[41] 1.
Die Anmuht/ Schönheit/ Zierd und Prangen/
das Purpur-blut der roten Wangen/
der Augen-blizz/ der Stirne Glanz/
das Spiel der ziehenden Gebehrden/
der Gang/ die Tracht sind himlisch ganz
und können nicht verschönert werden.
2.
So lieblich sahe nie Dione
wenn sie auff dem vergöldtem Trohne
in Pafos Tempel Ehr' empfieng![41]
Betracht' ich dein besüßtes Wesen/
so halt' ich für ein schlechtes Ding/
was ich von Helenen gelesen.
3.
So kanstu die Vollkommenheiten
der Schönheit/ Schöne/ selbst bestreiten/
du ziehest aller Herzen an.
Wer dich beschauet sonder brennen
und Liebes-gluht/ denselben kan
man einen Stein/ nicht Menschen/ nennen.
4.
Wie heuffig aber dich mit Gaben
vor andern die Gebuhrt erhaben:
so kärglich ist dir mitgeteilt.
Mit-Leiden/ Trost/ und ein Gemühte/
daß eine wunde Seele heilt
durch Freundes Zuspruch/ Gunst und Güte.
5.
Der scharffe Fels der Diamanten
reicht seines Leibes rauhe Kanten
des Küssers Lippen willig dar.
Die Rose von dem warmen Westen
getrieben/ bükkt sich mit Gefahr
zu ihres Dornes wilden ästen.
6.
Du/ harte/ läst dich nicht erweichen/
die minste Gegen-gunst zureichen
dehm der in deinen Flammen queelt.
Wer dich erblikkt/ ist ohne Leben/
ist sonder Geist und wird entseelt/
und du willst ihm kein Mittel geben.
[42]
7.
So meinstu/ du seyst dir gebohren/
seyst dir allein zum Zwekk erkohren
warum wir auff der Erde seyn.
Kein Bild wird darum wol gemahlet
daß man es birget in den Schrein
so wird die Arbeit nicht bezahlet.
8.
Indehm man dich/ wie Göttlich preiset/
Pflicht/ Ehr' und Demuht dir erweiset:
Sey/ Schöne/ drum nicht eben stolz.
Die Knie so für Altären liegen
pflegt man nicht für ein faules Holz
für Götter Freundschafft nur zu biegen.
9.
Die Grausamkeit und süsses lachen
wie können die Verwandnüs machen
in einem schönem Angesicht'?
Entwehn dich/ Kind/ der Ernst-gebehrden/
so wird der schönen Schönheit Licht
noch tausendfach verschönert werden.
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