Einhundertundvierzehntes Kapitel.

[166] Es war nur ein Esel, der mich aufhielt: auf dem Rücken trug er zwei große Körbe, um milde Gaben von Turnipsblättern und Kohlstrünken darin zu sammeln; mit den Vorderbeinen stand er zögernd im Thorwege, mit den Hinterbeinen auf der Straße, als wisse er nicht, ob er hereinkommen solle oder nicht.

Einen Esel kann ich nicht schlagen, wenn ich auch noch so in Eile bin; in seinen Blicken, wie in seiner ganzen Haltung liegt ein Ausdruck des Leidens, der für ihn bittet und mich stets entwaffnet; ja noch mehr, wo ich ihm auch begegne, auf dem Lande oder in der Stadt, im Karren oder mit Körben beladen, in Freiheit oder Dienstbarkeit, immer habe ich ein freundliches Wort für ihn, und da ein Wort das andere giebt, so gerathe ich gewöhnlich bald (wenn er nämlich nichts zu thun hat, wie ich) in eine kleine Unterhaltung mit ihm. Nichts beschäftigt meine Einbildungskraft dann so sehr, als seine Antworten aus seinen Gesichtszügen herauszulesen und – wenn mir diese nicht Fingerzeig genug sind – mich aus meinem Herzen in seines zu versetzen und zu erspähen, was wohl ein Esel, so gut wie ein Mensch, vernünftigerweise in diesem Falle denken müßte. – Ein Esel ist wirklich von allen Geschöpfen, die unter dem Menschen stehen, das einzige, mit dem ich das thun kann, denn mit Papageien, Elstern u.s.w. wechsele ich nie ein Wort, auch mit Affen u.s.w. nicht – aus dem nämlichen Grunde; sie thun Alles nach, wie jene Alles nachplappern, und das nimmt mir das Wort von der Zunge; ja sogar mein Hund und meine Katze (könnte der erstere nur sprechen, er thät's gewiß) besitzen kein Talent zur Unterhaltung, obgleich ich sie beide schätze; will ich mich einmal mit ihnen unterhalten, so kommt es nie weiter als zu Aeußerung, Antwort und Erwiederung, gerade wie in den lit de justice-Gesprächen meines Vaters und meiner Mutter – und sind wir damit fertig, so ist die Unterhaltung auch zu Ende. –

Aber mit einem Esel kann ich tagelang reden.[167]

Komm, Grauchen, sagte ich – denn ich sah, daß ich zwischen ihm und dem Thor nicht hindurch kommen konnte, – willst du herein oder heraus?

Der Esel drehte den Kopf herum und sah auf die Straße.

– Gut, sagte ich, ich werde warten, bis dein Führer kommt.

Hier wendete er gedankenvoll den Kopf wieder um und blickte das andere Ende der Straße hinunter.

– Ich verstehe dich vollkommen, sagte ich; wenn du in dieser Sache etwas nicht recht machst, so wird er dich braun und blau schlagen; nun gut – eine Minute ist nicht alle Welt, und kann man damit einem Mitgeschöpf einen Buckel voll Prügel ersparen, so ist sie, meine ich, nicht schlecht angewandt.

Während dieser Unterhaltung fraß er einen Artischockenstrunk; gewiß war er hungrig, aber der Strunk war kein schmackhafter Fraß, – Hunger und Widerwille kämpften in ihm, er ließ ihn wohl ein Dutzendmal aus dem Maule fallen und nahm ihn wieder auf. – Gott helfe dir, Grauchen, sagte ich, du hast da ein bitteres Frühstück, und ein bitteres Tagewerk manchen Tag und gewiß manchen bittern Schlag als Lohn. – Für dich ist Alles, Alles Bitterkeit, was Andern Leben heißt. Und jetzt, wo ich annehmen darf, daß dir das Maul so bitter wie Galle ist (er hatte den Strunk nämlich eben weggeworfen), hast du wohl in der ganzen Welt keinen Freund, der dir eine Makrone gäbe? Bei diesen Worten holte ich eine Düte voll, die ich eben gekauft hatte, heraus und gab ihm eine, und just wo ich dies erzähle, fällt es mir schwer aufs Herz, daß ich es mehr aus Uebermuth und aus Neugierde that, zu sehen, wie ein Esel Makronen fräße, als aus wirklichem Wohlwollen gegen ihn.

Als der Esel seine Makronen gefressen hatte, wollte ich ihn bewegen hereinzukommen; das arme Vieh war schwer beladen, – seine Beine schienen unter ihm zu zittern, – er drängte mehr nach hinten, und als ich am Halfter zog, riß dieser in meiner Hand entzwei. – Er sah mich nachdenklich an: Prügle mich nicht damit, – indessen – wenn Du willst, so thu's! – Wenn ich's thue, sagte ich, will ich ver – –[168]

Das Wort war erst halb gesprochen (wie die Wörter der Aebtissin von Andouillet, also war's keine Sünde), als ein Mann herankam und des armen Esels Hintertheil fürchterlich zu bearbeiten anfing, womit das Komplimentiren ein Ende hatte.

Heraus mit ihm! – schrie ich, – aber der Ausruf war zweideutig und übel angebracht, glaube ich; ein Stück Weidenruthe, die aus dem Geflecht des einen Korbes, den der Esel trug, hervorstand, hatte meine Hosentasche gefaßt und zerriß mir die Hosen in der allerunglücklichsten Richtung, die sich nur denken läßt; – so daß das

Heraus mit ihm! meiner Meinung nach hier besser angebracht gewesen wäre; aber das mögen die Recensenten unter sich ausmachen, denen ich zu diesem Zwecke jeden nöthigen Nachweis zu geben erbötig bin. –

Quelle:
Sterne [, Lawrence]: Tristram Shandy. Band 2, Leipzig, Wien [o. J.], S. 166-169.
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