Achtundsiebenzigstes Kapitel.

[210] Es ist eine besondere Wohlthat der Natur, daß sie dem menschlichen Geiste dieselbe glückliche Abneigung, dieselbe Widerwilligkeit gegen »das Sichüberzeugenlassen« anerschuf, wie wir sie an alten Hunden bemerken, die neue Kunststücke lernen sollen.

Würde nicht sonst der größte Philosoph von der Welt zu einem reinen Federball umgewandelt werden, wenn er Bücher läse, Thatsachen beobachtete, oder Gedanken dächte, die ihn mit seiner Ueberzeugung bald hier-, bald dorthin trieben?

Wie ich schon früher sagte, dergleichen verachtete mein Vater; er griff eine Ansicht auf, Sir, wie ein Mensch im Naturzustande einen Apfel aufhebt, – der Apfel wird dadurch sein Eigenthum; und wenn er keine Schlafmütze ist, so läßt er sich eher das Leben nehmen, als daß er ihn aufgiebt.

Ich weiß wohl, Didius, der große Civilist, wird diesen Punkt angreifen und mich widerlegen wollen. – Woher hat der Mann ein Recht auf den Apfel? Ex confesso – wird er sagen – Alles befände sich im natürlichen Zustande – so gehört der Apfel dem Peter ebenso gut als dem Hans. Sagen Sie selbst, Mr. Shandy, könnte er ein Vorrecht darauf geltend machen? Wie und wann fing der Sonderbesitz an? als er Lust dazu spürte? als er ihn aufhob? oder ihn kaute? oder ihn briet? oder ihn schälte? oder ihn nach Hause brachte? oder als er ihn verdaute? oder als er – –? Denn das ist doch klar, Sir, wenn das erste Aufheben den Apfel nicht zu dem seinigen machte, so konnte dies auch durch keine nachfolgende That geschehn.

Bruder Didius, wird Tribonius entgegnen – (nun ist aber des großen Civilisten und Kanonisten Tribonius Bart drei und einen halben Zoll lang, also drei Achtel Zoll länger als Didius' Bart, und deshalb bin ich froh, daß er für mich den Handschuh[210] aufnimmt, und lasse ihn ruhig antworten) – Bruder Didius, wird Tribonius sagen, es ist eine ausgemachte Sache, wie Du das auch in den Fragmenten der Codices des Gregorius und Hermogenes, sowie in allen Codices von Justinian an bis auf Louis und Des Eaux finden kannst, daß der Schweiß auf eines Mannes Stirne und die Ausschwitzungen seines Gehirnes dieses Mannes Eigenthum sind, ebenso gut als die Hosen, die er auf dem Leibe trägt; da nun besagter Schweiß u.s.w. bei der Arbeit des Findens und Aufhebens auf besagten Apfel gefallen, von dem Aufhebenden dem Aufgehobenen unauflöslich beigefügt und hinzugethan, mit nach Hause getragen, gebraten, geschält, gegessen, verdaut u.s.w. worden ist, – so ergiebt sich klar, daß der, welcher den Apfel aufhob, mit dem Apfel, der nicht sein Eigenthum war, etwas vermischte, das sein Eigenthum war, wodurch er sich ein Besitzrecht erwarb, oder mit andern Worten – der Apfel gehört Hans.

Durch ähnliche gelehrte Schlußfolgerungen vertheidigte mein Vater alle seine Ansichten; sie aufzugreifen, ließ er sich keine Mühe verdrießen, und je wunderlicher sie waren, desto größern Werth legte er darauf. Niemand machte ihm die Ehre derselben streitig; sie zu brauen und zu verdauen, hatte ihm nicht weniger Mühe gekostet, als jenem sein Apfel, so daß sie wohl mit Recht sein eigen Gut und Blut genannt werden konnten. Deshalb hielt er sie auch mit Zahn und Nagel fest – griff zu ihrer Vertheidigung nach allem, was ihm nur erreichbar war, und verschanzte und befestigte sie mit so viel Wällen und Brustwehren, wie mein Onkel Toby seine Citadelle.

Bei dieser aber war eine verzweifelte Schwierigkeit: der Mangel an Vertheidigungsmaterial nämlich, wenn sie heftig angegriffen werden sollte, denn nur wenige große Geister hatten ihre Talente dazu benutzt, Bücher über große Nasen zu schreiben. Bei meines Kleppers Trott! die Sache ist unglaublich und überschreitet meinen Verstand, wenn ich erwäge, welch ein kostbarer Schatz von Zeit und Talent an viel unwürdigere Gegenstände verschwendet worden ist, und wie viel Millionen Bücher in den verschiedensten Sprachen, Typen und Einbänden über Dinge[211] geschrieben wurden, die nicht halb so viel zur Einigkeit und zum Frieden der Welt beitragen. Um so größern Werth legte mein Vater auf das, was aufzutreiben war, und während er sich oft über meines Onkel Toby's Bibliothek lustig machte, die allerdings auch lächerlich genug war, sammelte er jedes Buch und jede wissenschaftliche Abhandlung über Nasen mit nicht geringerer Sorgfalt, als dieser alles das, was er über Befestigungskunst auffinden konnte. – Freilich, seine Sammlung nahm weniger Platz in Anspruch, aber das war ja nicht Deine Schuld, mein guter Onkel.

Hier – indeß warum gerade hier, statt an irgend einer andern Stelle meiner Geschichte, das vermöchte ich nicht zu sagen – genug, hier drängt mich mein Herz, Dir, mein geliebter Onkel Toby, den Zoll zu entrichten, den ich Deiner Herzensgüte schulde. Laß mich hier meinen Stuhl bei Seite schieben und auf den Fußboden niederknien, um das heißeste Gefühl der Liebe für Dich, sowie der tiefsten Verehrung für Deinen Charakter auszuströmen, wozu Tugend und liebenswerthe Natur nur je das Herz eines Neffen entzündet haben. Möge Ruhe und Friede immerdar Dein Haupt umschweben! Du gönnest jedem seine Freude – kränkest Niemandes Meinungen – verläumdest Niemandes Charakter – verschlingest keines Andern Brod. Gefolgt vom ehrlichen Trim, umhinkest Du harmlos den kleinen Kreis Deiner Freuden – stößest auf Deinem Wege kein lebendes Wesen und hast für jeden Kummer eine Thräne, für jede Noth eine offene Hand.

So lange ich noch einen Groschen habe, um einen Jäter zu bezahlen, soll der Weg von Deiner Thür zu Deinem Rasenplatze nicht verwachsen. So lange die Familie Shandy noch anderthalb Faden Landes ihr Eigenthum nennen darf, sollen Deine Befestigungen, mein lieber Onkel Toby, nicht zerstört werden.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 210-212.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman: (Reihe Reclam)
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)