9. Schwarzrote Königskerze

[94] 26. Juni 1834


Fast ein Monat, merke ich, ist verflossen, ohne daß ich eine Zeile für Dich aufgesetzt – es ist kein Vergessen auf Dich; aber es war keine Zeit zu dem unerträglich langsamen Schreiben übrig; im Kopfe habe ich Dich mehr als je. Selbst heute kann ich in der Schnelligkeit nur ein paar Worte hersetzen; aber noch diese Woche schieße ich einen eigenen Tag für Dich aus, um Dir alles zu schreiben. Es war irgendein Geheimnisvolles oder Schmerzhaftes oder sonst etwas – kurz es war eine seltsame Bewegung im Hause Astons unmittelbar nach jener Zeit, da ich das Bildchen übergeben hatte, man kümmerte sich wenig um mich, sondern hatte mit eigenen Angelegenheiten zu tun – dann war alles wieder gleich und ruhig – wie ein Schatten war es vorüber, den eine Wolke wirft, die man nicht sieht – mir kann es gleich sein; denn es wurde dann eine heitere, klare, liebe Zeit – ich komme nun, so wie früher gar nicht, ebenso jetzt täglich in Astons Haus. – Das Leben des Menschen ist fast, wie man eine Hand umkehrt; es ist dieselbe und doch ganz anders – ein ruhiger Umgang eröffnete sich, ein heiteres Entgegenkommen, und jetzt sind Verträge gemacht, daß wir Musik machen, lesen und Malerei treiben wollen; es mußte gleich die bestimmte Zeit hiezu vermessen werden; denn es gehört mit zu Angelas Verschrobenheiten, daß sie alles nach der strengsten Zeiteinteilung tut. Emma, die wieder alles zeitlos tut, das heißt wie es eben der Augenblick bringt, wollte mit der Pedanterei verschont bleiben, wie sie sagte, und beschloß, dabei zu sein oder nicht, wie es eben ihr Inneres füge. Aston, der sonst vielleicht störte, reitet zum Glücke sehr viel; der Arzt hat es ihm verordnet, und in Folge dessen geriet er auf den Einfall, sich für einen Pferdekenner zu halten, was ihn täglich stundenlang auf die Plätze führt, wo Reiter[94] und Pferde zu sehen sind und über Gattung, Feuer usw. gesprochen wird.

Außer dieser Zeit, die einzig lieb und schön ist, hat sich auch etwas anders begeben, was einen festen Halt und viele Freude in mein Leben bringt: das Amt nämlich, in das mich wohlmeinende Freunde bringen wollten, um jene Erscheinung an mir darzustellen, die man gesichertes Dasein nennt, ist mir glückseliger Weise abgeschlagen worden, und als ich mit dem lieben Bescheide in der Tasche nach Hause kam, so war es nicht anders, als hüpften mir meine Farben entgegen und sähen mich noch einmal so freundlich an: Du kennst das Gläschen mit dem Ultramarin; es sah mit seinem Feuerblau wie ein tiefer Harmonikaton aus, – der Purpur wie Liebeslieder – die Grün wie sanfte Flöten – das Rot wie Trompetengeschmetter, und so weiter. Jetzt will ich nicht mehr auf Abfall und Felonie sinnen, ihr lieben, treuen, herzigen Vasallen, bis ich sterbe, und dann wird schon im Testamente stehen, daß mit euch die Hand eines närrischen Freundes, den ich jetzt noch nicht nenne, ein heiteres Bild auf meinen Sarg malen soll. Wir bleiben bei einander und handieren nun erst recht mit Wonne und mit Lust, seit es gewiß ist, daß uns nun nichts mehr auf dieser Erde trennen kann, wie wohlgetraute Eheleute, die der Tod nur scheidet.

Das erste sollen Deine wunderschönen Skizzen sein, wofür ich Dir tausend Dank sage; sie freuten mich unendlich. Wir haben bereits zwei große Tafeln mit dem zartesten grauen Grunde bereiten lassen, worauf wir sie ausführen werden; Lothar den Mont perdu und ich den schwarzen See, dessen Namen ich in Deinem Schreiben nicht lesen kann, und den Du besser geschrieben wiederholen magst. Es soll das erste und schönste Fest werden, sobald wir von unserer Reise zurück sind. Lothar geht nämlich mit, und nach der Zurückkunft werden wir zusammen[95] wohnen und in einer Stube arbeiten, was köstliche Stunden geben soll; denn ich fange an, diesen Menschen ungemein zu lieben, und wenn erst auch Du zurück sein wirst, dann soll das wahre, schöne Künstlerleben angehen und nichts getan werden, als nur lauter Schönes – und sonst lauter Spaß. Wir müssen unweigerlich alle drei unter einem Dache wohnen, unter einem Dache arbeiten, mit Glück und Lust nach dem Höchsten streben, jede Schmach von uns stoßen, jeden Fund schnell einander mitteilen, ein Liebchen selig im Herzen tragen und drei Hände zu schöner, fester, urewiger Männerfreundschaft zusammenfügen. Wärest Du nur erst da, daß Du den sanften Lothar sähest und seine schönen Bilder: Du würdest ihn bald mehr lieben als mich selber.

Ich bin heute fast so lustig, als wären mir meine Farben ganz neu geschenkt worden, wie damals, da mir mein Vater in unser abgelegenes Waldbaus das erste Farbkästchen brachte und mir zeigte, wie man mit den prächtigen Täfelchen Reiter und Hirsche und Soldaten anfärbe – besonders für die Hirsche hatte ich eine Vorliebe, und wenn Du einmal meine alte Mutter besuchst, so kannst Du auf dem Scheunentore noch viele gelungene Beispiele sehen, schön ziegelrot und von hochgrünen Hunden heftig verfolgt. Ich bin wieder zum heitern Kinde geworden und möchte mit Lust heute noch Reiter und Hirsche färben – und ich tu's auch, weil ich sie dem kleinen Sandi (dem Söhnchen der Leute, wo ich zur Miete bin) geben kann, den sie auf drei Tage glücklich machen.

Der russischen Fürstin habe ich vor dem goldnen Lamme vorgewartet; ich sah sie auch ausfahren – wahrhaftig, als ob Angela, wie sie leibt und lebt, in dem Wagen säße. Jetzt ist die Fürstin längst fort, aber Angela noch da. Das kleine Bildchen sah ich seit der Zeit, als ich mir eine schnelle Kopie davon machte, weder bei Aston noch bei ihr.[96]

Sonnenschein ist draußen, als wäre er eigens recht feierlich bestellt, und eine tiefdunkle Bläue ist am Himmel, festlich wehend, wie Fronleichnamsfahnen, und Frühsommer auf allen Hügeln prangend, leuchtend, funkelnd, daß ich noch heute die halbe Stadtumkreisen muß. Ich will meinen Stift und schönes Papier nehmen und ach Dornbach, Weidling und weiß Gott wo noch hin wandern.

Der lange Engländer, mein ewiger Jude, begegnet mir zu meiner Freude auch schon seit Wochen nicht mehr. Wasserfarben nehme ich in die Tasche, und in Weidling am Bache will ich zu Mittag essen, und dort im Kastanienschatten male ich für Sandi Hirsche und Reiter, um einmal ein Kind zu sein und einen rechten Idyllentag herumzubringen.

Heute schreib ich nichts mehr, – morgen ein Weiteres.

Spanne Dir Gott auch einen so glänzenden Sommer über Deine Berge, wie er uns hier tut – ich erlebte nie so andauernd schönes Wetter – und ein Glück ists für unser einen, daß Wien so liebliche Umgebungen hat.

Aber jetzt muß ich fort, ohne Widerrede.

Lebe mit Gott.

Quelle:
Adelbert Stifter: Gesammelte Werke in sechs Bänden, Band 1, Wiesbaden 1959, S. 94-97.
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