103.

[294] Die Veranlagung zur Liebe aus Sinnlichkeit und besonders zum sinnlichen Genuß ist bei beiden Geschlechtern sehr verschieden. Im Gegensatz zu den Männern sind fast alle Frauen mindestens einer Art von Liebe fähig. Vom ersten Roman an, den eine Frau mit fünfzehn Jahren heimlich gelesen hat, wartet sie im stillen auf die Liebe. In einer großen Leidenschaft sucht sie den Beweis ihres Wertes. Diese Erwartung verdoppelt sich mit zwanzig Jahren, wenn die ersten Jugendtorheiten überwunden sind; die Männer dagegen meinen, wenn sie kaum dreißig Jahre alt sind, es gäbe keine Liebe oder sie sei lächerlich.

Quelle:
Von Stendahl – Henry Beyle über die Liebe. Jena 1911, S. 294.
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