Hoch und tief

[131] Wie hab' ich sonst so frisch gesungen

In jungem Stolz und junger Kraft,

Wie ward mein Herz emporgeschwungen

Vom Wirbel kühner Leidenschaft.


Wie war mein Haupt emporgerichtet,

Wie trat mein Fuß so federleicht,

Wie war die Wange glutgelichtet,

Wie war das Aug' begeistrungsfeucht!


Und kam der Schmerz, er zwang mich nimmer,

Und schwoll die Woge noch so nah',

Die Jugend gab dem freud'gen Schwimmer

Den Schleier der Leukothea. –


Nun ich des Höchsten mich vermessen

In meinem Glück und meinem Mut,

Hat schweigend über mir indessen

Des Schmerzes Donnerkeil geruht.


Wie hat er meinen Traum zerschmettert

In seinem goldensten Gedeih'n,

Wie hat er schonungslos entgöttert

Den Himmel meiner Phantasei'n!


Sie durften mich von Dir verbannen,

Sie sperrten mir zu Dir die Bahn,

Sie lassen mich nicht mehr von dannen,

Sie geben mir nicht Roß, nicht Kahn.


Und nun im allerschwersten Leide

Gesteht es das besiegte Herz:

Die höchsten Lieder singt die Freude,

Allein die tiefsten singt der Schmerz.

Quelle:
Moritz von Strachwitz: Sämtliche Lieder und Balladen, Berlin 1912, S. 131-132.
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