Einhundertundelftes Kapitel.

[161] Ich bin ganz froh, sagte ich zu mir, als ich in Lyon, hinter einem Karren her, einzog, auf den meine zerbrochene Postchaise nebst all' meinem Gepäcke kopfüber, kopfunter geladen worden war. – Ich bin wirklich ganz froh, sagte ich, daß sie zerbrochen ist, denn nun kann ich direkt zu Wasser nach Avignon gehen, was mich 120 Meilen weiter bringt und nicht mehr als sieben Livres kostet; und von dort, fuhr ich in meiner Berechnung fort, kann ich ein paar Maulthiere miethen, oder ein paar Esel (denn wer kennt mich?) und das flache Land von Languedoc fast umsonst durchreisen. Es ist klar, ich gewinne wenigstens vierhundert Livres durch den Unfall – und das Vergnügen obendrein. Das Vergnügen ist zweimal mehr werth als das Geld. Mit welcher Schnelligkeit, fuhr ich fort und schlug dabei in die Hände, werde ich die reißende Rhone[161] hinabfliegen, Vivares rechts, die Dauphiné links! die alten Städte Vienne, Valence und Viviers werde ich kaum zu sehen kriegen. – Wie wird das Lämpchen wieder aufflackern, wenn ich so an Hermitage und am Coté-roti vorüberschieße und die erröthende Traube im Flug erhasche! wie wird das Blut mir lebhaft in den Adern rollen, wenn ich auf beiden Ufern die romantischen Schlösser heranfliegen und verschwinden sehe, wo edle Ritter in alten Tagen der Bedrängten Schirm und Schutz waren, – und mit schwindelndem Blicke die Felsen, die Gebirge, die Wasserfälle, das rastlose Treiben der Natur in ihren erhabenen Werken betrachte. –

Je länger ich so sann, desto mehr schrumpfte in meinen Augen die zertrümmerte Kalesche zusammen, die mir doch erst stattlich genug vorgekommen war; ihr Lack verlor allen Glanz, ihre Vergoldung alles Ansehn – die ganze Geschichte erschien mir so armselig – so armselig – so erbärmlich – schlechter als die der Aebtissin von Andouillet – so daß ich eben den Mund öffnen und Alles zum Teufel wünschen wollte, als ein pfiffiger Wagenbauer zu mir über die Straße gelaufen kam und mich fragte: ob Monsieur die Chaise nicht wollte repariren lassen. – Nein, nein, sagte ich und schüttelte mit dem Kopfe, ohne mich weiter umzusehen. – Da wird Monsieur sie vielleicht verkaufen? fragte der Mann weiter. – Mit Vergnügen, sagte ich; das Eisen daran ist vierzig Livres werth, die Spiegelgläser ebenfalls vierzig Livres, und das Leder schenk' ich Ihnen.

– Diese Reisechaise ist eine wahre Goldgrube für mich, sagte ich zu mir, als er mir das Geld hinzählte. – Und so rechne ich gewöhnlich, wenigstens mit den Unfällen des Lebens, ich schlage mir aus ihnen immer noch einen kleinen Vortheil heraus.

Erzähle Du, liebe Jenny, der Welt statt meiner, wie ich mich damals bei einem der schmerzlichsten Unfälle betrug, die einem Manne begegnen können, der auf seine Mannheit stolz ist.

– Es ist genug, sagtest Du und stelltest Dich dicht neben mich, während ich mit den Tragbändern in der Hand dastand[162] und darüber nachdachte, was nicht geschehen war: – es ist genug, Tristram, ich bin zufrieden, sagtest Du, und flüstertest mir dann ins Ohr * * * * * * * *; – * * * * * * * * * – jeder Andere wäre in die Erde gesunken.

Alles ist wozu gut, sagte ich.

Ich will auf sechs Wochen nach Wales gehen und Ziegenmolken trinken, – der Unfall trägt mir sieben Jahre meines Lebens ein. – Deshalb halte ich es für unverantwortlich von mir, daß ich, wie ich es so oft gethan, das Schicksal wegen allerhand kleiner Uebel, die es mir zufügte, geschmäht habe. Wahrlich, ich sollte es eher dafür schmähen, daß es mir kein großes auf den Hals geschickt hat; so ein halbes Schock tüchtiger, verdammter Unfälle würde mir besser gethan haben, als die schönste Rente. – Ein Procent jährlich ist Alles, was ich verlange; – für mehr möchte ich allerdings nicht eingeschätzt werden.

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 161-163.
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