Neunter Absatz

[441] Beschreibet die Ankunfft Phormenä gen Sophoxenien / und die Schlitten-fuhr Polyphili /welche so unglückselig / als verhinderlich war: Lehret / den Dritten und gemeinsten Anstoß der Tugend-Verliebten / die Unglückseligkeit.


So lassen wir nun die schöne Macarie mit Talypsidamo in gleichem Verlangen ruhen / und vernehmen /was sich indessen mit Polyphilo begeben / und wie dieser seine Reise befördert. Der Raht Melopharmis /war dazumal[441] noch der beste / deßwegen auch die Königin / um sicher Geleit / begrüsset wurde.

Es schickte sich aber eben / daß Phormena / eine Befreundte der Königin / von der Freude ihrer Erlösung Bericht erhalten / und selbiger mit zu geniessen /eben damals / als Talypsidamus abgereiset war /dahin kam / und die Königin grüssete. Die Freude / so aus beyder Gegenwart entstund / war sehr groß. Für allen aber danckete Phormena dem Polyphilo wegen der Königin / und gewan ihn fast lieb / theils seiner Schönheit halber / theils auch / wegen der grossen Ehr / die ihm seine glückliche Verrichtungen erworben. Polyphilus stellte sich hinwieder nicht unfreundlich / doch so viel die Treue / mit welcher ihn seine Liebe gegen Macarien verbunden / zuließ.

Allerhand Lust-Spiel und anmuthige Zeit Kürtzungen erdachte Melopharmis / samt der Königin / damit sie ihre geliebte Phormenam bedienen möchten. Nun begab sichs / daß dieselbe bey Atychintida / in ihrem Zimmer / allein war / daher die Königin Ursach bekam / mit Phormena / von Macarien zu reden / und zu erzehlen / was sich ihrentwegen / die Zeit / begeben und zugetragen. Am allerfleissigsten aber wiederholte sie das Lob / so ihr Talypsidamus beygelegt /und mit solchen Worten / daß Phormena / vor grosser Begierde / dieselbe zu sehen / allen Scham zuruck warff / und die Königin um Hülff und Beförderung ansprach / daß sie zu der Inful gelange Darauf Atychintidœ alsobald die Bitte Polyphili beyfiel / deren durch diß Mittel konte gedienet werden. Deßwegen sie Phormenam zur Ruh wieß / biß sie mit Polyphilo geredt / und erfahren[442] / ob er noch gesinnet sey / seine Reise auf Soletten fort zu setzen / mit deren auch ihre könne befördert werden.

Eben aber kam Polyphilus / seine Bitt zu wiederholen / da ihn die Königin / mit diesen Worten / empfieng: Edler Polyphile! dafern ihr eure Reise auf Soletten / um Talypsidamum zu besuchen / anstellen wollet / will ich euch Phormenam / meine Befreundte /zur Begleiterin vertrauen / welche Verlangen trägt /die Tugend-gezierte Macarien zu sehen. Dessen sich Polyphilus / als einer begehrten Auftrag / schuldig bedanckte / mit Versprechen / daß er sie unbeleidiget hin und wieder bringen wolle. Nunmehr war keines Raths mehr Noht / wie er seine Reise sicher anstellen möchte / weil er Phormenam / an statt der Königin selber / führe. Der Schluß stund noch zu erwarten /durch was Gelegenheit sie Belieben trage / ihre Reise zu vollziehen. Es war aber eben die Erde mit tieffem Schnee bedecket / (so lang war Polyphilus von seiner Macarien entfernet /) daß die Schlitten-Fuhr am füglichsten und lustigsten zu seyn scheinete / zuvor / da die Insul nicht ferne von dem Schloß entlegen / so /daß es sich nicht übel einer erwählten Spatzier-Fuhr gleichen konte. Der Schluß ward gemacht / der Schlitten / auf Befehl Polyphili / mit seinem Zugehörigen bereitet / und Phormena zur Reise gerüstet. Polyphilus eilete auch auf sein Zimmer zu / daß er / wessen er möchte benöthiget seyn / allerdings zusammen ordnete; und wiewohl er keine Zeit-Versaumnus zuließ /mochte doch die mächtige Freud / die in ihm der hoffende Anblick seiner Macarien erweckete / das Hertz Polyphili dergestalt bezwingen / daß er / alle Geschäffte[443] verhinderend / der beglückten Zeit / die ihm die Gegenwart der Macarien schencken werde / mit folgendem Gedicht / seinen gebührenden Danck ablegte:


O tausend-liebe Zeit / und tausend noch darüber /

und widerum so viel! was könte mir doch lieber

und angenehmer seyn: als du / du schöne Zeit /

die einig mich ergötzt / die häuffig mich erfreut.

O lieb-beliebte Zeit! wie soll ich dirs vergelten /

was du mir jetzo bringst: wann jene gleich bestellten

Schiff in Arabien / mit Centner-schwerem Gold /

und Perlen angefüllt / dem alle Welt ist hold:

Wär dieses lieber doch: was lieber? auch wohl besser /

weil jenes bald vergeht; diß aber immer grösser

durch veste Treue wird; drum Zeit ich dancke dir /

und preise deine Gunst / die du erweisest mir.


Eben setzte er das Gedicht zu Papier / als ihm Melopharmis die Post brachte / daß der Schlitten bereit /und Phormena / in dem untern Saal / auf ihren Führer warte. Deßwegen sie ihn eilen hieß / Abschied nahm /und mit folgenden Worten / Glück zu seiner Reise wünschete: Freud-hoffender Polyphile! Euer Hertz /weiß ich / ist mehr bey Macarien / als euch selbsten. Nun so verleihe der gnädige Himmel / daß ihr sie /nach eurem Wunsch / antreffen und grüssen möget. Besinnet euch aber in allem / und mercket auf eure Wort / daß ihr die Gunst des leicht-erzürneten Hertzens nicht verderbet / in dem ihr dieselbe zu hefftig suchen wollet. Versichert euch / daß ihr angenehm / ja erwünscht kommen / und mit eurer Gegenwart / die Betrübnus / so die schöne Macarie / durch euer Abseyn erlitten / erfreulich verwechseln werdet. Mit diesem Schluß eilete Polyphilus zum Schlitten.

Die gebührende Hoflichkeit aber befahl ihm /[444] nicht weniger / auch von der Königin Urlaub zu nehmen /ja! den gantzen Hoff-Staat indessen der Gunst des Himmels zu befehlen / mit dem Versprechen / daß er sie bald wieder sehen wolle. Ein jedweder / sonderlich Atychintida / wünscheten ihm allen Segen / und begleiteten ihrer etzliche Polyphilum / biß zum Schlitten: die übrige blieben in dem Dienst der Königin /welche sich / mit Clyrarcha und Cosmarite / auch andern deren vornehmsten Hofbedienten ins Fenster legten / und der Fahrt Polyphili betrübt nachsahen: Vielleicht weil ihnen das Hertz ein Unglück vordeutete. Melopharmis / die getteue Beförderin des Verlangens Polyphili / gab ihm auch das Geleit / und halff ihm so gar auf den Schlitten / bittend noch zu letzt / um einen schöner Gruß / an Macarien. Alle und jede / die ihm zusahen / scheineten / seinen Wunsch / mit der selbst-willigen Zuruffung alles Glücks / zu befördern. Er selber Polyphilus / gantz erfreuet / bildete ihm nichts anderst / als die gewisse Erlangung seiner / ach! so schmertzlich verlangten Macarien ein / deßwegen er voller Erfreuung / gleich im Aufsitzen; wie er dann fertig war in seinen Gedichten / folgende Wort / zu denen umstehenden / und mit lachendem Munde /auch schertzhafften Geberden anstimmete:


Der Schlitten ist bereit / das Pferd ist angespannt:

ich soll / ich soll / wohin? zu meinem Liebe rennen;

ach! sollt ich / wie ich wollt / der Vogel Künste können /

ich hätte längsten schon den schnellen Flug gewandt

nach dem verlangten Ort; an jenem Penus-Strand /

da ich zum erstenmal sie habe lernen kennen /

da sie hinwieder auch mir einen Blick wird gönnen /

so bald ich sie erseh / das theure Liebes-Pfand /

dadurch sie mich zu erst möcht ihren Diener nennen /

dadurch ich anfieng auch in heisser Lieb zu brennen /[445]

der Augen heisse Strahl wird wieder mir bekannt /

mit noch so süsser Lust / in dem beliebten Land /

da sein geschärfftes Stahl / durch die gespannte Sennen

der Wind-geschwinde Knab / dort von der Himmels Tennen /

auf seiner Mutter Rath / zu mir hat hergesandt /

ich hoffe auch zu ihr; was soll ich nicht bekennen?

frisch auf; ich fahre fort / die Liebste zu errennen.


Ach aber / unglückseliger Polyphile! wie übel fährest du fort. Freylich war in deinem Hertzen die unverruckte Hoffnung / Macarien zu errennen: aber in dem Hertzen Melopharmis war der Eyfer noch nicht gar erloschen / der sich ihr verschworen hatte / ihren Schrecken / an dir / diese Stunde / zu rächen / den deine unbedachtsame Zunge / wegen der Erledigung /dieses Schlosses / bey der Tafel / ihr verursachet. Melopharmis zwar liebte Polyphilum hertzlich / und war in allen seinen Begehren behülfflich / aber Polyphilus hatte eine wenige Straffe verdienet / nicht so wohl zur Rache / als daß er hinführo / seiner freygelassenen Zunge / besser den Zaum legen / und seinen nichts-fürchtenden Geist fleissiger in der Zucht halten lerne. Kurtz davon zu reden: als Polyphilus sich auf den Schlitten hebte / und die Seile zur Hand fassete auch /der Gewonheit nach / mit denselben das Pferd anmahnete / ihn fort zu führen: Siehe! da erschrickt dasselbe von dem Schall des Geleuts / damit es umhänget war /dermassen / daß es / mit vollem Lauff und erhitztem Eyfer / durch das Thor / einen zimlichen Weg / von dem Schloß / ohne Aufhalten / wegstreichet: und wiewohl Polyphilus / mit aller Macht / anhielt / so gar /daß auch die Seile zerrissen / trieb dennoch die gewaltige Bezauberung Melopharmis / den Grimm des flüchligen Pferds so ergrimmet fort / daß Polyphilus[446] vom Schlitten gestürtzet / einen zimlichen Weg geschleiffet wurde: der Schlitten aber / durch offtmaliges Anschlagen / zu Trümmern zerstückt / und das Pferd /gleich dem Wind / durch den Schrecken / in die Flucht gejaget wurde / biß es an einem Pfal hangend /nicht weiter reissen konte. Ob nun dieser Fall gefährlich gnug war / verhütete doch Melopharmis / Krafft der Liebe / die sie gegen Polyphilo trug / daß ihm kein grosser Schade / an seinem Leib / geschehe: wiewohl er in dem herabstürtzen / seinen Arm beschädigte / doch ohne Gefahr des Verderbens.

Die gantze Hofhaltung / und zum Schein auch Melopharmis / wurden sehr erschröckt / über das unverhoffte Unglück. Ein jeder lieff Polyphilo zu / ihn zu trösten. Und als die Königin das Blut vernahm / fieng sie wehmütig an zu klagen / beförchtende / es möchte der Schaden gefährlich / und seiner Vollkommenheit schädlich seyn. Daher sie alsobald den Wund-Artzt holen / und befehlen ließ / müglichsten Fleiß anzuwenden / daß Polyphilus wieder zu voriger Gesundheit gelange.

Was soll ich aber von Polyphilo selber sagen? dieser hätte vor Eyfer bersten mögen / nicht so wohl wegen seiner Beschädigung / als der Schand / die er ihm noch so groß einbildete / dann des Verlusts halber / daß er seine Macarien nicht sehe. Was solt er aber machen? die Gedult war der beste Trost / und die Hoffnung bessers Glücks / beseeligte den Schrecken des Unglücks. Melopharmis / die sich gantz unschuldig stellen kunte / war die nächste bey ihm / und als sie sahe / wie Polyphilus so hoch betrübet war / gereuete ihr die That so fern / daß sie ihm diese Widerwertigkeit / morgendes Tags / zu ändern und[447] zu verbessern versprach. Am allermeisten beleidiget das erzürnte Hertz Polyphili die Klag der Königin und deren Diener / die bald seinen schädlichen Fall / bald seine schöne Kleidung / bald den grossen Verlust an allem / was er bey sich führete / bedaureten: dessen er doch weniger denn nichts achtete / möcht er nur seiner allerschönsten Macarien geniessen.

Dieses Glück beseeligte sein Unglück annoch / daß er Phormenam / die er zu führen gesinnet war / nicht zu sich genommen / welche gar gewiß ihr Leben einbüssen müssen. Voller Eyfer und Bekümmernus /theils auch aus Scham / für denen Anwesenden / eilete Polyphilus in sein Zimmer / beklagende das allzugrosse Unglück / so seine gehoffte Freud / gleich einer Blumen / gefället / und den Vorsatz seiner Ergötzlichkeit / mit den Stricken der Verhindernus / allzuviel gebunden. Er gieng in demselben auf und nieder / und zeigete bald zornige / bald klägliche Geberden / das grösseste / so ihn druckte / war die Erianerung / der so viel erlittenen Noth / und wie ihm nie das Glück günstig gewesen / so offt er seine Macarien zu sehen begehret. Daher er schliessen wolte / daß vielleicht die widerstrebende Götter / durch eben diese vielfaltige Verhindernussen / ihm zeigen wollen / wie er entweder bey Macarien unangenehm / oder ja / zu seinem grössern Schaden / willkommen seyn würde. Gleichwol vermochte die erhitzte Gluth der Liebe so viel /daß nichts fehlete / er hätte / wieder aller Götter Willen / Macarien zu sehen erwählet: deßwegen er mit brünstiger Begierde diese Schmertzen Wort offt und offt hören ließ:


Ach! so kan es dann nicht seyn / daß ich dich noch heute sehe

und vor deinen Augen stehe?[448]

Ey so nimm die Seufftzer an / küsse die geschwinde Boten

die dir kommen von dem Todten /

der in dir gestorben ist / in dir auch wird wieder leben /

wann du dich hinwieder gibst / wie er sich dir hat ergeben.


Atychintida / samt Melopharmis / war stätig bey ihm /und hatte gnug zu trösten: Polyphilus hingegen konte sich nicht gnug entschuldigen / wegen seines Verbrechens gegen der Phormena / die er gen Soletten führen wollen / nun aber / wider ihren Wunsch und Willen /ja / das noch viel mehr / erschrocken und bekümmert /zu Hauß lassen müsse; Doch beschönte er solchen seinen Fehler / theils mit der Unschuld / theils mit der Zusage / daß er / morgendes Tages / reichlich ersetzen wolle / was ihm anheut die Widerwertigkeit des verboßten Glücks / wider Verdienst und Billichkeit / entzogen.

Wo bleibet aber das Pferd mit dem Schlitten / wer holet selbiges wider nach Hauß? da solten wir billich erkennen / daß offtermals wir Menschen ein Unglück leiden / und ein Leid ertragen müssen / damit wir desto grösser erfreuet und beglücket werden. Dann /als das reissige Roß / wie gemeldt / am Pfal behangen blieben / kommet eben Agapistus (O der seeligen Ankunfft!) aus seiner Wildnus / nächst zu dem Schloß /nicht wissend / daß er so nahe sey / bey denen / die er so lang und schmertzlich gesuchet. Die Vielfaltigkeit seiner erlittenen Gefahr heisset uns hier etwas still stehen / und seinen Jammer erzehlen / welchen er die Zeit erlitten.

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 441-449.
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