Vierter Absatz

[237] Beschreibet / was sich ferner / in dem Liebes-Tempel / mit der Königin und Polyphilo /begeben: beantwortet etzliche Liebes-Fragen / die ihre Lehr-Puncten selbsten zeigen.


Polyphilus / der nicht wuste / was er dabey gedenken solle / daß sie ihn schon verlasse / da er doch / vor seinen Augen / noch viel zu sehen hätte / vergaß bald alles dessen / und gedachte seinen Vortheil zu ersehen / der Tafeln / die von Macarien etwas neues melden würden / ansichtig zu werden: aber vergebens. Dann da er kaum auf den Weg getretten / der ihn dorthin geführet hätte / wurde er von der Königin zu ruck geruffen / und erinnert / daß er diesen Weg noch nicht gehen dörffe / er habe dann ein mehrers gesehen. Deßwegen sie ihn selber / was noch übrig / kürtzer zu zeigen / mit sich / in den untern Theil des Tempels führete.

Im Durchgehen / ward er an den Teppichen / damit dieser Tempel umhänget / etzlicher schöner Historien gewahr / die mit Gold und Perlen so künstlich gebildet waren / daß Polyphilus leicht ermessen konte / es müsten die liebhabende Göttinnen ihr Meisterstück daran verbracht haben. Unter andern vielen waren mercklich zu vernehmen die Liebes-Geschicht des schönen Jünglings Narcissi / welcher von fast allen Nimfen / wegen seiner Schöne; sonderlich aber der Echo geliebet / die / weil sie seiner nicht geniessen können / von grossen Schmertzen / in einen nichtigen Widerhall verwandelt: Er aber / durch seine eigene Liebe / die ihm die Schöne seines[237] Antlitzes / in einem Brunnen / auf der Jagt / erwecket / zur Straff gleichsam versieget / biß sich endlich die andern Nimfen über ihn erbarmet / und ihn in eine Blume verwandelt. Diesem folgte die Liebs-Geschicht Adonis / des Königs in Cypern Sohn / dessen schöne Gestalt von der verliebten Venus so brünstig verlanget worden / daß /nachdem er noch in der Blüte seiner Jahre / auf der Jagt / von einem wilden Schwein zerrissen wurde / sie ihn nicht nur hertzlich und schmertzlich beweinet; sondern auch / ihr beklagtes Mitleiden zu bezeugen /in eine Purpur-Blum verwandelt / und ihm zu Ehren /jährliche Trauer-Fest halten lassen. Uber das war die Histori der schönen Helena zu sehen / allermassen wie sie Homerus beschrieben; dann die Verwandlungen und Liebes-Geschichte / wie sie / nach der Länge / vom Ovidio erzehlet werden: die allhier zu wiederholen mehr verdrüßlich / als annehmlich ist.

Endlich kamen sie / hinter einer Deck / in eine Höle / da anfangs nichts / denn ein lauters Wasser zu sehen war / welches sich gegen ihnen / wie ein Berg auflehnete / daß sie trucken hindurch giengen. Von dannen befunden sie sich in einer fast kühlen Grotte /allwo drey Bildnussen aufgehänget waren / die so schön / daß Polyphilus dergleichen nicht bald gesehen. Diese zeigte ihm die Königin / mit Vermelden /daß er von selbigen die Liebes-Kunst lernen werde. Daß / sprach sie / diese drey sind die / in aller Welt berühmteste / Liebhaberinnen gewesen / und haben männiglich / mit ihrer Kunst / verführet: dazu ihre schöne und wolgebildete Gestalt des gantzen Leibes /nicht wenig geholffen / indem sie / wie ihr sehet /nicht nur von schönem Angesicht sind / sondern auch einer herrlichen[238] Statur / breiter Stirn / hoher Brust /kleiner weichen und länglichten Hände / damit sie über das künstlich und lieblich kunten auf Saiten spielen / und anmuhtig singen: waren zierlich gekleidet / verschmitzt in Lieben / und lustig in Geberden. Von diesen dreyen berichten die Historien / daß sie nie keiner gesehen / der sie nicht geliebet / auch nie keiner geliebet / der sie verlassen. Wer sich einmal in sie verliebt / muste aus dem freyen Willen einen Zwang der Nohtwendigkeit machen. Daher rühret /daß ihnen / nach ihrem Tode / viel Seulen sind gesetzet / und herrliche Gedächtnussen aufgerichtet worden. Diese erste (sprach Atychintida / und deutete mit dem Finger auf das fördere Bild) welche Lamia geheissen / hat gelebt zur Zeit des Königs Antigoni / dessen Sohn Demetrius sie hertzlich und brünstig geliebt; ja sich dermassen in ihrer Lieb vertieffet / daß er mehr einem Narren als einem Buhlen gleich war. Diese andere / Namens Layda / war bürtig aus der Insul Bithrita / so an Griechen-Land stöst / eines Hohenpriesters / in der Kirchen Apollinis / zu Delphis / Tochter. Diese lebte zu den Zeiten des berühmten Königs Pyrrhi / der sie auch übernatürlich geliebt / und in allen Feldschlachten mit herum geführet. Von dieser schreiben die Historien / was man sonst niemaln von einigem Weibsbilde gelesen / nemlich / daß sie keinem Mann / der ihr gedienet / habe jemaln Lieb erzeiget: hernach auch / daß sie niemals von einigem Mann /der sie erkennet / und seine eintzele Lust mit ihr vollbracht / sey gehasset worden. Die dritte / Flora genannt / war aus der Stadt Nola / in Campania / bürtig / von des Fabii Metelli Geschlecht / so die erste Burgermeister zu Rom / und gewaltige Herren[239] gewest. Sie hat gelebt zur Zeit des ersten Kriegs in Africa / als der Burgermeister Mamillus / vor der Stadt Carthago lag. Derselbe verzehrte mehr Geld mit Flora / dann gegen seinen Feinden in Africa.

Als Atychintida dieses erwähnte / streckte sie ihre Hand aus / nach der ersten Tafel / und zog hinter derselben ein aufgerolltes Papier herhor / darauf folgende Wort verfasset / die sie Polyphilo zu lesen gab:


Demetrius gab seiner Liebsten / Lamia / folgende Fragen zu beantworten:


I. Durch was Mittel man am allerleichtesten ein Weib gewinnen könne:

II. Aus was Ursachen sich die Liebe / unter zweyen Personen / am ersten zerschlage:

III. Was das Hertz eines Verliebten am meisten kümmere:


Lamia beantwortet dieselben also:


I. Nicht ehe wird ein Weibes-Bild gewonnen / als wann man sie treulich meynt; viel um sie leidet; und bescheiden ist in seinem Reden.

II. Die Liebe erkaltet nicht eher / als wann der Liebhaber zu brünstig ist im Lieben; und die Liebhaberin zu unverschämt im Begehren.

III. Nichts mehr kümmert das Hertz eines Verliebten / als wann er nicht kan erlangen / was er begehret; und daß er förchtet / er verliere das jenige / was er geneust.


Indessen Polyphilus diß durchsah / zog die Königin /unter dem andern Bild / noch einen Zettel hervor /welchen Polyphilus dieses Innhalts befand:


Layda wurde gefragt von Pyrrho:


I. Wie man eine rechte Lieb erkenne:[240]

II. Ob man zwey auf einmal lieben könne:

III. Wie man eine Geliebte gewinne / die sich nicht wolle erbitten lassen:


Darauf antwortete dieselbe:


I. Eine rechte Liebe wird erkennet / durch ein / bey dem Liebhaber / unruhiges Hertz; unvergnügtes Verlangen; immerfürchtende Hoffnung; Verachtung aller Gefahr und Hindernus; Leiden; Gedult; Verschwiegenheit; und endlich das betrübte Scheiden.


Da Polyphilus diß lase / fehlte nicht viel / seine Thränen hätten die Schrifft genetzet / weil er eben an Macarien gedachte / und deßwegen mit tieffen Seufftzern anfieng: Ach wol freylich! dann zu der Zeit verstummet / der Mund / und musten die Augen reden / durch der gehäufften Zähren Flut: das Hertz aber leiden / in der Pein der erhitzten Seufftzer. Inzwischen laß Polyphilus ferner:


II. Zwey auf einmal zu lieben / ist nichts unmügliches / eine in Augen; die ander im Hertzen.

Dessen hätte Polyphilus gerne eine deutlichere Erklärung gehabt: allein die Königin entschuldigte sich / daß es ein gefährlich Werck sey / welches sie nicht gern auf sich nehme. Doch so viel sie ihr zu behaupten getraue / glaube sie / daß man eine / wegen der äusserlichen Schönheit lieben könne; welches hie die Augen-Liebe genennet: eine andere aber / wegen der innerlichen / welche mit der Hertzens- Liebe geliebet werde.

III. Die dritte Frag: wie man eine Widersinnige gewinne?


Wurde beantwortet:


Daß sie mit Gedult zu erwarten; und nicht zu[241] verlassen; viel weniger halßstarrig zu bestreiten: weil dergleichen Gemüther zart im Lieben; grimmig aber im Hassen seyn.


Als auch dieses verlesen / reichete die Königin den dritten dar / dieses Innhalts: Flora solte errathen:


I. Womit die Bitterkeit der Liebe zu versüssen:

Sie rieth: Mit Hoffnung und Gedult.

II. Was das beste Mittel sey / wider den Anfall der Lieb:

Sie rieth: Die Gelegenheit meyden.

III. Wodurch die Liebe am sichersten ernehret / am reichlichsten vermehret / und am erträglichsten geehret werde:

Sie rieth: Wann man die gar zu grosse Gemeinschafft fliehet. Dann / je weniger das Auge geniesset / je mehr dem Hertzen verlanget; und doch ohne verzehrende Qual.

IV. Welches die stärckeste Liebe sey:

Sie rieth: Die auf der Gleichheit bestehet.


Darüber fieng Polyphilus an: alles glaub ich / und alles will ich billichen / aber diß letzte zu glauben /wird mich niemals ein Mensch überreden / viel weniger zu billichen. Ich sage vielmehr aus dem Grund /den mir Erothemitis gewiesen / daß die stärckeste Liebe auf der Ungleichheit bestehe. Dann die Jugend ist in ihrer Jugend unbedacht / und gebens die gemeinste Exempel / daß sie nicht so wol durch die innerliche Tugend-als äusserliche Gestalts-Schönheit zur Liebe bewogen werde: welches bey der Ungleich heit nicht zu beförchten. Dann ein Wittwer / zum Exempel / der eine Jungfrau liebet / wird / in Warheit /nicht so wol auf blosse Schönheit / als Tugend[242] und Verstand sehen / daß er ihm eine erwerbe / die seinem Hause wohl fürstehe. Eine Wittwe / welche entweder durch gehabte gute Ehe / in eine Forcht; oder böse / in eine Vorsichtigkeit wird gebracht seyn / dencket hinwieder entweder ihren Freuden-Stand fortzusetzen /oder auch ihren Unglücks-Stand zu verbessern; und daher lässet sie sich keine äusserliche Lust und Schöne verführen / sondern erwählet die Tugend und den Verstand. Ist nun ein Theil wol gegründet / und mit solchen Gaben versehen / wird auch der andere durch diesen verbessert / und zu der rechtschaffenen Tugend-Liebe geführet werden: diese aber ist die beständigste.

Polyphilus hätte gern sein und seiner Macarien eigen Exempel angeführet / welches den grössesten Beweiß geben können / aber es wolte sich nicht schicken. Atychintida aber / die Königin / als sie Polyphilum so reden hörte / und merckte / daß er denen Witwen / vor den Jungfern / gewogen wäre / fieng sie an: So wollet ihr / Polyphile! gewiß behaupten / daß die Ehe und Liebe viel sicherer und bequemer mit denen Witwen / als Jungfräulichen Geschlecht / anzufangen und einzugehen / welches doch / wider aller Gelehrten und Weisen Spruch und Aussag / geredt wäre.

Und wann es / fieng Polyphilus an / wider der gantzen Welt Schluß lieffe / wäre mir doch leichter demselben zu widersprechen / und umzustossen / als die Warheit zu läugnen. Besehet selber / fuhr er fort /Holdseligste Königin! was Flecken der Liebe / so die Jugend führet / anhangen: und was vor Seulen die Neigung unterstützen / welche in der Ungleichheit der Liebenden / entweder der ältere zu dem Jüngern /[243] oder dieser zu jenem trägt. Wann nichts wäre / als einig der vorgesetzte Beweiß / wolte ich durch den gnug behaupten. Ich setze aber hinzu / daß eine solche Liebe / so auf der Ungleichheit bestehet / viel brünstiger und mehr befestet ist / als welche die Gleichheit trifft. Dann das ist je wahr / eine Liebe ohne Furcht /ist keine Liebe. Wann das Hertz brennet / und darff sich nach seinem Gefallen löschen / wird es bald erkaltet: wo aber immer ein Füncklein hangen bleibet /da glimmet die Liebe von neuem. Gar zu grosse Gemeinschafft gebieret Verachtung: Gleichheit aber ist die Ernehrerin der Gemeinschafft: daher komts eben /daß die in der Gleichheit lieben / offt in grosse Verachtung / und dannenhero auch in feindseligen Haß gerathen: wo aber die Sinne etwas solches lieben / das sie höher achten / als sich selbst / das lieben sie nicht nur allein / sondern ehren auch dasselbe; und indem sie es ehren / müssen sie sich auch vor dem fürchten. Und die Furcht ist gar eine angenehme liebreiche Furcht. Nun schließ ich so: was ich fürchten muß /daß muß ich nothwendig lieben; solls anders eine angenehme Furcht genennet werden: was ich ehren muß / muß ich wieder nothwendig lieben: weil diß müssen nicht gezwungen / sondern freywillig erwählet ist Was ich aber mit Ehr und Furcht liebe / das darff ich mir nicht zu gemein machen / sondern solt gleich die Liebe auf den höchsten Grad tretten wollen / wird sie alsbald von der Furcht zu ruck gehalten. Mache ich mich nicht zu gemein / hab ich keine Verachtung /weder auf dieser / noch auf jener Seite zu förchten: und ohne Verachtung ist kein Haß. Endlich folget /daß / weil die Liebe / in der Furcht / nie gesättiget wird / kan sie auch[244] nie erleschen / sondern blühet und brennet immer fort / und kan doch nicht verblühen. Das aber ist die brünstige / beständige Liebe.

Nun müssen wir das auf eine Witwe / zum Exempel / ziehen / werden wir alles mit hellen Augen sehen. Diese / so fern sie von einem / der sich ihr nicht gleichet / das ist / von einem jüngern geliebet wird / hat sie ihren Liebhaber / nicht nur in die Liebe / sondern auch in die Furcht geführet. Denn ihr höhers Alter ist von dem jüngern billich zu ehren: ihre vollkommenere Tugend-Verrichtungen sind von der unvollkommenen Jugend gebührlich zu verwundern: ihr geübter Verstand / und besser erfahrne Hauß-Bestellung / auch / in vielen Glücks- und Unglücks-Ständen / schon probirte Klugheit und Frömmigkeit /ist schuldiger massen / von der noch unerfahrnen Jugend / hochzuhalten: ich rede aber von einer verständigen erbarn Matron / die nicht lebendig tod ist. Wie nun diß alles der Geliebten bey ihrem Liebenden ein Ansehen / theils dem Liebenden gegen der Geliebten eine Forcht gebieret; also wird die Liebe / oberzehlter massen / immer fort und fort gestärcket bey dem Liebenden: Die Geliebte aber / indem sie mercket / daß ihr die gebührende Ehr nicht geraubet / sondern durch ihre Tugend bedienet / durch ihren Verstand hoch und werth gehalten werde / muß / mit einer gleich-gültigen Gegen-Liebe / diese Liebe stärcken: mit Ehre / die sie dem Liebenden / als ihrem Haupt / schuldig ist: mit Furcht / daß die Bescheidenheit nicht in Widerwillen und Verdruß verwandelt werde: mit Liebe / als welchem sie ihr Hertz vertrauet. Und das ist dann eine rechtbrünstige Liebe. Uber das kommet noch hinzu das Vertrauen / welches keine geringe Entzündung würcket.[245] Dann wann beyderseits / die Tugend geehret und der Verstand geliebet wird / können sie sich auch beyderseits auf solche Tugend und Verstand verlassen. Welches Vertrauen dann nichts anders ist / als die Zufriedenheit / so die immerglimmende Liebe würcket.

Atychintida hörte diesem Gespräch / nicht ohne sondere Belustigung zu / weil sie aber gantz Widersinnes war / gedachte sie / ihn zu fragen / und sprach: So folget / Polyphile! daß der Liebende der Geliebten Diener seyn müsse: da doch die Götter selbsten / eine widrige Ordnung gemacht. Der Dienst / fieng Polyphilus an / ist gar angenehm / und so beschaffen / daß er mehr einer Herrschafft gleiche. Zwar / fuhr er weiter fort / billige ich nicht / daß manche / durch die nichtige Liebe / sich so weit führen lassen / daß sie dienen / da sie herrschen sollten: gleichwol aber kan ich das auch nicht vor Unrecht erkennen / daß der /welcher mit höherm Verstand und herrlichern Tugenden bereichert ist / herrsche über den / der dessen Mangel trägt. Doch ist dieser Dienst nicht hinderlich der Oberherrlichkeit so ein Mann in seinem Hause haben soll / sondern viel mehr beförderlich. Er ist auch kein Dienst zu nennen: sondern eine Folge; und wird die Geliebte / Krafft ihrer Tugend / den Befehl und die Herrschafft so führen / daß sie mehr eine freundliche Erinnerung / als ein Befehl / zu nennen. Daher ich erst neulichst / nicht ohne freywilliges Gutheissen / folgendes Sonnet gelesen / so ein Tugend-verliebter / an dergleichen Geliebten / abgehen lassen / die ihn einen Herrn genennet:


Wie schickt sich aber das? Soll ich noch Herre heissen /

da ich nur Knecht will seyn? nicht so / der treue Dienst

verbleibet eigen mir: und wie du herrlich schienst /[246]

als ich mich dir ergab; so kan auch keiner reissen

Die Herrlichkeit von dir: du must nun ewig gleissen /

auf deinem Herrschaffts-Thron: ich dir zu Füssen stehn /

und leben deiner Gnad: in allen Dingen sehn /

auf das / was du befiehlst: doch wilt du dich befleissen

zuletzt der treuen Dienst / mit einem Herren-Lohn

mir zu erwiedern selbst: wilt du die Ehren-Cron

mir willig setzen auf: so / daß ich soll befehlen /

und du willt folgen mir: so liebe wieder mich /

wie ich dich brünstig lieb; doch nein / ich bitte dich /

du wollest / Herrscherin! mich deinen Knecht erwählen.


Auf diß fieng die Königin an: das ist wol etwas geredt: aber gleichwol meyne ich / daß / so fern ein Liebhabender Jüngling selbst auch mit Verstand und Tugend begabet ist / es besser sey / eine in allen noch unerfahrne Jungfrau zu lieben / die er gleich einem Wachs / nach seinem Sinn und Willen / richten und ziehen kan: als eine Wittwe / deren gefasste Gewonheit / ihr entweder gar nicht abzubringen / oder ja mit gedoppelter Mühe. Gedoppelter / sage ich: indem sie nemlich einmal die ihm mißfällige Sitten / so sie bey ihrem vorigen Liebsten gewohnet / lassen: hernach aber sich gleichsam verneuen / und diese hingegen annehmen muß. Dann sehr schwerlich ists zu glauben und zu hoffen / daß der Sinn / des Gegenwärtigen /sich gleiche mit dem / was der erste gewolt. Muß also dieser entweder seine Sinnen ändern / und sich in der Liebsten Sinn schicken; welches mehr als ein Knechtisches Joch wäre: oder muß sich mit ihrer Veränderung plagen; welches allerhand Widerwertigkeit würcket: oder muß im steten Wider-Sinn leben / da lauter Unruh / aber kein Fried zu hoffen.

Polyphilus stellte sich / als wüste er nicht viel zu antworten / fieng aber bald darauf an; Verständige[247] Königin! was anlanget einen verständigen Jüngling /ist solches eher zu wünschen / als zu hoffen. Wie kan ein Verstand seyn / da keine Erfahrenheit ist? Zwar will ich solchen nicht gar läugnen: aber doch bleibet das geschlossen / daß eine verständige Witwe / die selber alles schon erfahren / vor verständiger zu halten sey / als ein unerfahrner Jüngling. Doch sey es / es werden dergleichen gefunden / solte ein solcher nicht besser thun / daß er seinen Verstand mit der Tugend der Liebsten stärcke und mehre / als denselben an einem Unverstand verderbe. Wie viel sind dessen Exempel / daß auf solche Art / auch ein verständiger Mann verdorben? Und solte ja seine Zucht wohl anschlagen / ists doch sicherer / wo keiner solchen Zucht von nöthen. So bleibet das in alle Ewigkeit wahr / wo Tugend zu Tugend / Verstand zu Verstand kommen; oder wo beydes verdoppelt wird / da wird der Hauffen desto grösser. Man möchte einwerffen /daß man auch verständige und Tugendsame Jungfern finde: das ich nicht läugne / aber eine Wittwe ist / in diesem Fall / vorzuziehen / und nicht so gefährlich zu erwarten. Was sie aber / Holdselige Königin! zu letzt angehänget / daß eine Wittwe ihre Gewonheit nicht leicht ablege / und was sie bey ihrem Liebsten erlernet / nicht bald vergesse; darauf darff ich nicht antworten / wann ich diesen Grund vor-gebauet habe /daß sie verständig und Tugendhafft sey: von keiner andern gilt der Schuß. Dann hat sie einen Tugend-verständigen vor dem geliebet / wird sie auch keinen andern Wandel führen: fehlet es dann / daß sie von einem Unwürdigen ist beherrschet worden / weiß ich dennoch / daß die Tugend eine solche Art hat / die sich von keiner Macht zum Bösen[248] zwingen / oder auch / durch Befehl / verleiten lässet. Mit einem Wort / ist und bleibet das geschlossen / eine Tugend-gezierte und verständige Wittwe ist weit höher und besser zu schätzen / dann ein gantz Jungfräuliches Geschlecht / das nur zur Uppigkeit und vergänglichen Lust geneigt / nicht auf Tugend und Verstand ihren Sinn richtet / sondern das liebet / was sie nach diesem härter betrüben kan.

Atychintida hielte dem allen starcke Widerrede /führete die beförchtende schädliche Zufälle an / und versetzte / daß / wann gleich alles / was Polyphilus von der Tugend erwiesen / in güldener Warheit bleibe / dennoch viel Ungemach bey einer Wittwe zu erwarten; dann einmal / so fern dieselbe gutes Vermögens / entweder von sich selbst / oder ihrem vorigen Liebsten / wäre so viel Hochmuth zu fürchten / als Pfenning in dem Kasten: wäre sie dann widriges Falls in das Register der Dürfftigen gezeichnet / dörffte man sich auch geringer Freude versichern. Zu deme noch das allergrösseste käme / die Menge der unerzogenen Kinder / so etwa vorhanden wären / diese verursachten Zanck / wegen der Zucht / Haß wegen der Eintheilung der Güter / Widerwillen wegen der abgeneigten Liebe / und so fort an. Daher endlich folgete /daß / so fern eine solche Widerwertigkeit entstünde /beyder Hertzen abgewendet / und an fremde Ort gelencket werde; theils sie / die ohne Zweiffel von ihrer erstgeführten glücklichen Ehe viel rühmen würde /und jenen diesem vorziehen; welches dann die Wurtzel ist der Uneinigkeit; theils auch er selbsten / wann er mercket / daß ihr Hertz noch mehr an dem Verstorbenen / als ihm hänge / werde er auch gleichsam mit verführet / daß er seine Sinnen anderwerts[249] lencke /und aus den Schrancken der gebührenden Zucht trette.

Polyphilus / fast erhitzet / führete kurtze / aber strenge Wort / sprechend: wann ich so schliessen wolte / will ich bald erweisen / daß nicht nur keine Witwe / sondern gar kein Weibsbild / sie sey Jungfrau / oder was sie wolle / zu heyrathen. Dann ist sie reich / so will sie herrschen / ist sie arm / so wächst der Mangel; ist sie schön / wird sie verführet; ist sie heßlich / ist alle Freude todt. Aber das heisset nicht von einem verständigen Tugend-Paar geschlossen. Anlangend auch die Kinder / wird hoffentlich die Frucht nach dem Stamm gerathen / daß sie mehr erfreuen / als betrüben. So achtet auch ein Tugend-liebendes Hertz keinen Vortheil oder Reichthum: sondern ist zu frieden / wann er seine Geliebten / die ihm mit gebührender Ehr begegnen / und vor ihren Schutz annehmen und halten / mit seiner Hand nehre / und mit seinem Arm bewahre. Hat sie demnach / Holdselige Königin! in diesem Fall / gar unrecht geschlossen; dann Reichthum achtet ein Tugend-begieriger so viel /als nichts.

Atychintida erkennete den Fehler / fieng gleichwol wieder an / einen andern / und / ihrer Meynung nach /viel kräfftigern Beweiß anzuführen / aus dem / daß solche Personen / welche beyderseits / einer dem andern / die Ehre und Zierde der Jungfräulichen Keuschheit zubringen / auch einander fester und vergnüglicher lieben / als da solches eines theils fehle. Hingegen / versetzte Polyphilus / weiß ich bey der Wittwe /was ich habe / und daß ich nicht betrogen werde. Daher ich vielmehr / auf meiner Seiten / so schliessen wolte. Dann wofern ein zweifelhafter[250] Gedancke dem Liebenden entstehen solte / der ihn / wegen seiner Geliebten / biß dahin verwahreten Keuschheit / in Mißtrauen setzen würde / wo wird die Liebe bleiben? welcher aber eine Wittwe liebet / ist dieser Forcht gäntzlich befreyet. Auch wäre allhie nöthig / die Gemüther der Menschen zu unterscheiden / deren etzliche zu der Jungfräulichen Ehre geneigt / etzliche aber mehr selbiger zuwider erkannt werden. Meinen Theil betreffend / halt ichs mit dem letzten / und widerspreche dem Schluß / daß die Liebe mit der Jungfrauschafft am glückseligsten blühe. Dennoch aber / führete Atychintida weiter an / müstet ihr / geliebter Polyphile! in steter Forcht schweben / sie liebe euch nicht von gantzem Hertzen / weil zu besorgen / daß die Erinnerung und das Gedächtnus ihres vorigen Liebsten / noch immer eine Gluth / in ihrem Hertzen / entzünde / dadurch sie mehr gegen ihm / als euch selber brennete. Diß beantwortete Polyphilus / daß sie gegen einem Verstorbenen möge brennen lassen / was sie wolle /weil ihme der keinen Schaden könne thun: auch / fuhr er weiter fort / wäre sie darum zu loben / als deren Hertz nicht alsobald vergesse / was die Augen verlassen: ja desto eiferiger zu lieben / weil man sich / auf solche Art / einer getreuen Liebe bey ihr versichern könne. Und / fieng er endlich an / wann sie gleich /Holdseligste Königin! tausend widrige Ursachen anführete / wolt ich auf tausend antworten / und tausend wieder entgegen setzen / die / was sie zu verwerffen gedächte / bekräfftigen könten. Dieser Grund bleibet unverruckt: besser und sicherer ist eine Wittwe / als Jungfer zu lieben / von der man / so wol im Leben und Wandel / als in der Liebe / damit sie schon zuvor geliebet / gewissen Beweiß und[251] unverfälschte Zeugnus haben kan. Darauf Atychintida antwortete: Nun /so bleibet in eurem Vorsatz / und so fern ihr diß Gespräch / nicht bloß in den Wind gerichtet / sondern es etwa in dem Werck zu erweisen gedencket / so verleihen die Götter / daß euer Beweiß / dem ich nunmehr selbst beypflichten muß / auch allerdings erfüllet werde / damit ihr nach diesem nicht bereuen dörffet /daß ihr anjetzo / bey einer Wittwe / der Wittwen Lob so hoch erhebet / und euch selbsten so tieff darein verliebet.

Dieser Schertz Atychintidœ / weil er / in dem Hertzen Polyphili / einen lautern Ernst traff / vermochte ihm leicht die Röthe auszutreiben / ob er gleich / mit höflichem Gegen-Schertz / sein Gespräch / allein der Königin zu Ehren und Gefallen geführet / gar artlich bekräfftigen konte / als hätte ers vor das grösseste Unrecht bekennen müssen / wann er / in Beyseyn ihrer / der Wittwen Vorzug hätte sollen erdrücken lassen. Wie aber ein Schertz den andern reitzet / als fieng die Königin an: so seh ich wol / haben wir alle beyde ein anders geredt / ein anders gedacht / weil ein jeder wider sich selbst geredt / dem andern zu Gefallen. Welches Polyphilus so muste geschehen lassen und zugeben / damit er nicht schuldig würde / an der Liebe einer Wittwen / die doch heimlich solte gehalten werden.

Weil derowegen Polyphilus / nur mit Wincken /nicht mit Worten / ihren Schluß billichte / und also keine Ursach gab weiter zu reden / fieng sie an: Nun habt ihr / Polyphile! so viel gesehen / als menschlichen Augen allhier zu besichtigen / erlaubet / werdet auch mit meiner und der Meinigen bißher erzeigten Gunst vergnüget seyn: weil wir aber euch Polyphilum[252] nennen / das ist / vor den halten / durch welchen die erzürnte Götter sich wieder mit uns vereinigen / und diß Gefängnus wenden werden / so neiget eure Gunst nicht von uns / sondern verdienet den Danck / welchen der geneigte Himmel euch / vor andern / zu verdienen / vergünstiget. Jetzt ist die Stunde vorhanden /da entweder wir wieder erlöset / oder aufs neue und ewig werden verdammt bleiben / und ihr mit uns. Darum so folget mir / Polyphile! unser Trost! wir wollen denen Unsterblichen Opffer bringen / und ihren Dienst verrichten.

Mit welchen Worten sie Polyphilum wieder ausführete / da sie eingangen waren / biß mitten in den Glücks-Tempel / allwo zwey grosse Seulen aufgerichtet / in deren Mitte ein Kasten / an zweyen eisernen Ketten / herab hieng / welcher das Schloß des Gefängnüsses behielt. Und als Polyphilus / gerad gegen über / eines Altars gewahr wurde / darauf sie opffern könten / sprach er zur Königin daß diß ein bequemer Ort wäre / zu dem Opffer / allda sie es vollbringen wolten: welchem dann die Königin einstimmete / und ihr Vorhaben mit grosser Andacht vollbrachte.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 237-253.
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