Achtundsechzigstes Kapitel.

[197] Obgleich die Unannehmlichkeit, die meinem Onkel Toby ein Jahr nach der Zerstörung von Dünkirchen mit der Wittwe Wadmann passirt war, ihn in dem Entschlusse befestigt hatte, nie wieder an das schöne Geschlecht und was darauf Bezug hätte, zu denken, so war Korporal Trim doch keineswegs zu demselben Entschlusse gekommen. Allerdings hatte ein sonderbares und höchst ungewöhnliches Zusammentreffen von Umständen den Erstern fast unmerklich dahin gebracht, jene schöne und wohlvertheidigte Festung zu belagern. In Trims Fall traf nichts in der Welt zusammen, als er und Bridget in der Küche; – übrigens war die Liebe und Verehrung, die er für seinen Herrn hegte, so groß, und so sehr war er bestrebt, denselben in Allem nachzuahmen, daß, hätte mein Onkel Toby seine Zeit und sein Genie dazu verwendet, Spitzen zu klöppeln, der ehrliche Korporal sicherlich seine Waffen von sich gelegt und freudig dem Beispiele seines Herrn gefolgt sein würde. Als deshalb mein Onkel Toby sich vor der Herrin festgesetzt, nahm Korporal Trim alsbald Position vor dem Stubenmädchen.

Nun, mein werther Freund Garrick, den zu schätzen und zu verehren ich so viel Grund habe (weshalb? gehört nicht hieher), nun wird es Ihrem Scharfsinne un möglich entgangen sein, wie viele Komödienschreiber und Schnickschnackkünstler in letzter Zeit nach Trims und meines Onkel Toby's Muster gearbeitet[197] haben. Ich kümmre mich wenig darum, was Aristoteles oder Pacuvius oder Bossu oder Riccaboni sagen (obgleich ich nie einen von ihnen las) – aber so viel ist gewiß, ein Einspänner und ein Vis à vis à la Pompadour können nicht verschiedener von einander sein, als eine einfache Liebschaft von einer gehörigen doppelten, die so zu sagen auf allen Vieren durch ein großes Drama hindurch stolzirt. Eine simple, einfache, einfältige Liebschaft, Sir, verliert sich vollständig in den fünf Akten, – darum machen wir's anders. –

Nach einer Reihe von Angriffen und Zurückweisungen, die mein Onkel Toby im Verlaufe von neun Monaten unternommen und erlitten hatte, und wovon an geeigneter Stelle ein ausführlicher Bericht gegeben werden soll, fand der treffliche Mann sich bewogen, seine Streitkräfte zurückzuziehen und etwas unwillig die Belagerung aufzugeben.

Korporal Trim, wie gesagt, fühlte sich dazu nicht verpflichtet, weder sich selbst, noch Jemand anders gegenüber; – aber da sein treues Herz ihm nicht erlaubte, fernerhin ein Haus zu betreten, welches sein Herr mit Widerwillen aufgegeben hatte, so begnügte er sich damit, die Belagerung von seiner Seite in eine Blokade zu verwandeln, d.h. Andere abzuhalten. Ob gleich er also das Haus nicht betrat, so begegnete er doch Bridget nie im Dorfe, ohne ihr zu winken, oder zuzunicken, oder sie anzulächeln, oder freundlich anzusehen, oder (wenn sich's gerade machte) ihr die Hand zu schütteln, oder sie freundlich zu fragen, wie's ihr gehe, oder ihr ein Band zu schenken, oder ab und zu, – aber nicht anders als in allen Ehren, sie zu –

So hatten die Sachen volle fünf Jahre gestanden, nämlich von der Zerstörung Dünkirchens im Jahre 13 bis zum Schluß von meines Onkel Toby's Campagne im Jahre 18, was etwa sechs oder sieben Wochen vor der Zeit war, von der ich rede, als Trim eines Abends, nachdem er meinen Onkel zu Bett gebracht hatte, wie gewöhnlich noch einmal hinunterging, um nach den Befestigungen zu sehen, und dabei Bridget im Mondschein erspähte.

Der Korporal, dem nichts auf der Welt so sehenswerth[198] dünkte, als die Werke, die er und Onkel Toby erbaut hatten, nahm sie höflich und zuvorkommend bei der Hand, um sie dahin zu führen. Eine reine Privatangelegenheit, aber Fama's tückische Posaune trug das Gerücht davon von Ohr zu Ohr, bis es auch das meines Vaters erreichte, und zwar mit der fatalen Zuthat, daß meines Onkel Toby's niedliche Zugbrücke, die nach holländischer Art erbaut und angestrichen war und quer über dem Graben lag, in derselben Nacht zusammengebrochen und auf unbegreifliche Weise zertrümmert worden sei.

Man wird bemerkt haben, daß mein Vater keine besondere Achtung für meines Onkel Toby's Steckenpferd hegte; ihm dünkte es das lächerlichste Pferd, das je ein anständiger Mensch geritten, und deshalb konnte er nie ohne Lächeln daran denken, ausgenommen wenn ihn mein Onkel damit ärgerte; – lahmte es, oder stieß ihm irgend ein Mißgeschick zu, so kitzelte das meines Vaters Einbildungskraft ganz besonders – aber dieser Unfall belustigte ihn mehr als irgend einer, der es noch betroffen, und wurde eine unerschöpfliche Quelle der Unterhaltung für ihn. – Im Ernst, lieber Bruder Toby, sagte er dann, wie ging das mit der Brücke nur eigentlich zu? – Warum neckst Du mich, erwiederte mein Onkel Toby darauf; ich habe es Dir doch wohl zwanzigmal erzählt, Wort für Wort, wie Trim es mir erzählt hat. – Also, Korporal, wie war's? rief dann mein Vater, und wandte sich gegen Trim. – Unglück war's, Ew. Gnaden. Ich zeigte Mistreß Bridget unsere Befestigungen und kam dem Fossé ein bischen zu nahe und rutschte hinein. – Ja, ja, Trim, rief dann mein Vater (wobei er bedeutungsvoll lächelte und mit dem Kopfe nickte, aber ohne ihn zu unterbrechen,) – und weil ich auf der linken Seite angehenkelt war, ich hatte Mr. Bridget nämlich unterm Arm, – so zog ich sie mit und – bautz! fiel sie rückwärts gegen die Brücke; – und Trims Fuß (rief dann mein Onkel Toby, der ihm die Geschichte aus dem Munde nahm) kam in die Lunette, und er stürzte auch gegen die Brücke. Der arme Bursche hätte das Bein brechen können. – Ach ja, Bruder, sagte dann mein Vater, bei solchen Fällen bricht man sich leicht ein Glied. – Und so, Ew. Gnaden, brach die Brücke,[199] die, wie Ew. Gnaden wissen, nur ein leichtes Ding war, unter uns zusammen und ging zu Grunde.

Ein anderes Mal, besonders aber, wenn mein Onkel Toby unglücklicherweise ein Wörtchen von Kanonen, Bomben oder Petarden erwähnte, erschöpfte mein Vater den ganzen Schatz seiner Beredsamkeit (der nicht klein war) im Lobe auf die Widder der Alten, und auf die »vinea«, welche Alexander bei der Belagerung von Tyrus angewandt hatte. Dann erzählte er meinem Onkel Toby von den Katapulten der Syrier, die so und so viel hundert Fuß weit ungeheure Steine geschleudert und die stärksten Befestigungen in ihrem Grunde erschüttert hätten; beschrieb den wundervollen Mechanismus der Balisten, von denen Marcellinus so viel Rühmens macht, die schrecklichen Wirkungen der Pyroboli, welche Feuer warfen, die Gefährlichkeit der terebrae und scorpiones, welche Speere schossen. – Aber was will das alles gegen die Zerstörungsmaschine des Korporals sagen? Glaube mir, Bruder Toby, keine Brücke, keine Bastion, kein Ausfallthor in der Welt ist fest genug gegen dies Geschütz.

Mein Onkel Toby versuchte es nie, sich gegen diese Spöttereien anders zu vertheidigen, als dadurch, daß er seine Pfeife mit verdoppelter Heftigkeit schmauchte, und eines Abends nach Tische machte er bei diesem Anlaß einen solchen Rauch, daß mein Vater, der ein wenig engbrüstig war, einen Anfall von Stickhusten davon bekam. Trotz der Schmerzen, die ihm sein krankes Schambein verursachte, sprang mein Onkel Toby sogleich von seinem Sessel auf, hinkte zu meines Vaters Stuhle, klopfte ihn mit der einen Hand in den Rücken, hielt ihm mit der andern den Kopf und wischte ihm von Zeit zu Zeit mit einem reinen Schnupftuche, das er aus der Tasche zog, die Augen. Die zärtliche und liebevolle Art, mit der mein Onkel diese kleinen Dienste leistete, schnitt meinen Vater ins Herz: denn er dachte daran, wie sehr er ihn eben gekränkt hätte. – Möge ein Widder oder ein Katapult mir den Schädel einstoßen, sagte er zu sich selbst, wenn ich diese treue Seele je wieder beleidige. –

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 197-200.
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