Zwölftes Kapitel.

[36] Der Gläubiger unterscheidet sich hinsichtlich der Länge seines Geldbeutels von dem Schuldner nicht so sehr, als der Spaßvogel von dem, den sein Scherz traf, hinsichtlich der Länge des Gedächtnisses. Aber hier geht der Vergleich, wie die Scholasten es nennen, auf allen Vieren, was, nebenbei gesagt, um ein oder zwei Beine mehr ist, als Homers beste Vergleiche für sich in Anspruch nehmen können, nämlich: der Eine erhebt auf fremde Kosten eine Summe Geldes, der Andre ein Gelächter, und beide denken nicht weiter daran. Die Interessen laufen jedoch hier wie da fort, werden terminweise oder gelegentlich bezahlt und dienen eben dazu, die Erinnerung an die Sache frisch zu erhalten, bis plötzlich zur bösen Stunde der Gläubiger jedem von ihnen über den Hals kommt, auf der Stelle Kapital und volle Zinsen bis zum laufenden Tage einfordert und ihnen auf diese Weise die ganze Ausdehnung ihrer Verpflichtungen fühlbar macht.[36]

Da der Leser (denn ich hasse die »Wenns«) eine gründliche Kenntniß der menschlichen Natur besitzt, so brauche ich ihm weiter nicht zu sagen, daß mein Held bei seiner Art zu procediren einige Bekanntschaft mit diesen gelegentlichen Mementos machen mußte. Die Wahrheit zu sagen, hatte er sich leichtfertig in eine Menge solcher kleinen Schulden verwickelt, die er trotz Eugenius' wiederholter Warnung zu sehr auf die leichte Schulter nahm, denn er meinte, keine einzige derselben wäre ja in böslicher Absicht eingegangen, sondern mit ehrlichem Gemüthe und aus fröhlicher Laune, und so würden sie alle mit der Zeit gestrichen werden.

Eugenius wollte das nie zugeben und sagte oft, man würde sie ihm einmal eines Tages alle anrechnen, und zwar – wie er mit einem Tone sorgenschwerer Ahnung hinzusetzte – mit Zins auf Zins. Worauf Yorick in seiner gewöhnlichen Sorglosigkeit mit einem »Pah« zu antworten pflegte, und kam die Rede auf diesen Gegenstand, während sie im Felde spazieren gingen, so war er mit einem Wupp und Sprung am andern Ende; aber eingezwängt im Kaminwinkel mit einem Tische und ein Paar Armstühlen vor sich, so daß er nicht so leicht in der Tangente entschlüpfen konnte, mußte er wohl Eugenius anhören, der ihm dann etwa so – nur besser stylisirt – eine Vorlesung über Diskretion hielt:

»Glaube mir, Yorick, diese unbedachte Spaßlust wird dich früher oder später noch in solche Verlegenheiten und Unannehmlichkeiten bringen, daß keine späte Klugheit dich daraus erlösen kann. Ich seh' es ja: nur zu oft betrachtet sich der, über den man bei deinen Ausfällen lacht, als eine beleidigte Person mit allen den Rechten, die einer solchen zustehen; und wenn du ihn auch in diesem Lichte betrachtest, wenn du alle seine Freunde, seine Familie, seine Verwandten, seine Verbündeten zusammenzählst, wenn du noch alle jene hinzurechnest, die sich aus einem Gefühle gemeinsamer Gefahr um ihn schaaren, so gehört wahrlich keine große Rechenkunst dazu, um zu finden, daß du dir immer für je zehn Späße hundert Feinde gemacht hast; aber ehe du dir nicht einen Schwarm Wespen um die Ohren herbeigefochten,[37] und sie dich nicht halb zu Tode gestochen, wirst du das nicht einsehen. Ich bin weit davon entfernt, dem Manne, den ich achte, zu mißtrauen, und zu glauben, daß in diesen Späßen nur ein Tüttelchen von Aerger oder Böswilligkeit enthalten sei; ich glaube, ich weiß, es sind ehrliche, lustige Späße. Aber sieh, lieber Junge, die Narren können das nicht unterscheiden, und die Schelme wollen es nicht, und du weißt nicht, was es heißt, den reizen oder über jenen sich lustig machen. Verlaß dich darauf, wenn sie sich zu gegenseitiger Vertheidigung zusammenthun, so werden sie den Krieg gegen dich in solcher Weise führen, daß du seiner und des Lebens dazu bald herzlich satt sein wirst.«

»Aus giftigem Verstecke wird Rache ein ehrloses Gerücht gegen dich spritzen, und weder Unschuld des Herzens noch Reinheit des Wandels werden dich vor demselben schützen können. Das Glück deines Hauses wird wanken, dein Charakter, auf dem es gegründet, wird aus tausend Wunden bluten; dein Glaube wird angezweifelt, dein Witz vergessen, deine Gelehrsamkeit unter die Füße getreten, deine Worte werden verläumdet werden. Um dir die letzte Scene dieses Trauerspieles vorzuführen: Grausamkeit und Feigheit, zwei Schurken, die Bosheit im Dunkel warb und auf dich hetzte, werden über alle deine Schwächen und Irrthümer herfallen. Ach! der Allerbeste von uns ist da verwundbar, mein lieber Junge, und glaube mir, glaube mir, Yorick, wenn es zur Befriedigung persönlicher Rache einmal beschlossen wurde, ein unschuldiges und hülfloses Geschöpf zu opfern, so ist es ein Leichtes, in irgend einem Dickicht, wohin sich das arme Ding einmal verirrte, so viel dürres Holz zusammenzulesen, um es darauf zu rösten.«

Fast niemals hörte Yorick diese trübe Weissagung seines Schicksals, ohne daß sich eine Thräne aus seinem Auge gestohlen hätte, die ein versprechender Blick begleitete, der sagen sollte, er sei entschlossen, fortan sein Rößlein behutsamer zu reiten. Aber ach! zu spät! Schon vor der ersten Prophezeiung hatte sich eine große Verschwörung gebildet mit ***** und ***** an der Spitze. Der Angriffsplan wurde ganz so, wie es Eugenius vorhergesagt hatte, mit einem Male in Ausführung gebracht,[38] und so wenig ahnte Yorick von dem, was gegen ihn im Werke war, daß sie den guten leichtsinnigen Mann, eben als er mit voller Zuversicht auf eine Beförderung rechnete, an der Wurzel trafen und er dahin stürzte, wie schon mancher treffliche Mann vor ihm gestürzt ist.

Doch kämpfte Yorick mit aller denkbaren Tapferkeit einige Zeit dagegen an, bis er endlich, überwältigt von der Menge der Gegner und ermüdet von der Beschwerde des Kampfes, noch mehr aber angeekelt von der unritterlichen Art, mit der gekämpft wurde, das Schwert von sich warf; und obgleich er scheinbar seinen guten Muth nicht verlor, so starb er dennoch, wie man allgemein glaubt, an gebrochenem Herzen. Weshalb auch Eugenius dies zu glauben geneigt war, geht aus Folgendem hervor:

Wenige Stunden, bevor Yorick seinen letzten Athemzug that, trat Eugenius in das Zimmer, um ihn noch einmal zu sehen und ihm Lebewohl zu sagen. Als er den Vorhang des Bettes lüpfte und Yorick fragte, wie es ihm gehe, blickte dieser auf, nahm des Freundes Hand und nachdem er ihm für die vielen Beweise seiner Freundschaft gedankt hatte, für die er ihm, wie er sagte, immer und immer wieder danken würde, wenn sie sich jenseits begegnen sollten, – fuhr er fort: in wenigen Stunden werde er nun seinen Feinden auf immer entwischt sein. – Das hoffe ich nicht, erwiederte Eugenius mit dem zärtlichsten Ton, in dem je eines Mannes Stimme erklang, während ihm die Thränen über die Backen rannen, – das hoffe ich nicht, Yorick. – Yorick antwortete mit einem Blicke nach oben und drückte dabei sanft Eugenius' Hand; das war Alles, aber es schnitt Eugenius ins Herz. – Muth, Muth, sagte Eugenius und versuchte sich zu ermannen, indem er sich die Augen wischte, – nicht so trostlos, alter Junge; laß Muth und Kraft nicht von dir weichen in dieser Krisis, wo du ihrer so sehr bedarfst. Wer weiß, wo noch Hülfe ist und was Gottes Allmacht für dich noch thut! – Yorick legte die Hand aufs Herz und schüttelte leise das Haupt. – Was mich anbetrifft, fuhr Eugenius fort und schluchzte bitterlich bei den Worten, so gestehe ich, ich weiß[39] nicht, wie ich die Trennung von dir ertragen soll, und gern – fügte er mit erhobener Stimme hinzu – möchte ich mir mit der Hoffnung schmeicheln, daß noch Zeug genug in dir geblieben sei, um einen Bischof daraus zu machen, und daß ich dich als solchen noch mit meinen Augen sehe! – Ich bitte dich, Eugenius, sagte Yorick, und nahm dabei seine Nachtmütze, so gut er konnte, mit der linken Hand ab, denn die Rechte hielt Eugenius noch fest gefaßt – ich bitte dich, sieh einmal meinen Kopf an. – Ich bemerke da nichts Besonderes, erwiederte Eugenius. – Doch, doch, lieber Freund, sagte Yorick – er ist von den Hieben, welche ***** und ***** und einige Andere so tölpelhaft im Dunkeln darauf geführt haben, so verschwollen und mißgestaltet, daß ich mit Sancho Pansa sagen kann: »und würde ich gesund und regneten mir Bischofsmützen so dicht wie Hagel vom Himmel darauf, ihm würde doch keine passen«. – Als Yorick dies sagte, schwebte sein letzter Athemzug, im Begriff zu erlöschen, auf seinen zitternden Lippen, aber er sagte es noch mit einem gewissen Cervantischen Tone, und dabei sah Eugenius einen Augenblick lang einen Strahl spielenden Feuers in seinen Augen aufleuchten, ein schwaches Abbild jener Geistesblitze, die (wie Shakespeare von seinem Vorfahren berichtet) eine ganze Tafelrunde in schallendes Gelächter zu versetzen pflegten.

Eugenius schöpfte daraus die Ueberzeugung, daß der Freund an gebrochenem Herzen sterbe; er drückte ihm sanft die Hand – dann schlich er leise aus dem Zimmer und weinte im Gehen. Yorick folgte Eugenius mit den Blicken bis zur Thür – darauf schloß er die Augen und öffnete sie nicht wieder.

In einem Winkel seines Kirchhofs, im Dorfe *** liegt er begraben, unter einer einfachen Marmorplatte, die sein Freund Eugenius mit Erlaubniß der Testamentsvollstrecker auf sein Grab legte und die nur drei Worte enthält, welche Grabschrift und klagender Nachruf zugleich sind:[40]


Zwölftes Kapitel

Zehnmal täglich hat Yoricks Geist den Trost, seine Grabschrift in so weicher Modulation von Klagetönen, wie allgemeines Mitgefühl und Achtung für ihn sie anschlagen, laut lesen zu hören, denn ein Fußpfad läuft dicht an seinem Grabe vorbei über den Kirchhof hin, und nicht ein Wandrer geht vorüber, ohne stehen zu bleiben, einen Blick darauf zu werfen und weiterschreitend zu seufzen: Ach! armer Yorick! –

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 1, Leipzig, Wien [o. J.], S. 36-41.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman
Leben und Meinungen von Tristram Shandy, Gentleman: (Reihe Reclam)
Tristram Shandy
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)
Leben und Meinungen von Tristram Shandy Gentleman (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon