Zehender Absatz

[104] Beschreibet die Errettung Polyphili / durch Melopharmis geschehen / die ihn zu dem versenckten Schloß geführt / und was sich allda ferner mit ihm begeben: Lehret / wie dennoch der gnädige Himmel ein wachendes Auge habe auf die Tugend-verliebte /und seine Hülff wol verberge / aber nicht entziehe.


Nun müssen wir wieder zum Polyphilo kommen / und besehen / wie es selbigem ergangen. Alle und jede hielten ihn vor todt / und konte die Tieffe des Wassers / und die brausende Wellen nichts anders zeugen / als daß sie Polyphilum verschlungen: welches über das bekräfftiget wurde / weil der ertränckte Polyphilus / oder dessen entseelter Cörper / nicht konte gefunden werden; daher sie alle schliessen wolten / er wäre von einem Meer-Thier verschlungen / oder an einem Anstoß im Wasser hangen bliebe. Aber wie weit ein anders und bessers hatte die Vorsehung des gütigen Himmels beschlossen. Es muste dannoch waar seyn / daß die ergrimmete Boßheit der Menschen / mit aller ihrer List und Gewalt / nicht erdrucken könne / was die Erhaltung der allgewaltigen Götter / durch ihre Begnädigung / erauicken will. Denn /da sich Polyphilus / sein Leben zu verderben / und sich aller Welt Schande zu entbinden / mit völliger Verzweifflung ins Wasser stürtzete / kam er auf den Weg / selbiges / mit desto[104] grösserer Glückseeligkeit und berühmter Ehre / zu erhalten.

Melopharmis / davon wir allbereit oben gehöret /und deren Kunst-kündige Zauberey / war dem Polyphilo so geneigt / daß sie ihn unversehrt / und mit unglaublicher Behendigkeit / durch den Strom / bey etzlichen Feld-Weges weit / wegführete / biß er in die Tieffe versencket / an ein herrlich-schönes Schloß anstieß / in welchem die Innwohner / auch unter dem Wasser / ohne Furcht der Ersäuffung / leben / ja! ohne Verhinderung der Fluten / aus- und eingehen konten.

Polyphilus / der nicht wuste / wie ihm bißher geschehen / wegen des erschröcklichen Sausens und Brausens der Wellen / wurde von Hertzen froh / daß er einen solchen Ort erlanget / da er ohne Todes-Forcht Athem holen / und frische Lufft schöpffen dorffte. Ausser dem / daß er nicht wuste / wie er / unversehrt seines Leibs und Lebens / daher gerathen war / wunderte er sich noch so sehr / wie ein so herrlich Schloß in ein Wasser gebauet / und die Menschen / ohne Verletzung / daselbst leben könten.

Es war aber dieses Schloß vor dem / durch eben der Melopharmis Zauberey / von dem Meer verschlungen / und unter die Tieffe versencket worden / aus Ursach / weil dieser Melopharmis einiger noch unerwachsener Sohn / von diesem Schloß / durch Untreu eines alten Weibs / Cacogretis genannt / in das Meer gestürtzet worden. Diese blutschuldige That nun zu rächen / hatte sie nicht allein das alte Weib mit Gifft ertödtet / sondern auch diß köstlicherbaute Schloß /durch ihre Zauber-Kunst / versincken heissen / so lang / biß ein edler Jüngling / diese Unschuld bezahlte / und sie wieder einen Sohn bekommen hätte.[105]

Polyphilus / dem der Ort nicht übel gefiel / beschloß bey sich / vollends hinein zu gehen / und die Burg zu besehen. So bald er aber an das innere Thor gelangete / ward er etzlicher geharnischter Männer gewar / die ihm den Fortgang verwehreten / und ob er wol demühtig und inständig anhielt / mit Bezeugung /daß er kein Gemüt einigen zu beschädigen / oder auch anzufeinden hätte; ja mit dem / daß er gantz Wehrloß / auch keine Mannschafft nach sich führete / seine Wort gnüglich bekräfftigte: war doch alles vergebens / und hätte Polyphilus / glaub ich wol / ehe den Grimm aller erzürnten Götter begütigen / als den groben Unverstand dieser Soldaten zwingen können. Derowegen dann endlich Melopharmis gezwungen wurde / mit Behülff ihrer Zauber-Kunst / dem Polyphilo offene Thür zu machen / und ihn unvermerckt /durch die verblendete Wach / ohne Verhindernus / in das Schloß hinein zu führen.

Sieben Thor muste er durchbrechen / biß er in den Vorhof gelangete. Die aufgeworffene Thämme / und hoch-geführte Wälle / mit den fest-verwahrten Mauern / Thürnen / und was sonst dem Feind zum Schrecken aufgeführet war / gab alles gnügliche Ursach /sich theils über die Kunst-reiche Erfindung / theils über die mehr als Menschliche Verrichtung / am meisten aber über die Güte des Himmels zu verwundern /welche den menschlichen Verstand so hoch begabet /daß er nicht mehr menschliches / sondern Göttliches gedencke und erfinde: Wie dann in Warheit diese Burg mit allem Recht eine Himmel-Veste hätte können benahmet werden. So war auch an der Zierde und Schöne kein Fehl / daß sie nicht einem jrrdischen Paradeiß hätte sollen gleich[106] geachtet seyn; so gar war alles auf das herrlichste und köstlichste zugerichtet: sonderlich rauscheten im Vorhof die Blätter-gezierte Bäume / die Lust-springende Brunnen / mit denen lebendigen Wassern / aufs lieblichste. Allerhand Arten der Vögel flatterten durch die Laub-dicke Büsche /und erwecketen mit ihrer erhellenden Stimm eine solche Anmutigkeit / daß ihm Polyphilus gefallen ließ /unter ein erbautes Linden-Zelt seinen Sitz zu nehmen / und dieser Lufft- und Wald-Music ein wenig zuzuhören.

Ohren und Augen hatten genug / daß sie sehen und hören konten / so viel artige Lust-Spiel erregte das himmlische Geflügel. Bald nahm eine ihren Flug mit geschwinder Behendigkeit durch das gestemmte Wasser / und fiel als ertruncken wieder hernieder / so bald es aber auf den Boden fiel / ward es alsbald wieder lebendig. Bald wanderten sie alle / so viel ihrer da zugegen waren / durch die ausgespante Lufft / hielten an einem Ort beysammen / und erhebten dermassen ihre verliebte Stimm / daß der widerhallende Echo / aller Orten / seine verschwatzte Zunge / in diesem Vorhof hören ließ. Bald setzte sich ein jede wieder auf die erhöhete Aeste / und sonderlich nahm die muntre Nachtigal ihren Ort auf der Linden ein / darunter Polyphilus ruhete: gerad aber gegen ihm / versteckte sich eine seufftzende Turtel-Taube in eine verdorrete Hecken /aus welcher sie doch bald wieder herfür kam / und sich auf einen andern dürren Zweig setzte / auch mit heiserer Stimm anfieng zu girren / weil sie ihre Buhlschafft verlohren.

Dieses verursachte Polyphilum / daß er / aber / ach mit Schmertzen! an seine Macarien gedachte / wünschete nicht mehr / als daß sie wissen möchte / daß[107] er lebe: wiewol er keine Hoffnung hatte / dieselbe wieder zu sehen / bevorab / weil er gewiß glaubete / er werde seine noch übrige Lebens-Zeit / mit grossem Kummer / in dieser Vestung enden. Tausendmal schauete er das girrende und betrübte Täublein an /und so offt er sie anschauete / so offt zog Macarie seine Gedancken zu ihr. Die Nachtigal aber / so voller Freundlichkeit über ihn auf das lieblichste kitterte /hielt gleichsam der klagenden Turtel-Tauben das Widerspiel / dermassen / daß Polyphilus diesen erfreulichen lieb-vollen Streit / zu einem Zeichen deutete /dadurch sein / und seiner Macarien / so betrübter / so erfreuter Zustand vorgebildet würde. Deren Ursachen halber / und weil der Ort und die Zeit nicht wenige Gelegenheit schencketen / nahm Polyphilus seine Tafel / und verfertigte folgendes Gedicht:


Wer sich einander hertzlich gibt /

Der liebt den / der ihn wieder liebt /

Und kan sich sonst an nichts erlaben:

Das Turtel-Täublein fleucht und girrt /

Wann sie nicht bald sieht ihren Wirth /

Und in gewollter Zeit kan haben.


Die Nachtigal zwittert und kittert in Lüfften /

erfreuet / verneuet / was altet mit Leid /

verstecket / bedecket die Wintrende Zeit /

gibt fröligen Lentzen in grünenden Klüfften:

Doch läst sie bald und bald auch Klage-Lieder klingen /

die keusche Nachtigal kan mannigfaltig singen.


Wie sitzest du von aller Freud /

in der betrübten Einsamkeit /

und auf verdorrte Bäum und Hecken?

Daß du must unbepaaret seyn /

Du frommes Turtel Täubelein /

macht dir den Leid-erfüllten Schrecken.


Was / klingende Nachtigal! klinget dein Wallen /

dein Honig-versüssetes Kehlen-Gethön?[108]

Laß / Fröliche! seelige Seelig bestehn /

Laß füllen den Willen das liebe Gefallen /

Laß deine frohe Stimm nicht Leid und Trauren kittern:

Laß den beschönten Klang nicht als erfreulich zwittern.


Die Turtel-Taub den klaren Fluß /

so offt sie dürstend trincken muß /

betrübt zuvor / mit ihren Füssen:

nichts soll erhellen ihre Noth /

die ihrer Buhlschafft bittrer Tod /

doch kan / durch keine Lust / versüssen.


Die muntere Nachtigal suchet hingegen

die quellende Wellen / die wellende Quell:

verlanget die Felsen-abrinnende Fäll /

wo keine bepfützete Wasser sich regen:

Doch kan sie meisterlich die hellen Augen trüben /

wann sie benetzet sind / durch das betrübte Lieben.


In diesen Gedancken saß Polyphilus wie lange / und sahe nach dem Unterscheid der Gedicht / bald die Turtel-Taube / bald die Nachtigal an / deren jene den Schmertzen mehrete / diese aber linderte: biß er endlich von Leid und Freud bestritten / folgendes Sonnet / auf die Gleichheit seines betrübten Zustandes /und der Turtel-Tauben klagen / verfertigte / dieses Inhalts:


So sag / Frau Nachtigal! was dir von mir gebühre?

Sag / Turtel-Täubelein! was schröcket deinen Sinn?

der auch mich schröcket jetzt? dieweil ich gleich so bin

verlassen und allein; dieweil ich eben führe

den Dienst der Einsamkeit / und nichts als Trauren spüre /

weil ich sie nicht mehr seh; ja / ja / ich bin / wie du /

betrübt und voller Noht; ich habe keine Ruh /

weil ich in Unruh bin. Dann was ich jetzt berühre /

ist doch die Liebste nicht. Drum wehl ich deine Zeit /

drum lieb ich deine Werck / in dieser Einsamkeit.

Du aber / Nachtigal! du tröstest das Betrüben /

er freuest meine Noht / versprichst mir ihre Gunst /

die mich hieß sterben heut; vermöchte deine Kunst

mich wiedergeben ihr: wollt ich dich ewig lieben.[109]


Nun / sprach er bey sich selbsten / als er das Gedicht verfertiget / wolte ich / daß meine allerliebste Macarie diese Wort lesen solte / damit sie gewiß wissen könte / wo und wie ich lebte. Indessen er aber noch andere geheime Gespräch mehr erkiesete / siehet er ohngefehr einen jungen Knaben / durch den Hof / zum Wasser eilen / allwo er / seiner Gewonheit nach / mit sprützen / rinnen / und dergleichen Kinder-Beliebungen mehr / seine Zeit verderbte.

Polyphilus / der daher schliessen konte / daß noch mehr lebende Menschen vorhanden seyn würden /floh das Gesicht des Knabens / aus Forcht / er möchte durch ihn verrathen / von den Inwohnern wieder hinaus gestossen / und endlich ersäuffet werden: Zuvor /weil er wider Wissen und Willen der bestellten Wächter herein gangen. Aber es gieng dem Polyphilo / wie denen / die die Tropffen fliehen wollen / und in den Platz-Regen gerathen / dann da er von dieser Linden hinweg / unter etliche Feigen-Bäume sich verkriechen will / fällt er einer erbarn alten Matron in die Hände /welche eben damals Frucht von diesen Bäumen suchete.

Wie sehr Polyphilus erschrocken / kan männiglich leicht ermessen / doch weil er keinen bessern Rath damals erfinden konte / als seine Unschuld zu bezeugen / und / wie er daher gerathen / zu eröffnen / nähert er mit schuldiger Ehrerbietung auf die Matron zu /und weil er sahe / daß sie an Jahren und Verstand mit gutem Recht seine Mutter seyn und heissen könne /auch durch diesen Ehren-Titul viel zu erwerben sey /wol wuste / fieng er mit folgenden Worten an sie zu grüssen: Edle Matron / und meiner noch frühen Jugend / wolwürdige / vielgeehrte Mutter![110] die unvermuthete Ankunfft eines fremden Gastes erschröcke sie nicht so gar; auch mißfalle ihr die so wollende Versehung der allweisen Göttlichen Regierung nicht so sehr / daß sie mir einige Ungnad erweisen / oder von ihren Augen verstossen wolle: sondern sie begnädige mich vielmehr / meine kurtze Rede anzuhören / wird sie bald vernehmen / wie das feindselige Glück mich /an statt eines Ballen / gebrauche / und wider mein Wissen und Willen / bald hie bald dort hin werffe. Auch wundere sie sich darüber / daß ich Frembder und Unbekandter / an diesen Ort / der unter den Wassern verborgen / mit solchen Mauren beschantzet /und so starcker und scharffer Wacht versehen / ohne Lebens-Noht und unverhindert gelangen können. Ich /meines Theils / wie ich selber nicht weiß / durch wen / oder auf was Art ich daher geführet worden /glaube vor gewiß / es sey durch die allwaltende Vorsehung des gnädigen Himmels / und zwar / entweder mir selbsten / oder doch einem dieses Orts / wo nicht beyden / zum Besten geschehen. Doch ist diß alles ungewiß: solte aber meine geringe Jugend / durch ihren schwachen Arm / diesem Lust-gebährenden Ort / einigen angenehmen Dienst erweisen können /würde ich solchen mit dem Namen eines erwünschten und verlangten Glücks bezeugen. Unterdessen bitte ich / so es müglich / mich unter ihrem Schutz zu behalten / und / ist mir der Himmel gewogen / ihrer Freund schafft theilhafftig zu machen.

Mit diesen Worten bückte er sich auf die Erden /erwieß ihr seine schuldige Demut / und nahm daher Ursach ihre Hände zu küssen: welches alles dann /dem Polyphilo guten Willen erwecken / und die Gunst dieser verständigen Matron dergestalt erwerben[111] konnte / daß sie auf folgende Art antwortete:

Geehrter Freund! freylich wundert mich nicht wenig / wie ihr an diesen verborgenen und gefährlichen Ort lebendig gelangen können. Haben dann die Wasser ihre sonst gewöhnliche Natur ausgezogen? Sind unsre Mauren und fest-geführte Wälle eingefallen? haben die Wach-haltende geschlaffen / oder sind sie unsehend worden? Jenes ist nicht glaublich; dieses sehen wir anders vor Augen / und das Letzte darff ich nicht hoffen. Wie seyd ihr dann zu uns herein kommen? Eurem Vorgeben nach / wisset ihr selber nicht wie / welches mir doch so grossen Zweifel macht /daß ichs vor unmüglich halte. Soltet ihr von der wollenden Vorsehung des allwaltenden Himmels daher geführet seyn / möchte freylich solches nicht umsonst geschehen: und hätten wir uns sämtliche dessen hertzlich zu erfreuen / wann unsre bedrangte Gefängnus /durch etwa euern Arm solte aufgelöset werden. Ich muß bekennen / daß dieses etwas neues und ungewohntes ist / ja! über die Vermögenheit menschlichen Beginnens. Auch ist / die die Zeit unsrer Verbannung / kein Lebendiger / ausser euch / zu uns kommen. Dörfft ihr derowegen nicht bitten / euch in unsre Freundschafft aufzunehmen / so fern ihr mir alle Umstände erzehlen und bekennen werdet / durch was Geleit ihr zu uns kommen. Versichert euch / daß ihr /von diesem gantzen Hause / allen Willen und Ehre zu erwarten habt.

Polyphilus / dem dieses willige Anerbieten nicht wenig Freude verursachete / bekandte allerdings frey heraus / wie er aus seinem Vatterland Brunsile / durch die Widerwertigkeit des Glücks / zu der Insul[112] Soletten gerathen / allda mit einem / Namens Philomathus /Freundschafft aufgerichtet; welche ihm aber das neidische Glück mißgönnet / deßwegen ihn durch der Wellen Macht an einen unbekanten wilden Ort geführet /und nicht ehe wieder hinbracht / biß er / Philomathus / durch ein Schwert eines unbekandten Ritters gestorben. An dessen statt ihm aber die Gunst des gewogenen Himmels einen andern Freund bescheret /welcher ihm dermassen hülffreiche Hand geleistet /daß / wann er nicht durch einen betrübten Fall von ihm getrennet worden / er sein Verlangen / das einig nach Kunst und Tugend stehe / mit leichter Müh erfüllen können. Darauf fragte die Matron: was das vor ein betrübter Fall gewesen? Ach! sprach Polyphilus /es ehret und nehret die Insul Solette eine Göttin der Tugend / die sie Macarien nennen / bey dieser wurde mir gestattet ein- und auszugehen / und meine Tugend-Ubungen zu stärcken: wie aber das mißgönstige Glück durch ihre Blindheit immer wider dieselbe streitet / also hat selbiges auch seine Waffen wider mich gerichtet / und / da ich das erstemal bey gedachter Tugend-beliebten Macarien gewesen / und nun wieder zu vorgedachtem meinem Eyd-vertraute Freunde heimkehrete / mich dermassen vertrieben / daß keine Hoffnung mehr ist / sie zu sehen / viel weniger zu sprechen. Dann / weil ich ein Fremdling / wurde ich von den Innwohnern der Insul / vor den Mörder Philomathi angesehen / deßwegen sie mich fangen /und in Verhafft legen wolten. Die Schmach / so ich beförchtete / vermochte mich dahin / daß ich lieber mein Leben / als meine Ehre zu verlieren suchete. Deßwegen ich / ehe gewaltige Hand angeleget wurde /mich ins Wasser[113] stürtzete / meinen Ruhm der Macarien durch meinen Tod zu erweisen. So bald ich aber im Wasser versencket / von denen hoch-steigenden Wellen überfallen wurde / ward ich gleichsam bey einem Seil durch die Fluth gezogen / welche als gewölbet mich umschlossen / daß das Wasser nicht auf mich zudringen konte / biß ich an diesem Schloß angestossen / mein Leben zu erretten / herein kommen bin / unwissend und wider Willen deren bestellten Wächter.

Die Matron vor Freuden gantz entzücket / vermochte kaum die Zeit zu erwarten / daß Polyphilus ausgeredt / so voll ward sie des Verlangens ihrer Entbindung / da sie den Namen Macarien nennen hörte. Sie fiel Polyphilo um den Halß hertzete und küssete ihn / mit diesen Worten: so seyd ihr gewiß Polyphilus / unser Erretter! und indem machte sie ein solch Freuden-Geschrey / daß so viel deren verborgen lagen / alle / aus dem Schloß hervor / in diesen Hof kamen / um zu vernehmen / warum diese Matron so freudig sich behägte.

Polyphilus / gantz erstaunend / konte mit all seinen Sinnen nicht erreichen / wie es doch ewig komme /daß diese unbekandte seinen Namen wuste / ehe er selben offenbaret. Und wiewol ihm allerhand Gedancken beyfielen / wolte doch die Gelegenheit der Zeit nicht gestatten / daß er eyferiger und sinnlicher der Sachen nachdencken könte / weil er genug zu schaffen hatte / daß er einem jeden mit gleicher Reverentz und schuldigem Gruß begegnete. Das Knäblein / so noch immerfort bey dem Brunnen gespielet / war der erste /der auf die Matron zulief / und die Ursach ihrer freudigen Geberden forschete. Dieser war der Sohn Melopharmis / so vom Schloß ins Wasser gestürtzet[114] / und dasselbe nach sich gezogen. Es wusten aber die Innwohner nicht / daß sie von der Zauberin in solch Elend gestürtzet: sondern waren in der ungegründeten Meynung / es wäre diß die Rach der Götter: deßwegen sie dann das Kind hochhielten / wie aus der Antwort dieser Matron zu sehen / in dem sie auf sein Begehren / mit folgenden Worten / ihm die Ursach ihres Jubels eröffnete: Lieber Sohn / ich erfreue mich /wegen dieses fremden Gastes / der kommen ist / dich deiner betrübten Mutter / mich aber / mit alle den Meinigen / dem Liecht der Sonnen wieder zu geben. Und nach diesem fieng sie mit erhobner Stimm / doch ein wenig von Polyphilo abgewand / zu den übrigen allen an: Liebe Getreue! der Gehorsam / den ihr mir /ohne Widerrede / auch in diesem meinem Fluch erwiesen / wird heut der gnädige Himmel / an euch allen vergelten. Ihr ehret mich / und habt mich bißher / als eure Königin / geehret / wiewol mein Reich /mit samt der Cron / im Wasser versencket gewesen /und ich billiger euch dienen / als durch welche ihr in diß Elend gerathen / dann beherschen sollen. Nun wisset / daß der barmhertzige Himmel mein Flehen erhöret / und mich mit den Stralen seiner Gnaden hinwieder bescheinen werde. In kurtzen werden wir / aus dem finstern Wasser / wieder an das Liecht der Welt gebracht werden. Da versprech ich euch / daß ihr aller deren Dienste / so ihr mir biß daher / in so gehäuffter Meng / erwiesen / aufs reichste geniessen sollet: wofern ihr mir noch diesen letzten Gehorsam leisten /und meinem Befehl nachkommen werdet / daß ihr allermassen / wie ich euch gebiete und führe / stillschweigend folget / und was ich mit diesem unsern Erretter / dem ihr jetzt alle mit Königlicher Ehre begegnen sollet / rede[115] oder verrichte / wol zu Ohren und zu Hertzen nehmet / der Zungen aber ein Strick anleget / und sie nicht aus unbedacht fahren lasset / wolt ihr anders mich / mit euch / nicht in das ewige Verderben stürtzen. Sehet! da steht unser Polyphilus /von dem die zwo Tafeln in unserm Tempel reden / er hat sich kunt gethan / in dem er Macarien / so auch auf den Tafeln benennet wird / genannt: und die allmächtige Hand des Himmels hat ihn wunderlich und unversehrt durch das Wasser zu uns herbracht; zu uns: ja! unserer Erlösung.

Es waren aber diese Tafeln von der Zauberin Melopharmis aus Ertz gemacht / und zugleich mit Versenckung des Schlosses / durch ihre viel-vermögende Kunst / in den Tempel versetzet / mit folgender Schrifft: Wann das Gelübd der Einsamkeit wird durch Polyphilum aufgehoben seyn / wird das Wasser wieder geben was es verschlungen; und wann die Mutter ihren Sohn überkommt / wird Macarie unter einem fremden Joch gefangen liegen.

So bald Polyphilus von einer Tafel höret / darauf der Name Macarien mit Polyphilo stunde / eilete er mit grossem Verlangen selbige zu sehen. Dann mehr wuste er noch nicht davon. Es erinnerte ihn aber die Matron / daß seinem Verlangen kein Genugen geschehen könne / er habe sich denn zuvor mit dem Himmel versöhnet / daß er würdig werde in diese Tempel zu gehen. Dann / sagte sie / der Tempel / darinnen diese beyde Tafeln verwahret sind / ist der dritte / und können wir zu dem nicht gelangen / wir gehen denn zuvor durch den ersten und andern / deren jeder von uns heilig gehalten wird.[116]

Die Begierde / so Polyphilum nach dem Tempel zog / vermochte dißfals so viel / daß wenig fehlete / er hätte sein selbst vergessen / und sich aus der Zahl der sündlichen Menschen geschlossen; weil er mit kurtzen Worten antwortete: Er wäre ihm nichts böses bewust /also hätte er auch keine Ursach sich mit dem Himmel zu versöhnen. Darauf fieng die Matron an: so seyd ihr gewiß allein unter den Sterblichen / der seinen Wandel ohne Verbrechen führe. Sehet / wie ihr euch selbst bethöret. In dem Augenblick habt ihr die gerechte Götter erzürnet / indem ihr / als ihr Geschöpff / euch eurem Schöpffer gleich achten / und euch allen menschlichen Gebrechen entziehen wollet. Soll ich euch weiter führen? Sagt mir / was hat euch in den Fluß gesturtzet? So viel ich aus eurer Erzehlung schliessen kan / ists in Warheit nicht einig die Rettung der Ehr / nicht auch allein die großmütige Tugend / viel weniger die vorsichtige Kunst: sondern allen Umständen nach / die verführende Liebe / deren grösseste Kunst / und endlicher Lohn ist / daß sie ihre Getreue in die Verzweifflung versencke.

Das alles aber / obs schon wol getroffen war / sagte die Matron doch nicht / als wann sies gewiß gewust /sondern / weil sie den Innhalt der Wort / so auf der Tafel bezeichnet stunden / durch die Erzehlung Polyphili erkläret / nunmehr leicht fassen konte; sich auch beförchten muste / wann Polyphilus von nicht-ziemender Liebe eingenommen / und sich / durch diese Tempel zu gehen / unterfienge / alle ihre Hoffnung zu stäuben würde; weiln kein solcher in den Tempel der Tugend gehen dörffte. Auch war das keine unnötige Furcht / weil gleichwol Polyphilus / durch die wunderthätige Hand der Gnad-reichenden[117] Götter / in denen wilden und gefährlichen Fluthen / so mächtig erhalten / und sicher geführet worden: ob er auch deren Güte davor gedancket: darum sprach sie ferner: bedencket auch begieriger Polyphile! die Barmhertzigkeit / die ihr heute durch des Himmels Gunst billich zu rühmen habt. Dencket an die Hülff und gnädige Errettung / dadurch eure Seele aus den Strömen gerissen / und an einen sichern Ort geführet. Dencket auch an die Herrlichkeit / die euch sonderlich vor allen Sterblichen gegönnet / daß ihr unser Erretter /und unser König werden sollet: habt ihr einmal der Güte des HErrn davor gedanckt? warum werdet ihr so bekümmert / und was zeigen die Wasser-rinnende Augen? Was will die geschwinde Traurigkeit? hab ich etwan euer Hertz mit Warheit getroffen? Oder / quälet euer Gewissen die Schärffe meiner getreuen Erinnerung? Freuet euch vielmehr / daß ich / auf diese Art /eure gierige Jugend im Zaum gehalten / und uns /mehr aber euch selbsten / vom Verderben errettet. Bedencket auch dabey / wie ein groß Versöhn-Opfser ihr denen Himmel herrschenden Göttern zu bezahlen schuldig seyd.

So es müglich wäre / daß alle Menschen jetzund Polyphilum hätten ansehen können / würden sie ein eigentliches Bild wahrer Reu / und ein Beyspiel eines erschrockenen Hertzens gesehen haben. So gar hatte der Wort-Donner dieser straffenden Matron / die Begierde Polyphili zerschmettert / daß er nur auf die Versöhnung / aber keiner Tafeln mehr gedachte. Dann so bald / als er von dem schuldigen Danck / vor die Wunder-gütige Errettung / hörete / so bald fiel ihm auch sein Versprechen bey / daß er[118] dem Himmel gethan / da er den Schluß gemacht / sich / durch das Wasser / von der bevorstehenden Schand / zu erretten: Wann ihm nemlich dasselbe gnädig sey / wolle er dem Himmel dancken. Diese Erinnerung machte ihm sein Hertz so zerknirscht / daß er sich anfangs scheuete / seine Seele gen Himmel zu erheben / sonderlich /weil es nicht vor sich selbst / sondern aus Antrieb /und gleichsam den Befehl eines andern thate. Doch dennoch / weil er vor Augen sahe / daß die Vorsehung der Unsterblichen etwas sonderliches über ihn beschlossen / auch die Begierde / vorgedachte Tafeln zu sehen / und was sie von ihm und Macarien zeugeten /zu erkennen / allmählich wiederum zu glimmen anfieng / erhub er seine Stimme / und antwortete der Matron folgender Gestalt:

Die Scham / so ihr mir durch eure Erinnerung eingejaget; der Schrecken / welcher mich die Ungnade und den ergrimmten Zorn des vorgetreuen Himmels fürchten heifset; und welches das allermeiste ist / ja! das allerschröcklichste / meine übermachte unverantwortliche Boßheit / hat mich so zerschlagen / daß ich nicht weiß / was ich reden / wie ich mich verantworten soll. Mein verdienter Lohn wäre / daß mich der erzürnte Himmel mit einem Feuer-Stral auf dieser Stell verzehren ließ: und an euch / ihr anwesende Freunde und Freundinnen / hätte ich verdienet / durch euer Schwerdt hingerichtet zu werden / indent der jenige /von welchem ihr eure Errettung hoffet / euch in viel grössere Noth gesetzet hätte. Was soll ich thun? Soll ich an der Güte des Himmels verzweiffeln? so geniesset ihr nicht der Dienste / die euch der gnädige Himmel / durch meinen Arm / zu geniessen vergünstiget /ja! versprochen. Soll ich mich eurer[119] Macht ergeben /und nach Verdienst züchtigen lassen; wie könnet ihr mir denn eure Errettung trauen? Soll ich in meinem Befehl fortgehen / und / worzu ich hieher geführet bin / vollenden / so schröcket mich die Furcht / daß ich mich unwürdig darzu gemacht / indem ich mein Werck nicht durch des Himmels Mit-Würckung angefangen / sondern durch eigene Krafft vollbringen wollen. Was hab ich doch gethan / daß ich nun verzweiffelt fragen muß / was soll ich thun? Bist du denn / erzürnter Himmel! nicht mehr zu begnädigen? Seyd ihr denn / ihr meine Freunde! nicht wieder zu begütigen? Die Stralen eurer Freundlichkeit zeugen so / daß ihr mir alles vergeben: Ey / so wird mir auch die Güte des geneigten Himmels mein Verbrechen nicht zurechnen. Rehmet an / ihr Allgewaltige! die Bezahlung des / in meiner Todes-Noht / euch gethanen Gelübds. Ich erkenne / daß ich durch euren Schutz bin vor den Wasser-Strömen sicher; durch euren Arm / vor der Gefahr behütet; durch eure Gnad / bey meinem nunmehr erhaltenen Leben erhalten worden. Ich erkenne es / und erkenne es mit Danck; ja so lange meine Zunge die Hertzens-Gedancken / so hier / so dort / erklären wird / so lang soll sie mit einem ewigen Danck mein Gelübde bezahlen. Darum / so seyd mir gnädig / ihr Barmhertzige! schencket mir die Versöhnung / durch das Geheimnus eures verborgenen Raths / den ihr durch mich wollet erfüllet haben. Machet mich tüchtig / in eurem Willen zu wandeln / und führet meine Werck / wenn ich in euren Diensten stehe. Gedencket auch nicht / wann ich / durch meiner Jugend-Begierde / euch um Macarien; das Wunder-schöne Götter-Kind; den Ausbund aller himmlischen Vollkommenheiten;[120] den unermäßlichen Schatz aller beliebten und belobten Tugend-Verrichtungen; ja / um Macarien erzürnet habe; gedencket nicht daran / sondern verleihet / daß / worauf diese Gefangene so sehnlich warten / sie bald erwarten mögen.

Diese Red Polyphili erweckte allen denen / so da zugegen waren / sonderlich aber Atychintidœ / so hieß die Matron / ein solches Nachdencken / daß sie noch einmal zu Polyphilo anfieng: Wir wollen nicht zweiffeln / bestürtzter Polyphile! daß die mild-gütige Götter eure Bekantnus angenommen / und euren Fehler gnädigst vergeben: so habt ihr auch an uns nicht zu zweiflen / weil auch wir Menschen sind / und stündlich / wegen unserer vielfältigen Mißhandlung /straffens würdig: doch gleichwol / weil ich aus dem Beschluß eurer Rede vernommen / wie ihr die Macarien mit so beschönten Worten verehret / daß dergleichen keinem Menschen / sondern allein denen / die in dem Himmel herschen / zukommt / kan ich nicht anders schliessen / als daß ihr solches aus dem Affect der Liebe / die ohne Tugend regieret / geredt. Zwar will ich nicht widersprechen / daß sie etwas sonderliches sey unter den Menschen / auch will ich gern gestehen / daß sie ein köstlicher Schatz voller herrlichen Tugenden / ja! ich will zugeben / daß sie ein Ausbund aller weiblichen Vollkommenheiten sey: und das zwar nach Gebühr / dieweil es das Ansehen hat / als solte auch ihre Hand nicht ferne von unser Errettung stehen; aber doch folget da lange nicht her / daß sie ein Götter-Kind / daß sie ein Ausbund himmlischer Vollkommenheiten / mit Recht und Verstand / könne genennet werden: sondern das folget / meinem Erachten nach / daß Polyphilus vor dißmal ohne Verstand[121] und Tugend geredt / und die begütigte Götter wieder aufs neu erzürnen können. Wisset ihr / Polylus! warum ich euch so scharff erinnere? höret mir ein wenig zu /werdet ihr die Ursach bald vernehmen.

So viel ich durch die Erzehlung meiner Vor-Eltern bin verständiget worden / haben einsmals die Sterbliche wider den grossen Götter-Rath Klage geführt: wie sie ihre Gaben / so gar ungleich / ausgetheilet / und diesen zum Herrn / jenen aber zum Knecht gemacht; diesen zu hohen Ehren / jenen aber in tiefste Verachtung gesetzet; diesen mit reichen Gütern / jenen aber mit Hunger-quälender Armuth beschencket: da doch offt der geringe wol mehr verdiene / als der Mächtige; offt der Knecht würdiger / denn der Herr; der Arme verständiger / als der Reiche / oder / da ja zum wenigsten / einer so gut / als der ander. Dieser Klag nun zu begegnen / hat die Weißheit der Götter es also verordnet / daß männiglich seine Beschwernus andeuten /und ein Gewisses benennen solle / was er zu klagen hätte. Da hat sichs funden / daß der gantze Welt-Hauf sich in drey Theil entschieden / deren jeder wider den andern Klage geführet. Der erste war der jenige / welcher die Kunst und Tugend zum Führer hatte: Dieser wurde verklagt von dem andern / welcher dem Glücks-Führer folgete: Und dieses andere wiederum vom dritten / welcher der Liebe gehorsamen muste. Die Klagen waren diese: Die Glücks-Diener beschwehrten sich ihrer Unbeständigkeit / wie alles bey ihnen so eitel wäre: Da hingegen die Tugend-Werber alles beständigen Segens zu geniessen / der nicht vergehe. Die der Liebe dieneten / klagten über die Beständigkeit ihres Kummers und hertzlichen Betrübens: Da hingegen[122] die Glücks Freunde offt und offt erfreuet und getröstet: Sie aber im unvergänglichen Jammer braten müsten: und diese alle beyde wurden endlich von dem Tugend-Orden beschuldiget / wie sie ihr eigen Glück mit Füssen stosseten / und sich freywillig in ihren Jammer setzeten. Die Antwort wurde den dreyen: daß ein jedweder seines Glücks oder Unglücks eigene Ursach sey. Mit welchem Schluß und Bescheid sie zu frieden seyn musten. Damit aber nach dem denen Sterblichen keine Gelegenheit bleibe / einige Klag mehr über die ungleiche Austheilung der Güter / wider die Gerechtigkeit des Himmels zu führen / haben sie einmühtig beschlossen / denen dreyen Sonnen klar zu zeigen / wie sie sich verhalten / und ihren Wandel so anstellen möchten / daß sie allerseits zu frieden / keiner über des andern Vorzug klagen könte. Dieses solte geschehen durch Erbauung dreyer Tempel / deren jeder seinem Theil zeige und lehre /wie er auch des Segens könne geniessen / mit welchem der andere vor ihm beglücket. Die Verrichtung wurde von dem gantzen Götter-Schluß dreyen Göttinnen gegeben / denen sich nemlich diese 3. unterschiedene Partheyen selber zugeeignet hatten / der Pallas /der Fortuna und der Venus. Diese drey nun sind Urheberin dieser Tempel / die ihr / edler Polyphilus! vor euren Augen sehet / und hat ein jede ihren müglichsten Fleiß / so wol an dem Grund-Bau / als der Auszierung gelegt / ja / alles so vollkommen und herrlich darinnen geordnet / daß / wer Kunst- Tugend- Glück-und Lieb-begierig ist / sich darinnen dergestalt ersehen kan / daß / so fern er dem nachkommet / hinfort kein Unfall mehr seinen Wandel trüben kan. Sie haben auch / wie ihr im Eingang[123] sehen werdet / einem jeglichen Tempel seinen besondern Namen gegeben: den ersten genennet den Tempel der Tugend; welchen aber wir Menschen der Pallas widmen; den andern /den Tempel des Glücks / welchen wir auch der Fortun heiligen; den dritten / den Tempel der Liebe / in welchem wir der Venus opfern. Noch über das ist diß Verbot hinzu gesetzet / daß keiner in den Liebes-Tempel gehe / er sey dann zuvor in dem Glücks-Tempel gewesen; keiner auch in diesen gelassen werde / er habe dann den Tugend-Tempel durchsehen: zu allen dreyen aber männiglich der Zutritt verschlossen sey /der sich nicht zuvor mit den Göttern versöhnet / oder sonst ein Leben ohne Tadel führe. In dem ich nun dieses ersinne / und eure Wort ingleichen behertzige /finde ich / daß ihr von der Macarien in solche Strick geführet seyd / welche die Tugend binden / und alle Laster lösen. Ist dem also / werdet ihr diese heilige Stätte nicht betretten / und wird an eure Statt uns Hülffschreyenden ein anderer Erlöser gegeben werden. Lasset ihr aber solche Gedancken fahren / und liebet nur den Verstand und die Tugend Macarien /werdet ihr eures Verlangens / nach allem Wunsch /theilhafftig werden. Aber / das sag ich / teuschet uns nicht / und gehet nicht in euer Verderben / habt ihr nicht gnädige Götter / so folget mir nicht in den Tempel / dann es ist besser den alten Zorn ertragen / als aufs neue vermehren.

Polyphilus / der sich über diese Erzehlung höchlich verwunderte / sahe doch bald / daß es ein Gedicht der Heyden / und keine Warheit sey. Dann es gar nicht glaublich / daß die Götter Tempel bauen / oder den Menschen in solchem Fall Gehör geben würden:[124] Weil er aber ohne das wuste / daß hohe Sachen glücklich zu führen / die gnädige Hülff des all-vermögenden gewaltigen Himmels höchst-nöthig sey: auch in heilige Tempel zu gehen / mit allem Recht eine Vorbereitung und Versöhnung erfordere; ja! weil er über das sahe /wann er diesem nicht allerdings Glauben beymesse /und ihren Willen sich gehorsam erzeigte / er bey denen fest-glaubigen Besitzern dieses Orts nichts ausrichten könte / und also die beyde / von ihm und seiner Macarien / zeugende Tafel nicht zu sehen bekäme / fieng er folgender Gestalt an: Edle / verständige Matron! diese beschehene Erzehlung / wegen Erbauung dieses Schlosses / hab ich mit grosser Verwunderung / und nicht wenigerm Belieben angehöret / und glaube gar leicht / daß dem allem so sey / sonderlich /da ich / so weit es meine noch junge Jahre gestattet /zum Theil selber erfahren / daß das Geschlecht der Menschen / mehrentheils von diesen dreyen Regenten ist geführet worden / und noch immerdar geführet wird. Ja / wann ich bekennen muß / bin ich selber mit unter dem Glücks-Fahnen / biß auf diese Stund / und klage nicht mehr / als daß ich die Standhafftigkeit nicht / wie die Tugendbegabte / haben und halten soll. Ja / es ist diß das letzte Ziel meiner so mannigfaltig erlittenen Gefahr / daß ich Tugend erwerben / und nach Kunst mich bearbeiten will. Daß ich aber ihrem Zeugnus nach / alleredleste Matron! auch unter die Liebes-Werber mich soll schreiben lassen / geschicht mir so fern Unrecht / als die Liebe von der Tugend entschieden Wie könte ich doch zugleich Tugend und Laster nehren / würde ich nicht das eine mit dem andern verderben? Zwar / was sie von Macarien / der Schönsten und[125] Edelsten auf dieser Welt / gedacht /ists freylich nicht ohne / daß ich sie von Hertzen liebe / ja so gar / daß ehe diese Seele aus meinem nichtigen Leibe scheiden wird / ehe ich ihrer vergesse: aber diese Liebe bindet nicht die Tugend: sondern die Laster; und löset nicht die Laster / sondern die Tugend. Denn was ich in ihr liebe / das ist Tugend; was ich an ihr rühme / das ist Verstand; und was ich an ihr verwundere / das ist Schönheit. Aber unkeusche Liebe wird nicht ehe bey mir angehen / biß ich meiner selber vergesse / ja! biß Macarie sich aller Tugend eussert. Sehe ich derohalben nicht / was mich hindern solte /daß ich nicht in den Tempel gehen dörffte / bevor da ich mich nunmehr mit dem Himmel / wie ich hoffe und glaube / versöhnet.

Diese Rede vermochte so viel bey der Matron und allen Umstehenden / daß sie ihn mit grossen Pomp und Herrlichkeit / wie es bey ihnen gebräuchlich war /zu den ersten Tempel hinein führeten / und was darinnen zu sehen war / eigentlich und deutlich erkläreten Weil man aber nicht ohne Opffer eingehen dorffte /wurde solches alsobald bereitet. Indessen / und weil andere Sachen mehr / den Eingang zu zieren / bestellet wurden / auch Polyphilus / dem fast sehr hungerte / ein wenig Speise zu sich nahm / gerieth ein alter Mann / Namens Parrisiastes / zu ihm / der ihm von allen Sachen / und des Schlosses Beschaffenheit gute Nachricht gab; und weil Polyphilus aus der Rede der Atychintidœ vernommen / daß diß herrliche Gebäu versencket worden / auch etwa / dem Zeugnus der Tafel nach / durch seinen Arm solt wieder errettet werden: forschete er von diesem Alten die Ursach /und wie es zugangen. Dieser gab zur[126] Antwort: Dieses Schloß ist die Welt berühmte Vestung Sophoxenie; darinnen diese Matron / mit welcher ihr Gespräch gehalten / ihren Herrn verlohren / und ein ewig Gelübd der Einsamkeit geschworen: Diese ist eine Königin vieler Länder / welche sie auch alle glücklich und wol regieret / ohne daß / vor wenig Jahren / eine nichts-werthe Frau unter ihren Schutz / ja so gar auch unter ihr Dach kommen / und ihrer Bewahrung sich vertrauet / deren sie biß an ihr End alles Gutes / erwiesen. Wie es aber zu geschehen pflegt / wann uns das Glück so hoch heht / daß wir stoltz worden: Stoltz aber und Hoffart / Mißgunst und Verachtung / ja alle Laster nach sich ziehet: Gleich so ist diese zu der höchsten Gnad / aber zu ihrem Unglück / erhoben worden / daß sie täglich bey der Königin aus- und eingehen / auch alle Heimlichkeiten mit wissen muste. Nun geschahe / daß eine berühmte Zauberin / Namens Melopharmis / die auch nach der Königlichen Gunst trachtete / ihren einigen noch unerwachsenen Sohn /dieser Königin zu eigen verehrete / in Hoffnung / es werde / durch diß Mittel / auch sie in Gnaden erhalten werden. Dieses mercket die Alte / und dencket / deme allen vorzukommen / nimmt das Kind / und wirffts durchs Fenster in diesen Fluß: Und dieser ists / welcher vor der Königin stund / und stets in ihrem Schoß ruhet. So bald das Kind herunter gestossen / übete der gerechte Himmel verdiente Rache / ertödete die Mörderin / (dann sie gedachte das Kind umzubringen) und versenckete diese Vestung / mit allem dem / was drinnen war / entweder dem Kind zum Besten / daß es beym Leben erhalten würde / oder uns allen zur Straffe / die wir solch Unglück[127] nicht verhütet: wiewol wir an dem allen unschuldig. Was uns in dem Augenblick vor Schrecken und Todesfurcht überfallen / kan meine erstaunende Zunge nicht aussprechen: kein Trost war übrig / als daß wir dennoch lebten / auch den Knaben beym Leben erhalten / und daher die Hoffnung schöpfseten / es werde sich der Grimm des ereyferten Himmels legen / und weil der lebe / um dessen Willen wir verderbet / werden auch wir wieder mit ihm leben. Diese Hoffnung stärckete nicht wenig / daß wir lang hernach / da wir den Gottesdienst verrichteten / in dem dritten Tempel / (welches nur alljährlich weymal geschicht) zwo Tafeln funden / darauf die Zeit unserer Erlösung in Ertz gegraben: wie ihr dann von der Königin zuvor selber verstanden. Nun leben wir noch immer in Gedult / und erwarten der Zeit mit Verlangen.

Als Polyphilus dieses nach der Länge angehöret /gedachte er / von der Tafel / ein mehrers und gewissers zu vernehmen / deßwegen er fragte / was denn auf den Tafeln geschrieben stünde? Und da ihm Parrisiastes antworten wolte / kam eben die Schaar deren /die ihn in den Tempel begleiten wolten / deßwegen sie beyde daran verhindert / aufstehen und forteilen musten.[128]

Quelle:
Maria Katharina Stockfleth: Die Kunst- und Tugend-gezierte Macarie, 2 Bände, Band 1, Nürnberg 1669, S. 104-129.
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