Vierzehntes Kapitel.

[42] Als ich meiner Mutter Ehevertrag durchsah, um mich und den Leser über einen Punkt aufzuklären, der durchaus klar sein mußte, ehe wir in dieser Geschichte weiter fortfahren konnten, hatte ich das gute Glück, gerade auf das, was ich suchte, zu fallen, nachdem ich kaum mehr als anderthalb Tage ohne Unterbrechung gelesen hatte: es hätte mich einen ganzen Monat kosten können, und daraus sieht man deutlich, daß, wenn sich Jemand hinsetzt, um eine Geschichte zu schreiben – meinetwegen nur die von Peter Glückspilz oder von Hans Däumling, er von all den[42] verdammten Hindernissen, die ihm in den Weg treten können, und von den Tänzen, in die er durch diese oder jene Abschweifung verwickelt werden kann, gerade so viel weiß wie sein kleiner Finger, ehe nicht alles vorbei ist. Ja, könnte ein Historiograph seine Geschichte so vor sich hertreiben wie ein Maulthiertreiber sein Maulthier, immer geradeaus, zum Beispiel den ganzen Weg von Rom nach Loretto, ohne nur einmal den Kopf nach links oder rechts zu wenden, so würde er allerdings bis auf die Stunde vorhersagen können, wann er an seinem Ziele ankäme. Aber das ist eine moralische Unmöglichkeit; denn wenn er nur ein Körnchen Geist besitzt, so wird er durch dies oder jenes veranlaßt werden, fünfzigmal vom geraden Wege abzuschweifen, und Gesellschaft kann er erst gar nicht vermeiden. An- und Aussichten werden sein Auge unaufhörlich locken, und ebenso wenig wie er fliegen kann, wird er unterlassen können, still zu stehen und sie zu betrachten; außerdem wird er verschiedene


Berichte in Uebereinstimmung zu bringen,

Anekdoten aufzulesen,

Inschriften zu entziffern,

Geschichtchen einzuweben,

Ueberlieferungen zu sichten,

Berühmte Personen aufzuführen,

Lobreden an diese,

Pasquille an jene Thür zu heften


haben, was der Mann und das Maulthier alles nicht zu thun brauchen. Genug, da giebt es auf jeder Station Archive, die durchstöbert sein wollen, Schriften, Urkunden, Dokumente und endlose Stammbäume, die er durchaus durchlesen muß, um doch Allen gerecht zu werden; das hält ihn natürlich auf – das hat kein Ende. Was mich anbetrifft, so erkläre ich hiemit, daß ich mich diese letzten sechs Wochen beeilt habe, so sehr ich konnte, und doch bin ich noch nicht einmal geboren; ich bin nur eben im Stande gewesen zu sagen, wann es geschah, aber nicht wie, so daß die Sache natürlich noch lange nicht abgethan ist.

Von diesen unvorhergesehenen Verzögerungen hatte ich keinen Begriff, als ich mich zuerst auf den Weg machte, aber[43] jetzt bin ich überzeugt, daß sie sich, je weiter ich fortschreite, eher mehren als vermindern werden; und das hat mich auf einen Gedanken gebracht; dem ich zu folgen entschlossen bin: ich will mich nämlich nicht übereilen, sondern ganz gemächlich vorwärts gehen und jedes Jahr zwei Bände meines Lebens schreiben und drucken lassen. Vorausgesetzt dann, daß man mich nicht stört, und daß ich mit meinem Buchhändler ein nicht gar zu schlechtes Abkommen treffen kann, so werde ich das fortsetzen, so lange ich lebe. –

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 42-44.
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