24.

[257] Kalt, tapfer, berechnend, mißtrauisch, immer in Furcht, sich von jemandem begeistern zu lassen, der sich dann heimlich darüber lustig machen könnte, völlig frei von Überschwenglichkeit, ein wenig eifersüchtig auf die Leute, die im Gefolge Napoleons große Ereignisse gesehen hatten, – so war die Jugend zu meiner Zeit, mehr achtbar als liebenswert. Dieser Charakter fand sich selbst unter den Rekruten, die nur das Ende ihrer Dienstzeit herbeisehnten.

Jede Erziehung, gleichgültig ob sie einem planmäßig oder durch Zufall zuteil geworden ist, bildet den Menschen für eine bestimmte Zeit seines Lebens. Die Erziehung im Zeitalters Ludwigs des Fünfzehnten erhob das fünfundzwanzigste Jahr zum Höhepunkt des Lebens.

Die jungen Leute meiner Zeit finden ihn mit vierzig Jahren, wenn sie Mißtrauen und Ansprüche fallen gelassen und dafür Heiterkeit und Sorglosigkeit geerntet haben.

Quelle:
Von Stendahl – Henry Beyle über die Liebe. Jena 1911, S. 257.
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