Zwölfter Auftritt.

[62] Sichel und Gotthold hinter dem Mitteltisch. Leonore und Rosalie links vorn. Dann Claudias Stimme im Zimmer rechts.


LEONORE schreit. Ach! Sie eilt ängstlich an Rosalie vorüber nach links vorn.

Rosalie tritt, sie beschwichtigend, Gotthold entgegen.


SICHEL, GOTTHOLD UND ROSALIE. St! St!

CLAUDIA in ihrem Zimmer rechts. Was giebt's?

Alle sind erschrocken und ängstlich.


ROSALIE nach einer Pause. Der Kater sprang mir auf den Tisch, ohne daß ich mich's versah.

CLAUDIA wie vorher in ihrem Zimmer rechts. Wie kommt denn der Kater ins Zimmer?

ROSALIE. Leonore hat die Thür offen gelassen, als sie schlafen gegangen. Als ob sie etwas hinausjagte, indem sie an Gotthold und Sichel vorüber auf die rechte Ecke tritt. Hinaus! – Fort! – Tscha! tscha!

CLAUDIA wie vorher in ihrem Zimmer rechts. Das ist doch entsetzlich, daß man keine Ruhe hat. Wenn ich noch einmal aufgeweckt werde, so sieh zu. Das Folgende mit halblauter Stimme.

[62] In rascher Folge.


GOTTHOLD. Göttliche Leonore!

SICHEL. Bestes Salchen!

LEONORE zu Gotthold. Mein Herr, was wollen Sie?

ROSALIE zu Sichel. Ist das eine Art? So kommt man zu mir?

GOTTHOLD zu Leonore. Was ich will? Ich bin in Gefahr, Sie zu verlieren, und sollte nicht alles wagen?

LEONORE zu Gotthold. Daran hätten Sie eher denken sollen. Nun ist es zu spät. Morgen heirate ich den Hauptmann Sturmwald.

SICHEL der Rosalie indessen angestaunt. Sag' mir nur, bist du besessen? Wie soll ich denn anders zu dir kommen, als wie ich leib' und lebe?

ROSALIE zu Sichel. Hättst du lieber eine ganze Compagnie mitgebracht.

GOTTHOLD ganz erstaunt zu Leonore. Zu spät? Morgen heiraten Sie? Und das sagen Sie mit solcher Gleichgültigkeit?

LEONORE seufzend. Meine Schuld ist es nicht!

SICHEL zu Rosalie. Ha, ha, ha! Ist's das? Deshalb sei ruhig. Er redet leise mit ihr.

Rosalie scheint zuerst nicht hören zu wollen, nach und nach aber wird sie aufmerksam und zuletzt ganz

munter.


GOTTHOLD zu Leonore. Meine Schuld ist es wahrhaftig auch nicht! Ich suche seit acht Tagen mit Ihnen zu sprechen, bin fast immer bis über Mitternacht vor Ihrem Hause herumgestiegen, aber immer fruchtlos. Heute bin ich endlich so glücklich, Sie zu sehen, und muß mein Todesurteil hören.

LEONORE. Was kann ich thun? Sie wissen, ich steh' unter dem Willen meiner Eltern, ich muß gehorchen und meine Hand nach ihrem Befehl vergeben.

GOTTHOLD. Das sollen Sie nicht, wenn Sie anders nicht selbst wollen. Entfliehen Sie mit mir; alles ist dazu bereit; morgen mit Tagesanbruch lassen wir uns gehörig verbinden. Zu Ihrer Beruhigung hab' ich hier einen Ehekontrakt, der Sie für die Zukunft sicher stellen wird.

LEONORE. Was fordern Sie?

ROSALIE. Keine Umstände, Liebe; ich gehe samt meinem Zukünftigen ebenfalls mit, wir lassen uns in eurer Gesellschaft[63] trauen, dann suchen wir zusammen Vergebung, erhalten sie, und nur auf die Art kommen wir zu unserem Zweck.

LEONORE. Aber bedenk' doch nur, Salchen –

Nr. 11. Finale.


ROSALIE, SICHEL UND GOTTHOLD.

Wer wird im Schiffbruch sich besinnen,

Auf einem Brette zu entrinnen!

Wer gar zu sicher gehen will,

Erreicht am wenigsten sein Ziel.

LEONORE.

Wer meidet wohl der Liebe wegen

Der Eltern Haus und ihren Segen?

SICHEL UND GOTTHOLD.

Wer wahrhaft liebt, wagt wohl noch mehr.

LEONORE.

Wohlan, ich folge, doch sehr schwer.

ALLE VIER.

Wir wollen aller Furcht entsagen,

Es mutig und voll Hoffnung wagen,

Und uns nun ganz der Liebe weihn,

Das Glück wird uns doch günstig sein;

Und uns nun ganz der Liebe weihn,

Das Glück wird uns doch günstig sein!


Sie geben sich die Hände und wenden sich zum Gehen.


CLAUDIA wie vorher in ihrem Zimmer rechts.

Rosalie! Rosalie! Wer ist denn nun schon wieder da?

LEONORE leise.

Die Mutter! Die Mutter! Die Mutter!

DIE ANDERN DREI stets ebenso.

Die Alte! Die Alte!

ALLE VIER stets ebenso.

Ach, fort, fort! geschwinde,

Damit sie uns nicht mehr hier finde!

CLAUDIA wie vorher.

Nun wird's bald? Oder soll ich kommen?

LEONORE.

Dies hat mir allen Mut benommen!

ROSALIE.

Laß mich nur machen, nur voran!

ROSALIE UND LEONORE.

Ich bin voll Angst, was fang' ich an!

SICHEL UND GOTTHOLD.

Fort, daß man uns nicht hindern kann!

[64] ROSALIE UND LEONORE.

Ich bin voll Angst, was fang' ich an!

SICHEL UND GOTTHOLD.

Fort, daß man uns nicht hindern kann!


Sie führen Leonore ab durch die Mitte.


Quelle:
Karl Ditters von Dittersdorf: Doktor und Apotheker. Dichtung von Stephanie dem Jüngeren, Leipzig [o. J.], S. 62-65.
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