Siebenundsechzigstes Kapitel.

[195] Alles ist mäuschenstill, rief mein Vater, wenigstens da oben; ich höre nicht den leisesten Fußtritt. – Wer ist in der Küche, Trim? – In der Küche ist kein Mensch, antwortete Trim, indem er sich tief verbeugte, außer Dr. Slop. – Verwirrung über Verwirrung, rief mein Vater und sprang zum zweiten Male vom Stuhle auf, auch nichts geht heute wie es soll. Glaubte ich an die Sterne, Bruder (was mein Vater übrigens that), so würde ich darauf schwören, daß irgend ein rückschreitender[195] Planet über diesem meinem unglücklichen Hause stehe und alles darin um und um kehre. Ich denke, Dr. Slop ist oben bei meiner Frau; Ihr sagtet's doch. Was in aller Welt hat er nun in der Küche zu schaffen? – Mit Ew. Gnaden Verlaub, erwiederte Trim, er macht so'n Ding, wie 'ne Brücke. – Das ist sehr liebenswürdig von ihm, sagte mein Onkel Toby, geh hin, Trim, bringe Dr. Slop meine Empfehlung und sag' ihm, ich ließe ihm herzlich danken.

Mein Onkel verstand das mit der Brücke falsch, es ging ihm damit wie meinem Vater mit den Mörsern. Aber um Euch begreiflich zu machen, wie solch ein Mißverständniß möglich war, werde ich leider den ganzen langen Weg mit Euch zurücklegen müssen, der bis zu dieser Brücke führt, oder – um mein Gleichniß fallen zu lassen (denn für Geschichtsschreiber ist der Gebrauch von Metaphern geradezu unehrlich), wenn Ihr gründlich verstehen wollt, auf welche natürliche Weise mein Onkel Toby in diesen Irrthum verfiel, so werde ich Euch, allerdings sehr gegen meinen Willen, ein Abenteuer Trims erzählen müssen. Ich sage, sehr gegen meinen Willen, und zwar aus dem einzigen Grunde, weil dieser Geschichte so zu sagen hier nicht an der richtigen Stelle steht, denn eigentlich müßte sie bei der Erzählung von meines Onkel Toby's Liebschaft mit der Wittwe Wadmann – wobei Korporal Trim eine hervorragende Rolle spielt – Erwähnung finden, oder sie müßte in den Bericht über seine und meines Onkels Campagnen auf dem Grasplatze eingefügt werden; an beiden Stellen würde sie sich sehr gut machen, aber wenn ich sie für eine dieser Gelegenheiten aufspare, so verderbe ich meine gegenwärtige Erzählung, – erzähle ich sie dagegen hier, so greife ich vor und schade dem Spätern.

Was meinen Ew. Wohlgeboren, das ich thun soll?

Jetzt erzählen, Mr. Shandy, auf jeden Fall! – Sie sind ein Thor, Mr. Shandy, wenn Sie's thun.

O, ihr gütigen Mächte (denn Mächte seid ihr und gewaltige), die ihr einen Sterblichen befähigt, eine Geschichte zu erzählen, welche überhaupt des Anhörens werth ist, – die ihr liebevoll ihm anzeigt, wo er anfangen, wo er aufhören, was[196] er hineinbringen, was er auslassen, was er in Schatten stellen, was mit vollem Lichte beleuchten soll! Ihr, die ihr herrschet über das weite Reich der biographischen Freibeuter und sehet, in wie viel Nöthe und Verlegenheiten eure Unterthanen stündlich gerathen, – wollt ihr nicht etwas thun?

Ich bitte, ich beschwöre euch nur um das Eine, daß ihr überall da in eurem Reiche, wo, wie hier, zufällig drei Straßen auf einem Punkte zusammentreffen, aus purer Barmherzigkeit wenigstens einen Wegweiser aufrichten möchtet, damit ein armer Teufel, der unsicher geworden ist, wisse, welchen Weg er einzuschlagen habe.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 195-197.
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