Achtundvierzigstes Kapitel.

[71] – Man sieht, es ist die höchste Zeit, sagte mein Vater zu meinem Onkel Toby und Yorick, daß dieses junge Geschöpf den Weibern aus den Händen genommen und einem Erzieher übergeben werde. Marcus Antoninus nahm für seinen Sohn Commodus vierzehn Erzieher auf einmal, und in sechs Wochen jagte er fünf davon wieder fort. Ich weiß wohl, fuhr er fort, daß Commodus' Mutter vor seiner Geburt ein Verhältniß mit einem Gladiator[71] hatte, was manche spätere Grausamkeit des Commodus, als er Kaiser geworden war, erklärt; aber dennoch bin ich der Ansicht, daß diese fünf, welche Antoninus fortjagte, auf den Charakter des Commodus in dieser kurzen Zeit einen schädlicheren Einfluß ausgeübt haben, als die andern neun ihr Lebelang wieder gut machen konnten.

Ich betrachte den Mann, der um meinen Sohn sein wird, als einen Spiegel, in welchem dieser sich vom Morgen bis zum Abend beschauen und nach welchem er seine Blicke, sein Betragen, ja die innersten Regungen seines Herzens bilden soll. Ich möchte einen haben, Yorick, der in jeder Hinsicht so geschliffen wäre, daß mein Kind sich in ihm spiegeln könnte. – Das ist vernünftig, sagte mein Onkel Toby zu sich.

– Es giebt eine gewisse Miene, eine Bewegung des Körpers beim Handeln und Sprechen, fuhr mein Vater fort, die uns sogleich kund thut, wie es inwendig in dem Menschen bestellt ist, und so wundere ich mich gar nicht, daß Gregor von Nazianz, als er die hastigen und ungeschickten Bewegungen Julians sah, sofort seine spätere Apostasie vorhersagte, oder daß der heilige Ambrosius seinem Amanuensis wegen einer unschicklichen Bewegung des Kopfes, der diesem wie ein Dreschflegel hin- und herging, die Thür wies; oder daß Democritus den Protagoras sogleich für einen Gelehrten erkannte, weil derselbe beim Zusammenbinden eines Reisbündels die kleinen Zweige nach innen legte. Ja gewiß, fuhr mein Vater fort, es giebt tausend unscheinbare Ritzen, durch die ein scharfes Auge in eines Andern Seele blicken kann, und ich behaupte, fügte er hinzu, daß ein Mann von Geist nicht ins Zimmer tritt und seinen Hut hinlegt, oder ihn nimmt und hinausgeht, ohne daß ihm dabei etwas entwische, was ihn als solchen verräth.

Deshalb, fuhr mein Vater fort, darf der Erzieher, welchen ich wählen soll, weder lispeln1, noch schreien, noch blinzeln, noch laut reden, noch hochmüthig, noch albern aussehen; er darf sich nicht die Lippen beißen, nicht mit den Zähnen knirschen, noch[72] durch die Nase reden, noch darin herumwühlen, noch sich mit den Fingern schneuzen.

Er darf weder langsam noch rasch gehen, noch die Arme ineinander schlagen – denn das ist Trägheit, – noch sie herunterhängen lassen – denn das ist albern, – noch sie in die Tasche stecken – denn das ist Unsinn.

Er darf seine Nägel weder abbeißen, noch abkneifen, noch abfeilen, noch abreißen, noch mit dem Messer abschneiden, – sich in Gesellschaft weder räuspern, noch darf er spucken, noch schnauben, noch mit den Füßen oder den Fingern trommeln, noch (wie Erasmus erwähnt) zu Jemand sprechen, während er sein Wasser abschlägt, oder gar dabei nach Aas und Exkrementen zielen. – Das ist nun wieder lauter Unsinn, sagte mein Onkel Toby zu sich selbst.

Er muß aufgeweckt, gewandt, heiter sein, fuhr mein Vater fort, dabei aber vorsichtig, achtsam auf sein Geschäft, wachsam, scharfsinnig, fein, erfinderisch, geschickt, Zweifel und heiklige Fragen zu lösen; – er muß vernünftig sein und von richtigem Urtheil und gelehrt. – Und warum nicht demüthig und bescheiden und sanftmüthig und gut? sagte Yorick. – Und warum nicht offen und edelmüthig und freigebig und brav? fragte mein Onkel Toby. – Gewiß, gewiß, lieber Toby, sagte mein Vater, indem er aufstand und ihm die Hand schüttelte. – Dann, Bruder Shandy, sagte mein Onkel Toby und stand jetzt auch auf, indem er seine Pfeife hinlegte und meines Vaters andere Hand ergriff – dann, laß Dir, ich bitte, des armen Le Fevre Sohn empfohlen sein (und bei diesem Vorschlage glänzte eine Freudenthräne vom reinsten Wasser in meines Onkel Toby's Auge, die in dem des Korporals ihr Gegenbild fand): – weshalb? das werden Sie erfahren, wenn Sie Le Fever's Geschichte lesen. – O, ich Narr! daß ich sie nicht den Korporal auf seine Weise erzählen ließ (was mich daran verhinderte, weiß ich wirklich nicht mehr, aber der Leser wird es an der betreffenden Stelle finden); – die Gelegenheit ist hin, jetzt muß ich sie auf meine Art erzählen.

Fußnoten

1 Vide Pellegrina.


Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 71-73.
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