Fünffter Absatz

[253] Beschreibet die endliche Erfüllung / des Verlangens Polyphili / durch den Anblick derer Tafeln geschehen / auf welchen der Name der schönen Macarien geschrieben / und was sich weiter begeben: Lehret / daß endlich das Tugend-Verlangen nicht unvergnügt bleibe /[253] solt es gleich heimlich und etwas scheinbar geschehen.


Nach verrichtetem Opffer / führete die Königin Polyphilum zur lincken Seiten hinter ein Gerüst / und zeigete ihm die so langverlangte Tafeln / darauf der tausend schöne Name Macarie in Ertz gegraben war: so bald Polyphilus denselben erblickete / schlug ihn /weiß nicht / soll ich sagen / die unerschöpffte Freude /oder das schmertzliche Verlangen / gleich einem Donner-Keil / ins Hertz / daß er / sein selber vergessend /auf die Erden niderfiel und / als wolt er anbeten / sich geberdete. Er empfieng den Namen Macarie / mit so offt wiederholtem Kuß / daß endlich die Königin verursachet wurde / ihn zu erinnern / daß er die Ehre / so allein denen Unsterblichen gebühre / nicht einem Menschen beylege / und die Götter erzürne: aber es mochte alles nicht helffen / ob der Mund und die Augen gefangen gehalten würden / hatte doch das Hertz seinen freyen Paß / welches in der erhitzten Seufftzer-Glut dermassen brannte / daß der aufgehende Rauch alle Sinnen dämpffete / so gar war nichts empfindliches mehr an Polyphilo.

Da ihm aber die ausgesandte Boten seiner Gedancken / von Macarien wieder zu ruck kamen / und sein Hertz mit guter Hoffnung trösteten / ermunterte er sich wieder / und weil er allererst erkennete / was er gethan / überfiel ihm eine so furchtsame Schamhafftigkeit / daß er die Königin nicht ansehen dorffte: welche / da sie solches merckete / ihn selber anredete / und seines Verbrechens halber straffete. Nach dem / befahl sie ihm die Schrifft zu lesen / die wir oben[254] schon gesetzt / und da er vernahm / daß das Gelübd der Einsamkeit / durch Polyphilum / solt aufgehoben werden / und Macarie / unter einem fremden Joch / gefangen liegen / fehlete nicht viel / er wäre vor Furcht und Freuden fast gar gestorben: die Freude gebahr die Zerstörung der Einsamkeit; aber diß Gefängnus Macarie konte er nicht alsobald errathen / das ihm dann keinen geringen Schrecken erweckete / sonderlich / weil es ein fremdes Joch genennet wurde. Doch tröstete ihn die Königin / daß / nicht ohne erhebliche Ursachen / eben die beyde Namen zusammen gesetzet wären. Mehr aber stärckete die Freud Polyphili / daß nunmehr die Zeit der Erlösung vorhanden: also auch er die Einsamkeit zerstören werde. Hätte Polyphilus gewust / daß sie in dem Hertzen Macarie schon zerstöret gewesen / würde er noch fröher worden seyn. Er stund vor den Tafeln / sahe sie bald hinten und bald fornen an / gedachte hin und her / und kunte doch nichts gewisses finden. Kein grösser Glück hätte man ihm wünschen können / als daß er Zeit genug gehabt /deme allen sinnlicher nachzuforschen / darum sprach er bey sich selbst:

Ach! du beglückter / und doch dabey auch unglückseliger Polyphile! solt du denn von den Göttern nimmermehr / mit einer unbefleckten Freud / verehret werden? muß dann das Glück mich / mit weinenden Augen / anlachen? wie habt ihr mich / ihr unsterbliche Götter! auf einmal so hoch erhebet / und aber auch so tieff gestürtzet / daß ich nicht wissen kan / soll ich dancken oder klagen? Ach! du allerherrlichster Name Macarie! Macarie meine Lust / und meine Ergötzungen! wärest du nicht tieffer in mein Hertz gegraben /als dich dieses Ertz / O das beglückte[255] Ertz! in sich hält / du wärest schon längsten / durch die innerlich-weinende Sinnen / und denen Thränen-Tropfen weggeflösset und ausgetilget worden. Nun aber bist du in den innersten Grund meiner Seelen / ach meiner Seele! und unglücklich verliebten Hertzens versencket / da dich keine Fluth erfassen / noch ein Feuer verzehren kan. Laß dich doch / allersüssester Name! noch tausendmal hertzen / ehe du unter ein fremdes Joch gefangen werdest. Aber was sag ich? ein fremdes Joch? nicht das Joch Polyphili? Ey / so müsse meine Seele sterben / und mein Hertz ehe zerstücket werden / als daß du mir entnommen werdest. O ihr erzürnte Götter! womit hab ichs verschuldet / daß ihr mich verderben wollet? Gefället es euch / so lasset dennoch diesen meinen letzten Wunsch nicht erfüllet bleiben / daß ich eher sterbe / als Macarien / Ach! meine Macarien! die allerschönste Macarien! unter einem fremden Joch müsse sehen gefangen liegen. Wie? soltet ihr / ihr meine Augen! dem Jammer zu sehen können? Wie soltest du / du meine Zunge! gefangen bleiben / daß du nicht über billich-verdiente Rach schriest? Wie soltet ihr / ihr meine Hände! feyren können / denselben aus ihrem Schoß zu reissen /der ihn unwürdig inn haben würde? Du / mein gekräncktes Hertz! müssetest ja vor Eyfer zerspringen /und vor Schmach verschmachten. Nein / ihr barmhertzige Götter! die ihr mich so offt beglücket / werdet mich in dieser Unglücks-Fluth nicht ersäuffen lassen! Nein / ihr gerechte Götter! die ihr eure Gaben mit Billichkeit austheilet / werdet meinen sauren Schweiß /und gefährliche Bemühungen / nicht so gar unbelohnet lassen; sondern wo nicht mehr gönnen / doch dieses herrlichen Namens[256] mich würdigen / daß ich ein Liebhaber der hundert-beschönten Macarien / ach! Macarien! gewesen sey / und daß ich mich nicht gewaigert / ihrentwegen dem Tod mich zu ergeben. Aber / was klag ich? Habt ihr doch / ihr gnädige Götter! mir schon mehr gegeben / als ich gebeten / als ich gehoffet / als ich verdienet habe. Habt ihr doch durch mich beschlossen / das Gelübd der Einsamkeit aufzuheben: ihr deutet aber ja die Einsamkeit der einsamen Macarien? Habt ihr doch durch meinen Arm / das Gefängnus dieser Verbanneten aufzulösen / beschlossen: so habt ihr auch ja die Schönste unter den Weibern /meine ewig-geliebte Macarien / in mein Joch gefangen gelegt? solt ich das wissen / wolt ich euch / durch die Auflösung dieses Gelübds / ein ewig Gelübd von neuem geloben: doch sey es / ich traue eurer Güte /die wird mich nicht verlassen.

Das waren dißmals die Gedancken Polyphili / die er aber / wegen der anwesenden Königin / nicht gar deutlich / sondern mehrentheils halb-gebrochen / hervor bringen muste. Was geschicht? Eben da er die letzten Wort ausgesprochen / und weiter reden will /erklinget hinter ihm eine Stimme / wie ihm deuchte /vieler hochsingenden Göttinnen / die ihn mit solcher Verwunderung erschröcketen / daß er / mit grosser Behendigkeit / sich gegen dem Klang wendete / und aller Reden und Gedancken vergaß / sonderlich / da er den Namen Macarien klingen hörete. Es wurde aber folgendes Lied gesungen:


Macarie! du theurer Nam /

wie bist du doch so mächtig!

Du machest die Begierde zahm /

und selbst die Kunst verdächtig:[257]

es kan dir niemand widerstehn /

es muß nach deinem Willen gehn /

und wär es noch so prächtig.


2. Macarie! du Tugend Cron!

von jedermann gepriesen:

nimm / werthes Kind! nimm deinen Sohn /

der jüngsthin Dir erwiesen /

was er gelitten hat um Dich /

und wie er liebe brünstiglich /

Dich will er nur erkiesen.


3. Macarie! trau wieder ihm /

wie er sich Dir vertrauet:

Sein Muth / sein Hertz / und gantzer Sinn

auf Dich alleine schauet:

auf Dich und Deine Wunder Kunst

hat er sein Hertz / und seine Gunst

von Anfang her gebauet.


4. So laß ihm nun den reichen Lohn /

die Gegen-Gunst erlangen:

daß er die edle Tugend-Cron /

Macarien umfangen /

und sich mit Ihr ergötzen könn /

daß Sie ihm ihre Liebe gönn /

und stille sein Verlangen.


5. Polyphile! sey gutes Muths /

der Himmel wird dir gönnen:

Macarie! dir schencken Guts /

daß du wirst bald / bald können /

dich / Ihre Freud / sie deine Lust /

und was mehr werden wird bewust /

mit allen Freuden nennen.


6. Darzu nun wünschen alle wir /

was selbsten dir geliebet:[258]

Polyphilum und seine Zier /

die ihm der Himmel giebet:

Macarien / das liebe Kind /

dem Götter / Menschen gnädig sind /

hinfort nichts mehr betrübet.


Mit was Tausendfältigkeit der Freuden / Polyphilus /durch diesen Gesang / sey überschwemmet worden /ist ehe zu gedencken / als auszusprechen. Darum wir uns nichts unmügliches unterfangen wollen. Die Königin aber / und andere Anwesende wurden so hoch bestürtzet / daß sie nicht wusten / was sie glauben solten / bevorab / da sie dergleichen / in diesem Tempel / nie befunden / und also nicht wusten / was es wäre / oder woher es rührete: aller Schluß gieng einmüthig dahin / daß die Unsterbliche den Himmel verlassen / und zu ihrer Erlösung / an diesen Ort / sich versamlet: welcher Wahn sie doch hefftig betrog /dann diß alles / die viel-vermögende Kunst / der Zauberin Melopharmis / zu Wege richtete. Polyphilus indessen verlangte nichts mehr / als die Erlösung des Gefängnusses / die auch ihn wieder an die Sonnen /und vielleicht zu seiner Macarien bringen würde.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 253-259.
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