Einunddreißigstes Kapitel.

[98] Was machen sie nur da oben, Bruder? sagte mein Vater. – Ich meine, erwiederte mein Onkel Toby, der seine Pfeife aus dem Munde nahm und die Asche ausklopfte, während er seine Rede begann, – ich meine, erwiederte er, daß es gut sein würde, Bruder, wenn wir klingelten.

Was bedeutet der Lärm über unsern Köpfen, Obadiah? fragte mein Vater; mein Bruder und ich, wir können kaum unser eigenes Wort hören.[98]

Herr, entgegnete Obadiah, indem er sich nach links hin verbeugte, – Madame ist plötzlich sehr unwohl geworden. – Und was läuft Susanna dort durch den Garten, als ob der böse Feind hinter ihr her wäre? – Herr, entgegnete Obadiah, sie läuft auf dem kürzesten Wege nach der Stadt, um die alte Hebamme zu holen. – Dann sattle ein Pferd, sagte mein Vater, und reite gleich zu Dr. Slop, dem Geburtshelfer; – bestell' ihm meine Empfehlung, und die Wehen bei Deiner Herrin hätten sich eingestellt, und ich ließe ihn bitten, so schnell als möglich herzukommen.

Es ist sonderbar, wandte sich mein Vater zu meinem Onkel Toby, als Obadiah zur Thür hinaus war, – da ist nun ein so geschätzter Arzt wie Dr. Slop ganz in der Nähe, und doch besteht meine Frau in ihrem unverzeihlichen Eigensinne darauf, das Leben meines Kindes, das schon Ein Mißgeschick betroffen, der Unwissenheit eines alten Weibes anzuvertrauen; und nicht das Leben meines Kindes allein, Bruder, sondern auch das ihrige und das aller der Kinder, die ich vielleicht noch später mit ihr erzeugen könnte.

Vielleicht, Bruder, erwiederte mein Onkel Toby, thut es meine Schwägerin der Kosten wegen. – Dummheit! entgegnete mein Vater, der Doktor muß so oder so bezahlt werden, mag er nun Hand anlegen oder nicht, – ja vielleicht noch besser, damit er sich nicht ärgert.

Dann, sagte mein Onkel Toby in der Unschuld seines Herzens, dann kann es durchaus nichts Anderes sein als Schamgefühl. Ich wette darauf, setzte er hinzu, sie will nicht, daß ein Mann ihr so nahe komme – – Nun vermöchte ich nicht zu sagen, ob mein Onkel Toby damit den Satz beendigt hatte oder nicht; – zu seinen Gunsten nehme ich das Erstere an, denn ich meine durch jedes Wort mehr wäre der Satz schlechter geworden.

Hätte dagegen mein Onkel Toby seinen Satz wirklich nicht beendigt gehabt, so verdankt die Welt dem Umstande, daß meines Vaters Pfeife zerbrach, eines der artigsten Beispiele zu der Redefigur, welche die Rhetoriker Aposiopesis nennen. Gerechter Himmel! wie sehr kommt es bei der Schönheitslinie eines Satzes,[99] wie bei der einer Bildsäule auf das poco piu und poco meno der italienischen Künstler, auf das unmerkliche Mehr oder Weniger an! Wie verleihen gerade die leichten Striche des Meißels, des Pinsels, der Feder, des Fiedelbogens u.s.w. jenen rechten Ausdruck, welcher den wahren Genuß erzeugt. O, liebe Landsleute! seid keusch, seid vorsichtig in Eurer Sprache und vergeßt nie, o nie! von was für kleinen Partikeln Eure Beredsamkeit und Euer Ruhm abhängt.

Wahrscheinlich, sagte mein Onkel Toby, will meine Schwägerin nicht, daß ihr ein Mann so nahe komme – Macht man einen Gestankenstrich, so ist dies eine Aposiopesis; nimmt man den Gedankenstrich weg und schreibt »an ihren Hintern«, so ist das eine Unanständigkeit; streicht man Hintern aus und setzt dafür »gedeckten Weg«, so ist das eine Metapher, und da meinem Onkel Toby die Befestigungskunst immer im Sinne lag, so glaube ich, es würde dies das Wort gewesen sein, welches er an seine Rede gefügt hätte, wäre es überhaupt dazu gekommen.

Ob das nun aber in seiner Absicht gelegen oder nicht, oder ob das verhängnißvolle Zerbrechen der Tabakspfeife meines Vaters zufällig, ob aus Aerger geschah, das wird seiner Zeit gemeldet werden.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 98-100.
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