und Schulmeister herbei, um die Thüre zu öffnen und den Teufel, der nach seiner und der Bauern Meinung, so hausete, durch kräftige Gebete zu bannen. Der Schulmeister führte den Zug an; und als er die Thüre öffnete, rannte ein Schwein, das zufällig sich hinein verirret hatte, heraus; und da[29] es gerade zwischen die Füsse des tödlich erschrockenen Mannes kam, trug es diesen noch eine Strecke mit sich fort. Der Schulmeister, in dem Glauben, es sei der Teufel, der sich seiner bemächtiget habe, schrie aus Leibeskräften: »Herr Pfarrer! er hat mich schon! er hat mich schon!« Endlich wurden er und die Andern den Irrthum gewahr, und schämten sich ihrer lächerlichen Furcht.

Zwei Soldaten stritten einst, wer den andern an Herzhaftigkeit überträfe. Einer von ihnen sagte: er wolle, um seinen Muth ganz ausser Zweifel zu setzen, in der Mitternachtsstunde einen Todtenkopf aus dem Beinhause holen und dem andern weisen. Wirklich begab er sich zur bestimmten Stunde nach dem Gottesacker, und tappte im Finstern umher, um einen Todtenkopf zu erwischen. Der andere hatte sich ein wenig früher in dem Beinhaus versteckt, um seinen Kameraden zu erschrecken, und als dieser endlich das Gesuchte gefunden und fortgehen wollte, rief er laut: »Laß' ihn nur stehn, es ist mein Kopf!« Der Kamerad griff sogleich nach einem andern; da erschallte dasselbe Verbot. Muthig nahm er den dritten und rief: »Ei, wie viel Köpfe hast du denn?« – Ein dritter Soldat, der ein Schaf gestohlen, hatte sich zufällig mit seiner[30] Beute auch in dasselbe Beinhaus verborgen, und in der Finsterniß die beiden andern nicht bemerkt. Er glaubte, die Todten sprächen in dieser schauerlichen Stunde, und tödlich erschreckt – und zu diesem Erschrecken trug das böse Gewissen des Diebes das Meiste bei – hielt er das gestohlene Schaf nicht fest genug, so daß es ihm entwischte und eilends die Flucht ergriff. Die Soldaten entsetzten sich, da sie in der Finsterniß nicht unterscheiden konnten, was so stürmisch unter den Gebeinen rasselte und aus der Thüre stürzte, und ergriffen eilends die Flucht. Der Dieb, der das Davongehn auch für das Beste hielt, folgte ihnen nach, und so kamen sie, doch oft über die Gräber strauchelnd, glücklich aus dem Gottesacker, wo der, eben aus den Wolken die ihn umhüllt hatten, hervortretende Mond, sie einander erkennen ließ. Sie fanden in dem Diebe einen wohlbekannten Kameraden, der aber von nun an, durch die ausgestandene Angst gebessert, nicht mehr stahl.

In einem Wirthshause rühmten sich gleichfalls einige junge Leute ihrer Furchtloßigkeit, und einer übernahm es, die seinige durch ein Probestück zu beweisen. Man that ihm den Vorschlag: in eine Kirche, wo nach der Sitte des Ortes, die Leichen der am andern[31] Tage zur Beerdigenden, in ihren Särgen über Nacht aufbewahrt wurden, um Mitternacht zu gehen, und einen Nagel in einen der Särge zu schlagen; er nahm es willig an und ging um zwölf Uhr fort. Da er nicht wieder kam, glaubten die Uebrigen, sein Vorwitz habe ihm gereuet und er sei nach Hause gegangen. Als man die Kirche am andern Morgen öffnete, fand man ihn todt neben einem Sarge liegen. Er hatte in der Finsterniß und in der Uebereilung den Zipfel seines Rockes mit dem Nagel an den Sargdeckel befestiget, und, wahrscheinlich in der Einbildung, als er so zurückgehalten wurde, gestanden, der Todte halte ihn fest. So war er plötzlich aus Furcht gestorben.

Eine Magd wurde eines Abends von ihrer Herrschaft in den Keller geschickt, um etwas herauf zu holen. Auf der Treppe blies ihr die Zugluft das Licht aus, denn sie war so unvorsichtig gewesen, sich nicht der Laterne zu bedienen. Sie glaubte sich schon im Dunkeln zurecht finden zu können, und ging in den Keller hinab. Beim Eintritt funkelten ihr zwei glühende Augen entgegen. Sie wollte fliehen, fiel aber und blieb ohnmächtig liegen, bis man sie vermißte und ihr nachgieng. Mit Mühe kam sie wieder zu sich, und es gelang ihrer Herrschaft sehr schwer, sie zu überzeugen,[32] daß nur die im Finstern leuchtenden Augen eines Katers, der im Keller auf einem Fasse Platz genommen, sie erschreckt hatten.

Es ist billig und vernünftig sich einer thörichten Furcht und Einbildung nicht blindlings zu überlassen; doch ist eben so nöthig und vernünftig mit Vorsicht zu handeln, und jede Sache, die wir nicht begreifen können, mit Bedachtsamkeit zu prüfen.

Quelle:
Karoline Stahl: Fabeln, Mährchen und Erzählungen für Kinder. Nürnberg 21821, S. 29-33.
Lizenz: