69.

[278] Prosaisch ist ein neues Wort, das ich früher lächerlich fand, denn nichts ist kälter als die französische Poesie. Wenn es in der Literatur Frankreichs in den letzten fünfzig Jahren etwas Wärme gibt, so ist es sicherlich in der Prosa. Aber die Contessa Bianca bediente sich des Wortes prosaisch und nun liebe ich es.

Eine Begriffserklärung finde ich im »Don Quichotte« in dem schroffen Gegensatz des Ritters zum Knappen. Der Ritter groß und blaß, der Knappe feist und frisch, der eine ganz Held und Ritter, der andere selbstsüchtig und knechtisch, jener romantisch, phantastisch und sentimental, dieser voller Lebensklugheit und weiser Lebensregeln, jener mit einer nach gewaltigen und wagehalsigen Plänen durstenden Seele, dieser ein kluger Berechner aller kleinlichen, widerlichen und eigennützigen Regungen des Menschenherzens.

In dem Augenblicke, wo jener durch den Mißerfolg[278] seiner gestrigen Phantastereien enttäuscht sein müßte, erträumt er sich bereits neue Luftschlösser für die Zukunft.

Quelle:
Von Stendahl – Henry Beyle über die Liebe. Jena 1911, S. 278-279.
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