8. Erdrauch

[91] 4. Juni 1834


Es greifen immer sonderbarere Menschen in mein Leben – es ist, als sollte ich mit lauter ausländischen Dingen umringt werden. Ich wußte eigentlich bisher gar nie recht, was ein Nabob ist, und weiß es noch nicht; aber doch soll ich mit einem zusammenkommen, und Aston sagt, daß dies mein Lebensglück gründen werde; – nun, ich bin neugierig – er sagt nicht, wie? – überhaupt muß man mit mir irgendein Geheimnis haben; ich merke es an Lucien und Emma – aber ich kann es nicht ergreifen mögen sie immerhin – aber seltsamer Weise, wie man oft vorgefaßte Meinungen über das Aussehen und den Charakter von Menschen hat, die man nie sah, so geht es einem auch oft mit Worten und Begriffen. Dieses ›Nabob‹ ist so ein Wort für mich gewesen seit meiner Kindheit. Ich stellte mir darunter immer einen Mann vor zwischen fünfzig und sechzig Jahren, gut erhalten, braunen Angesichts, ein farbiges Tuch um den Hals, einen Hut mit breiten Krempen, einen lichten, meistens gelben Rock an – einen Mann, der in irgendeinem Indien Pflanzer war, alle seine Neger hindanngegeben und nun in Europa viel Gold genießt und grob ist.

Ist diese Beschreibung falsch, so bitte ich alle um Verzeihung, die sich dadurch gekränkt fühlen; denn ich kenne keine Schuldefinition eines Nabob – ja, sogar der Name war mir von jeher fast lächerlich.

Aston sagt, dieser Mann und ich gleichen uns in Launen und Gutherzigkeit, wie ein Wassertropfen dem andern wäre ich nur diese Zeit her, wie er sich ausdrückte, nicht[91] immer auf so ausschweifend langen Ausflügen gewesen, daß ich unter den hundert Malen, die er ihn zu mir geschleppt, zu treffen gewesen wäre, so könnte bereits alles in Ordnung sein; aber so habe der Nabob fort gemußt, und alles schiebe sich auf die lange Bank. Es seien noch ganz andere Dinge dahinter, die er mir nicht sagen dürfe. »Dieser Nabob,« rief er aus, »so ganz vortrefflich er sonst ist, gehört unter die Menschen, die immer voll von Planen stecken, was mir so verhaßt ist, weil sie auf keinen Rat hören, und einen nichts machen und fügen lassen, wenn es auch sonnenklar besser wäre.«

Lieber Titus! Wenn der Nabob, wie ihn Aston nennt, etwa so ein Mann ist, der um sein gutes Geld auch ein Mäcenas sein will, so wird das Wohlvernehmen von kurzer Dauer sein; denn ich meine, daß bei einem solchen Seebär, wie ich mir ihn vorstelle, nicht leicht geistige Duldung vorhanden sein wird. Daß es übrigens der gute Daniel Aston mit seiner Güte und Pfiffigkeit, womit er den Gefühlen in die Schuhe hilft und Freundschaften übereilt, unsäglich gut meine, bin ich vollkommen überzeugt – jedoch bei all den Geschäften, die er sich immer zum Heile der Menschheit auf den Hals ladet, und wofür ihm niemand dankt, tappt er oft zu; es geht ihm, wie mir einst als Knaben, da ich gefangene Schmetterlinge unter Gläser einsperrte und mit dem besten Rindfleisch fütterte.

Ehe ich schließe, muß ich Dir noch den Verlauf mit dem kleinen Bilde erzählen. Man hat mich bei Aston dringend gebeten, es zu bringen; ich versprach es auf meinen nächsten Besuch. Da ich nun des andern Tages kam, hielt mich der Diener im Vorzimmer auf und sagte, er müsse Lady Lucia rufen. Sie kam und bat mich mit ihrer eigentümlich gewinnenden Leutseligkeit, ich möchte ihr das Bildchen einhändigen, sie würde es zu rechter Zeit vorbringen. Wir traten zu Emma und Angela ein, die im Besuchzimmer waren. Sogleich heftete sie ihre großen[92] Augen auf Lucien und sagte: »Nun, zeige nur!« »Liebe Angela, ein wenig später wird es doch besser sein«, meinte Lucie mit bittendem Blicke.

»Es wird wohl später sein wie jetzt«, entgegnete Angela; »aber wenn du es wünschest, will ich warten.«

Zögernd reichte Lucie das Elfenbein hin, und wie ein Pfeil schoß Angelas Auge darauf und darüber weg auf den Spiegel; dann erblaßte sie – Lucie sah nicht das Bild, sondern die Freundin an und hütete jeden Zug derselben. Emma flog herbei, und den überraschten Lippen entfuhr der leise Ausruf: »Ach Gott, wie treu!« und sogleich sah sie Angela an und ich auch. Wie eine schneeweiße Rose war auch heute wieder ihr schönes Haupt; aber nach wenig Augenblicken ward eine purpurrote daraus, und so stand sie da, zitternd vor innerer Bewegung, die sie sichtlich zu bemeistern strebte. Was das mit dem Bilde bedeuten mag – Gott kanns wissen!

Ich ging augenblicklich in das Nebenzimmer und sah zum Fenster hinaus. In dem von mir verlassenen Gemache hob nun ein langes Reden und Flüstern an, das ich beinahe hineinhörte; ich wäre gerne fortgegangen, wenn das Zimmer einen Ausgang gehabt hätte; aber endlich wurde ich durch Emmas Stimme gerufen, und ruhig, wie ich sie gewöhnlich sah, bat mich Angela, ihr ein Nachbild dieses Bildes nehmen zu lassen. Mit Hast trug ich ihr das Urbild selber an; sie nahm es nur unter der Bedingung, daß sie mir ein Nachbild davon zustellen lassen dürfe.

Ich ging es ein; das Bildchen lag indes verkehrt auf dem Nebentische.

Gezwungene Gespräche wollten nun anheben; allein ich fühlte, daß ich heute bald gehen müsse, und ich ging.[93]

Quelle:
Adelbert Stifter: Gesammelte Werke in sechs Bänden, Band 1, Wiesbaden 1959, S. 91-94.
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