8. Die Natur

[41] Im April 1773.


Er sei mein Freund nicht, welcher die göttliche

Natur nicht liebet! Engelgefühle sind

Ihm nicht bekannt! Er kann mit Inbrunst

Freunde nicht! Kinder nicht! Weib nicht lieben!
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Ihm bebte nie von trunkner Begeisterung

Die stumme Lippe! Schauer begegneten,

In hoher Wallung, seiner Seele

Nie mit der steigenden Morgensonne!


In deinen Wonnebecher, Allgütiger,

Entfielen niemals Thränen dem Dankenden!

Sein Erb' ist Taumel, oder Schlafsucht;

Wehmut und Wonne des Weisen Erbe!


Er ist kein Sohn der Freiheit! Das Vaterland

Ist Spreu dem Feigen! – Sklave! Dich freite nicht

Die Römerschlacht! – Zu meinen Füßen

Krümme dich, Raupe, daß dein ich spotte! ...


Ich seiner spotten? – Weh mir! O, zürne nicht,

Du Vater aller! ... Wirbel und Stolz ergriff

Den Mann von Staub, daß er des Staubes

Spottete, den er beweinen sollte.


O, sei gesegnet, Thräne der Neue, mir!

Mehr noch, des Mitleids Thräne, gesegnet du!

Nun werden, wie nach Frühlingsregen,

Traulich die Blumen der Au mir lächeln!


Nur reinen Herzen duftet der Abendtau

Der bunten Lenzflur! Heilig nur ihnen sind

Der Eiche Schatten! Deine Segen,

Einsamkeit, können nur sie ertragen!


Woll'st oft, o sanfte Mutter der Weisheit, mich

Auf ernste Pfade leiten im Mondenschein,

Wo nur der Denker tiefe Wahrheit

+ Schöpfet, und, glühender Stirne, wallet!


Dann werden oft sich hohe Betrachtungen

In Harmonien wandeln! Begeisterung

Wird mich erfüllen, daß die Thale

Hallen mein Lied und die Felsengänge!
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Wenn du mich fürder leitest, Natur, so soll

Mein Lied dir jauchzen, weil ich ein Jüngling bin;

Es soll dich feiern, wenn mit Silber

Kürzere Locken die Scheitel schmücken!

Quelle:
Deutsche Nationalliteratur, Band 50,2, Stuttgart [o.J.], S. 41-43.
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