Einhundertundfünfzehntes Kapitel.

[305] – Hier stand Didius auf, legte die ausgespreizte Hand aufs Herz und sagte: Wäre nun ein solches Versehen mit dem Taufnamen vor der Reformation geschehen, – (es geschah erst vorgestern, sagte mein Onkel Toby zu sich) und hätte die Taufe in lateinischer Sprache stattgefunden – (sie fand in unserer Sprache statt, sagte mein Onkel) – so hätte mancherlei zusammentreffen können, was auf Grund kirchlicher Dekrete anzuführen gewesen wäre, um die Taufe für null und nichtig zu erklären und dem Kinde einen andern Namen zu geben. Hätte z.B. ein Priester, weil er der lateinischen Sprache nicht mächtig gewesen wäre, wie das nicht ungewöhnlich ist, das Kind des Hans oder des Peter in nomine patriae et filia et spiritum sanctos getauft, so würde die Taufe nicht gültig sein. – Da bitte ich um Verzeihung, rief Kysarcius, – in diesem Falle würde die Taufe wohl gültig sein, denn die Endungen sind blos falsch; – hätte aber der Priester die erste Silbe, nicht, wie Sie anführten, blos die letzte jedes Wortes verdreht, dann allerdings wäre sie ungültig.

Solche Spitzfindigkeiten waren ganz nach meines Vaters Geschmacke; er horchte mit unbeschreiblicher Aufmerksamkeit zu.

Gastripheres, fuhr Kysarcius fort, tauft z.B. das Kind von Jochen Krummbein in gomine gatris u.s.w. statt in nomine patris u.s.w. – Gilt die Taufe? Nein, sagen die geschicktesten Kirchenlehrer, darum nämlich nicht, weil hier die Wurzel jedes Wortes verhunzt ist und dadurch Sinn und Bedeutung ganz und durchaus anders geworden sind, denn gomine bedeutet nicht Name und gatris nicht Vater. – Was bedeutet es denn? fragte mein Onkel Toby. – Gar nichts, sagte Yorick. – Ergo ist eine solche Taufe ungültig, sagte Kysarcius.

Natürlich, sagte Yorick, mit einem Tone, der zwei Drittheil wie Spaß, ein Drittheil wie Ernst klang.[305]

Aber in dem angeführten Falle, fuhr Kysarcius fort, wo patriae für patris, filia für filii u.s.w. gesetzt ist, wo also der Fehler nur in der Deklination liegt, die Wurzeln der Wörter aber dieselben geblieben sind, stören die falschen Flexionen die Gültigkeit der Taufe durchaus nicht, denn mögen sie sein wie sie wollen, der Sinn der Worte ist, wie gesagt, geblieben. – Aber dann, sagte Didius, muß wenigstens bewiesen werden, daß der Priester nach den Regeln der Grammatik hat taufen wollen. – Ganz Recht, Kollege Didius, antwortete Kysarcius, und dafür haben wir in den Dekretalien des Pabstes Leo III. eine einschlagende Verordnung. – Aber meines Bruders Kind hat ja doch mit dem Pabste nichts zu schaffen, rief mein Onkel Toby; es ist ein ehrliches Protestantenkind, und gegen den Willen seines Vaters, seiner Mutter und aller Verwandten Tristram getauft worden.

Wenn der Wunsch und Wille aller derer, unterbrach Kysarcius meinen Onkel Toby, welche zu dem Kinde des Herrn Shandy in einem verwandtschaftlichen Verhältnisse stehen, überhaupt von Gewicht sein kann, so ist dies doch in Betreff der Madame Shandy durchaus nicht der Fall. – Mein Onkel Toby legte seine Pfeife hin, und mein Vater rückte seinen Stuhl näher an den Tisch, um den Schluß einer so überraschenden Eingangsbehauptung besser vernehmen zu können.

Es ist, Kapitän Shandy, fuhr Kysarcius fort, unter den Gesetzkundigen1 dieses Landes nicht allein die Frage aufgeworfen worden, »ob die Mutter überhaupt zu den Verwandten des Kindes gehöre«, sondern man hat sich auch nach vielen vorurtheilsfreien Untersuchungen und nachdem Gründe dafür und dagegen angeführt wurden, endlich dahin entschieden, daß die Mutter mit dem Kinde nicht verwandt sei2.

Mein Vater legte seine Hand sogleich auf meines Onkel Toby's Mund, anscheinend weil er ihm etwas ins Ohr sagen wollte, eigentlich aber weil er den Lillabullero befürchtete, und[306] da er äußerst begierig war, einen so interessanten Beweis zu vernehmen, beschwor er meinen Onkel Toby, um des Himmels willen still zu sein. Mein Onkel Toby nickte, steckte seine Pfeife wieder in den Mund und pfiff den Lillabullero blos inwendig. Kysarcius, Didius und Triptolemus aber setzten ihr Gespräch folgendermaßen fort:

Wie sehr diese Entscheidung der gewöhnlichen Anschauungsweise auch entgegen zu sein scheint, sagte Kysarcius, so hat sie doch gewichtige Gründe für sich, und seit dem berühmten Rechtsstreit, der unter dem Namen »der Suffolksche Prozeß« bekannt ist, ist sie als unbestreitbar angenommen. – Brooke citirt den Fall, sagte Triptolemus. – Auch Lord Coke erwähnt ihn, fügte Didius hinzu. – Und in Swinburn »über testamentarische Verfügungen« kann man ihn ebenfalls finden, sagte Kysarcius.

Der Fall war folgender, Mr. Shandy:

Unter der Regierung Eduards VI. vermachte der Herzog Karl von Suffolk, der aus verschiedenen Ehen einen Sohn und eine Tochter hatte, dem Sohne seine Güter und starb. Nach ihm starb auch der Sohn, der unverheirathet geblieben war, ohne ein Testament zu hinterlassen; seine Mutter und seine Stiefschwester (aus des Vaters erster Ehe) überlebten ihn. Alsbald trat die Mutter in den Besitz der Güter ihres Sohnes ein, kraft des Statutes Heinrichs VIII. vom Jahre 21, welches verordnet, daß, so Jemand ohne Testament stirbt, seine Güter dem nächsten Verwandten zufallen sollen.

Nachdem der Mutter die Güter (unrechtmäßigerweise) übergeben worden waren, strengte die Schwester des Verstorbenen (von väterlicher Seite) vor dem königlichen Erbschaftsgerichte einen Prozeß an, indem sie behauptete, 1) daß sie die nächste Verwandte und 2) daß die Mutter gar keine Verwandte des Verstorbenen sei, weshalb sie das Gericht bat, die Uebergabe der Güter an die Mutter zu widerrufen und ihr, als der nächsten Verwandten, welcher sie nach dem Statute zukämen, dieselben zu übergeben.

Da dies ein wichtiger Fall war, von dessen Entscheidung[307] insofern viel abhing, als dadurch für alle spätern Fälle eine Präcedenz geschaffen wurde, so befragte man die gelehrtesten Rechtskundigen darüber, ob die Mutter als Verwandte des Sohnes zu betrachten sei oder nicht, worauf nicht allein die Civilisten, sondern auch die Kanonisten, die Juriskonsulte, – die bürgerlichen Gerichtshöfe, die Konsistorien und die Richter der geistlichen Gerichtshöfe der Erzbischöfe von Canterbury und York, sowie die Graduirten der Fakultät einstimmig den Ausspruch thaten, »daß die Mutter keine Verwandte des Kindes sei«3.

Und was sagte die Herzogin von Suffolk dazu? fragte mein Onkel Toby.

Diese Frage meines Onkels Toby kam so unerwartet, daß sie Kysarcius mehr verwirrte, als irgend ein Einwurf, den der geschickteste Advokat ihm hätte ma chen können. Er hielt inne – und sah meinen Onkel Toby eine ganze Minute lang schweigend an; diesen Augenblick benutzte Triptolemus, um ihn bei Seite zu schieben und das Wort zu ergreifen.

Ein Fundamentalsatz des Rechtes ist der, sagte er, daß nichts hinauf-, sondern alles hinabsteigt; deshalb ist das Kind allerdings vom Blut und Samen der Eltern, aber die Eltern sind nicht vom Blut und Samen des Kindes, denn das Kind hat nicht die Eltern, sondern die Eltern haben das Kind erzeugt, so steht es geschrieben: Liberi sunt de sanguine patris et matris, sed pater et mater non sunt de sanguine liberorum.

Das aber, Triptolemus, beweist wieder zu viel, rief Didius; denn dieser Autorität zufolge würde nicht allein die Mutter des Kindes Verwandte nicht sein, was allgemein zugegeben wird, sondern auch der Vater wäre ihm nicht verwandt. – Man hält dies auch allgemein für die richtigere Ansicht, sagte Triptolemus, weil Vater, Mutter und Kind, obgleich drei Personen, doch nur una caro4 – Ein Fleisch sind, und also keine Verwandtschaft stattfindet, noch auf natürliche Weise stattfinden[308] kann. – Sie beweisen wieder zu viel, rief Didius; – weshalb nicht auf natürliche Weise? wenn gleich das levitische Gesetz es verbietet; kann nicht Jemand mit seiner Großmutter ein Kind erzeugen? In diesem Falle, und angenommen, das Kind wäre eine Tochter, würde sie so wohl verwandt sein mit – Aber wem würde das je einfallen? rief Kysarcius. – Warum nicht, sagte Yorick, z.B. jenem Burschen, von dem Selden erzählt, dem fiel es nicht blos ein, sondern er rechtfertigte seine Ansicht auch noch seinem Vater gegenüber, indem er sich auf das Recht der Wiedervergeltung berief. – Schlafen Sie bei meiner Mutter, Sir, sagte der Junge, warum ich nicht bei Ihrer? – Das ist ein argumentum commune, setzte Yorick hinzu – Sie verdienen's nicht besser, entgegnete Eugenius und griff nach seinem Hut.

Die Gesellschaft brach auf.

Fußnoten

1 Vide Swinburn über Testamente. Abth. 7, § 8.


2 Vide Brooke's Auszug. Abth. Verwaltungsgesetze Nr. 47


3 Mater non numeratur inter consanguineos. Bald. in ult. c. de verb. signific.


4 Brooke's Auszug. Abth. Verwaltungsgesetze Nr. 47.


Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 305-309.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman: (Reihe Reclam)
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Schnitzler, Arthur

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

Der grüne Kakadu. Groteske in einem Akt

In Paris ergötzt sich am 14. Juli 1789 ein adeliges Publikum an einer primitiven Schaupielinszenierung, die ihm suggeriert, »unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen«. Als der reale Aufruhr der Revolution die Straßen von Paris erfasst, verschwimmen die Grenzen zwischen Spiel und Wirklichkeit. Für Schnitzler ungewöhnlich montiert der Autor im »grünen Kakadu« die Ebenen von Illusion und Wiklichkeit vor einer historischen Kulisse.

38 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon