Einhundertundeinundneunzigstes Kapitel.

[280] Eines Abends legte mein Onkel Toby seine Pfeife auf den Tisch und rechnete für sich alle die Vorzüge an den Fingern her (vom Daumen angefangen), welche Mrs. Wadman besäße. Da er aber bald zwei oder drei zusammennahm, bald einige ausließ, bald wieder andere zweimal aufzählte und so in Verwirrung kam, noch ehe er bis zum Mittelfinger gelangt war, nahm er seine Pfeife wieder auf und bat Trim, ihm Feder und Dinte zu bringen. – Trim brachte auch Papier.

– Nimm einen ganzen Bogen, Trim, sagte mein Onkel Toby und machte zugleich ein Zeichen mit der Pfeife, daß jener sich einen Stuhl holen und zu ihm an den Tisch setzen solle. – Der Korporal gehorchte, legte das Papier gerade vor sich hin und tunkte die Feder ein.

– Sie besitzt tausend Tugenden, Trim, sagte mein Onkel Toby.

– Soll ich das hinschreiben, Ew. Gnaden? sagte der Korporal.

– Aber sie müssen der Reihe nach, nach ihrem Werthe gestellt werden, erwiederte mein Onkel Toby; die, welche mich am meisten entzückt und mir eine Bürgschaft für alle übrigen ist, das ist das Mitgefühl, die ganz besondere Menschenfreundlichkeit in ihrem Charakter. Wahrlich, sagte mein Onkel Toby und sah wie betheuernd zur Zimmerdecke empor, und wäre ich tausendmal ihr Bruder, sie hätte sich nicht unablässiger, nicht zärtlicher nach meinen Schmerzen erkundigen können, – obgleich sie's jetzt nicht mehr thut.

Der Korporal beantwortete meines Onkel Toby's Betheuerung nur mit einem kurzen Husten; er tunkte seine Feder zum zweiten Male ein, und indem mein Onkel Toby mit der Spitze seiner Pfeife ganz oben auf die linke Ecke des Bogens[280] wies, schrieb der Korporal das Wort Menschenfreundlichkeit hin.

Sag doch, Korporal, fuhr mein Onkel Toby fort, sobald Trim damit fertig war, wie oft fragt Mrs. Bridget nach Deiner Wunde am Knie, die Du in der Schlacht bei Landen bekamest?

Danach hat sie noch nie gefragt, Ew. Gnaden.

Nun, sieh, Korporal, sagte mein Onkel Toby und konnte trotz seines guten Herzens seinen Triumph nicht ganz unterdrücken, darin zeigt sich der Unterschied zwischen den Charakteren der Herrin und der Dienerin. Hätte das Kriegsglück mir dasselbe beschieden wie Dir, sie würde hundertmal auf das genaueste danach gefragt haben. – Aber nach Ihrem Schambein würde sie, Ew. Gnaden, zehnmal öfter gefragt haben. – Der Schmerz ist derselbe, Trim, und das Mitgefühl hat es nur mit dem Schmerz zu thun, stamme er nun woher er wolle.

– Nun, Gott sei Ew. Gnaden gnädig! rief der Korporal. Was hat eines Weibes Mitgefühl mit eines Mannes Knie zu thun? Wäre Ew. Gnaden Knie bei Landen in zehntausend Splitter zerschossen worden, so würde sich Mrs. Wadman so wenig darum geschoren haben als Bridget; denn – fügte der Korporal hinzu und senkte die Stimme, sprach aber sehr deutlich, als er jetzt seine Gründe angab: denn das Knie ist weit genug vom Hauptwerk, wogegen das Schambein, wie Ew. Gnaden wissen, auf der Courtine der Festung selber liegt.

Aus meines Onkel Toby's Munde kam ein langer Pfiff, aber so leise, daß man ihn kaum über den Tisch hinüber hören konnte.

Der Korporal war zu weit gegangen, als daß er hätte umkehren können; mit drei Worten war Alles erzählt.

Mein Onkel Toby legte seine Pfeife so sanft auf die Kaminplatte, als ob sie aus Spinnengewebe bereitet gewesen wäre.

Laß uns zu meinem Bruder Shandy gehen, sagte er.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 280-281.
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