Zweiunddreißigstes Kapitel.

[100] Obgleich mein Vater von Natur ein guter Philosoph war, so hatte er doch auch etwas von einem Moralisten an sich; deshalb hätte er, als er seine Tabakspfeife mitten durchgebrochen, nichts Anderes thun sollen, als die beiden Stücke ruhig ins Feuer werfen. Das that er aber nicht; er schleuderte sie vielmehr mit aller Gewalt hinein und sprang, wahrscheinlich des größeren Nachdrucks wegen, dabei von seinem Sitze auf.

Das sah wie Heftigkeit aus, und die Art, wie er meinem Onkel Toby antwortete, bewies, daß er wirklich heftig war.

»Will nicht, daß ein Mann so nahe komme!« rief mein Vater aus, indem er Onkel Toby's Worte wiederholte. Bei Gott, Bruder, Du könntest einen Hiob aus seiner Geduld bringen;[100] habe ich denn nicht ohnedies schon Schererei genug! – Wie so? warum? weswegen? woher? in wie fern? erwiederte mein Onkel Toby ganz erstaunt. – Ein Mann in Deinen Jahren, Bruder, sagte mein Vater, und kennt die Weiber so wenig! – Ich kenne sie gar nicht, erwiederte mein Onkel Toby, und ich meine die Unannehmlichkeit, die ich ein Jahr nach der Zerstörung von Dünkirchen mit der Wittwe Wadmann hatte, – eine Unannehmlichkeit, die ich mir bei einiger Kenntniß des schönen Geschlechtes nie zugezogen hätte, – berechtigt mich wohl zu sagen, daß ich von Allem, was die Frauen betrifft und angeht, nichts weiß und nichts wissen will. – Du solltest doch aber, sagte mein Vater, das rechte Ende, bei dem ein Weib angegriffen sein will, von dem unrechten unterscheiden können.

Aristoteles sagt uns in seinem Meisterwerke: »daß Jemand, der an Vergangenes denke, vor sich hin zur Erde blicke, während der, welcher an Zukünftiges denkt, zum Himmel aufschaue«.

Mein Onkel dachte wahrscheinlich weder an das Eine, noch an das Andere, denn er sah geradeaus. Das rechte Ende! murmelte mein Onkel Toby vor sich hin und richtete dabei unbewußt seine Augen auf eine kleine Ritze, die durch zwei schlecht verbundene Kacheln im Mantel des Kamines gebildet wurde, – das rechte Ende bei einem Weibe! – Ich erkläre, davon nicht mehr zu verstehen, als von dem Mann im Monde; und wenn ich, fuhr mein Onkel Toby fort und hielt die Augen noch immer fest auf die Ritze gerichtet, – und wenn ich diesen ganzen Monat darüber nachdächte, ich brächte es sicher nicht heraus.

Dann will ich Dir's erklären, Bruder, sagte mein Vater.

Jedes Ding in der Welt, fuhr mein Vater fort und stopfte sich eine neue Pfeife, jedes Ding in der Welt, lieber Bruder Toby, hat zwei Handhaben. Nicht immer, sagte mein Onkel Toby. – Wenigstens jedes hat zwei Seiten, an denen man es fassen kann, was auf dasselbe herauskommt. Wenn nun ein Mann sich hinsetzt und das ganze Machwerk, die Gestalt, Bildung, Leistungsfähigkeit und Zweckmäßigkeit der einzelnen Theile jenes Thieres, Weib genannt, in Betracht zieht und sie[101] nach den Gesetzen der Analogie – Ich verstehe das Wort nicht recht, sagte mein Onkel Toby.

Analogie, erwiederte mein Vater, ist ein gewisser Grad von Verwandtschaft und Uebereinstimmung mit – Hier brach ein entsetzliches Klopfen an der Thür die Auseinandersetzung meines Vaters mitten durch (wie vorher seine Tabakspfeife) und drückte damit einer so beachtenswerthen und interessanten Abhandlung, wie nur je eine dem Mutterleibe der Spekulation entsprungen, den Kopf ein. Es dauerte einige Monate, ehe mein Vater die geeignete Gelegenheit fand, sie sicher an den Mann zu bringen, und wenn ich die Verwirrung und die Unfälle erwäge, welche nun massenhaft über unser Haus hereinbrachen, so scheint es mir zur Zeit ebenso problematisch zu sein, als es der Gegenstand der Abhandlung selbst ist, ob ich im Stande sein werde, in diesem Bande noch einen Platz dafür zu finden, oder nicht.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 100-102.
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