Siebenundsiebenzigstes Kapitel.

[208] Was für ein schmähliches Leibgedinge wir von diesem kleinen Besitzthume zahlen müssen! sagte meine Großmutter zu meinem Großvater.

Meines Vaters Nase, erwiederte jener, war nicht größer als das Ueberbein auf dem Rücken meiner Hand.

Nun überlebte meine Urgroßmutter meinen Großvater noch um zwölf Jahre, so daß noch mein Vater ihr so lange das Leibgedinge mit einhundertundfünfzig Pfund halbjährlich zahlen mußte.

Kein Mensch in der Welt hatte eine bessere Art, seine Geldverbindlichkeiten zu erfüllen, als mein Vater; bis zu hundert Pfund warf er das Geld, Guinee nach Guinee mit einem lebhaften, wohlmeinenden Ruck auf den Tisch, so wie freigebige Gemüther (und nur die allein) ihr Geld hingeben; aber wenn es an die fatalen fünfzig kam, so ließ er gewöhnlich ein lautes Hm! erschallen, rieb sich die Seite seiner Nase bedächtig mit der innern Fläche des Zeigefingers, schob die Hand vorsichtig zwischen Kopf und Perücke – besah jede Guinee, eh' er sie hinlegte, von beiden Seiten, und konnte selten bis ans Ende der fünfzig Pfund kommen, ohne sein Schnupftuch hervorzuholen und sich die Schläfe abzutrocknen.

Bewahre mich, gnädiger Himmel, vor jenen splitterrichtenden Geistern, die unbarmherzig solche Regungen in uns verdammen! Möge ich nimmer, nimmer in den Zelten jener wohnen, die es nicht verstehn, das Rad zu hemmen, die nicht[208] Erbarmen haben mit der Macht der Erziehung und der Gewalt angeerbter Vorurtheile.

Seit drei Generationen wenigstens hatte der Glaubenssatz von dem Vorzuge langer Nasen in unserer Familie immer tiefer Wurzel gefaßt. Die Tradition hatte ihn aufrecht erhalten und das Interesse ihn halbjährlich gekräftigt, so daß hier die Wunderlichkeit meines Vaters keineswegs die ganze Ehre allein für sich in Anspruch nehmen konnte, wie das bei den meisten seiner andern Schrullen der Fall war; diese hatte er, möchte man sagen, zum größern Theile mit der Muttermilch eingesogen. Doch ließ er's auch an dem Seinigen nicht fehlen; denn hatte Erziehung diesen Irrthum (angenommen, daß es einer war) in ihn gepflanzt, so begoß er ihn wenigstens und brachte ihn zur vollkommnen Reife.

Oft, wenn er seine Gedanken über diesen Gegenstand aussprach, erklärte er, daß es ihm vollkommen unbegreiflich sei, wie die größten Familien in England eine ununterbrochene Folge von sechs oder sieben kurzen Nasen aushalten könnten. Und, fügte er dann hinzu, betrachtet man die Sache von der andern Seite, so möchte das eine der wichtigsten Fragen des bürgerlichen Lebens sein, ob nicht eine gleiche Anzahl langer und munterer Nasen, wenn sie in direkter Linie auf einander folgten, zu den höchsten Ehrenstellen im Königreiche emporheben müßte. Zu Heinrichs VIII. Zeit, rühmte er oft, wäre die Familie Shandy sehr einflußreich gewesen; diese hohe Stellung habe sie nicht der Staatsmaschine zu verdanken gehabt, sondern blos jenem Umstande; aber dann, fügte er hinzu, wäre es ihr wie andern Familien ergangen, – das Rad hätte sich gewandt, – meines Urgroßvaters Nase hätte ihr einen Schlag versetzt, von dem sie sich nie wieder hätte erholen können. – 's war wirklich ein Eicheldaus, rief er dann kopfschüttelnd, und ein so nichtsnutziges für seine arme Familie, als nur je eins zum Stich kam.

Sachte, sachte, lieber Leser! wohin führt Dich Deine Phantasie! Auf mein ehrliches Wort, ich meine mit meines Urgroßvaters Nase das äußere Geruchsorgan oder den Theil des Menschen, der aus seinem Gesichte hervorragt und der, wie die[209] Maler von guten ordentlichen Nasen und wohlproportionirten Gesichtern verlangen, ein volles Drittel des letztern ausmachen muß – nämlich von dem Ansatz des Haares an gemessen.

Wie's einem Autor doch schwer gemacht wird! –

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 208-210.
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