Dreiunddreißigstes Kapitel.

[55] O, Segen der Gesundheit! rief mein Vater aus, als er die Blätter des nächsten Kapitels durch die Hände laufen ließ, – du bist mehr werth als alles Gold und alle Schätze, denn du machst die Seele weit und erschließest alle ihre Kräfte, daß sie Belehrung empfangen und die Tugend lieben lernen kann. Wer dich besitzt, dem bleibt wenig zu wünschen übrig, und wer so unglücklich ist, dich zu entbehren, der entbehrt Alles.

Was ich über diesen wichtigen Punkt gesagt habe, ist in sehr wenig Raum zusammengedrängt, fuhr mein Vater fort, deshalb wollen wir das ganze Kapitel lesen.

Er las also:

»Das ganze Geheimniß der Gesundheit beruht auf dem nothwendigen Kampf um das Uebergewicht zwischen der Urwärme und der Urfeuchtigkeit.« – Sie haben diese Thatsache wahrscheinlich[55] schon früher bewiesen, sagte Yorick. – Hinreichend, erwiederte mein Vater.

Als er dies sagte, machte er das Buch zu, – nicht so, als ob er nicht hätte weiter lesen wollen, denn er ließ seinen Zeigefinger als Zeichen darin, – auch nicht ärgerlich, denn er schloß das Buch langsam; sein Daumen lag ganz ruhig auf dem obern Deckel und drei Finger stützten den untern, ohne jeden heftigen Druck.

Ich habe, sagte mein Vater und nickte dabei Yorick zu, diesen Punkt im vorhergehenden Kapitel ausführlich behandelt.

Nun wahrhaftig! wenn man dem Mann im Monde das sagen könnte, daß ein Menschenkind ein Kapitel geschrieben hätte, worin das Geheimniß der Gesundheit als abhängig von dem nothwendigen Kampfe um das Uebergewicht zwischen der Urwärme und der Urfeuchtigkeit erwiesen sei, und daß die Frage so sein behandelt wäre, daß in dem ganzen Kapitel auch nicht ein nasses oder trockenes Wort von Urwärme und Urfeuchtigkeit, und nicht eine Silbe weder pro noch contra, weder direkt noch indirekt, über einen Kampf zweier Kräfte (gleichviel welcher) des Naturreichs darin vorkäme, – so würde er sich mit der rechten Hand (vorausgesetzt, daß er eine hätte) an die Brust schlagen und ausrufen: O! du ewiger Schöpfer der Dinge! Du, dessen Macht und Güte die Fähigkeiten deiner Geschöpfe bis zu einer unbegreiflichen Höhe und Vortrefflichkeit steigern kann, – was haben wir armen Mondbewohner verbrochen?

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 55-56.
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