|
[170] Die Nacht liegt wüst auf der Meereshöh',
Der Sturm pfeift grimm und grell,
Du Nordsturm auf der Nordlandsee,
Sei mit gegrüßt, Gesell'!
Eine Geisternacht, eine Schauerstund',
Eine Nacht für Nix' und Elf'.
Das Fahrzeug stöhnt wie todeswund,
Der Steuermann ächzt: »Gott helf'!«
Ich lehne mich über das Taffarell,
Die Flut umspritzt mein Haupt:
»Nun sage mir, mein Schiffsgesell',
Was kommt so wild geschnaubt?«
»Ein Riesenschiff, wie Bergeslast,
Die Flut durchbraust es dumpf,
Die Segel schwarz und schwarz der Mast
Und schwarz ist Spier' und Rumpf.«
»Wie rennt es vor dem Sturme schmuck,
So schwarz und groß und schwer,
Mit ungeheurem Segeldruck,
So schießt es übers Meer!«
Dem Steuermann bebt die Hand am Griff,
Es schlottert sein Gebein:
»Das ist ein Wikings-Geisterschiff,
Gott mag uns gnädig sein!«
– »Wenn der Nordwind kommt aus kaltem Pol,
Ihn treibt's nach Südens Luft,
Da dringt sein scharfer Atem wohl
In manche Hünengruft.
Wenn der Nordwind schüttelt den Distelstrauch
Und kühlt der Toten Brust,
Da weckt sein wohlbekannter Hauch
Die alte, gewaltige Lust.«
[171]
»Die wilde Lust nach der wilden See,
Nach Wikingsfahrt und Streit,
Nach Wikingslust und Wikingsweh
Und Südlands Herrlichkeit.«
»Um Mitternacht am Meeresstrand,
Da schreiten viel Helden stark,
Aus Schweden und aus Gotenland,
Aus Norweg und Dänemark.«
»Und wo sie's versenkt mit eig'ner Hand,
Tief zwischen Bucht und Riff,
Da ziehn sie aus dem Meeressand
Ihr schwarz besegelt' Schiff.«
»Wenn der Schiffer betend kappt den Mast,
Den der Nordsturm krachend bog,
Dann fahren mit voller Segellast
Die Geister durchs Gewog.« –
Vorüber kam es wild und groß,
Kein Schiffer war darin,
Wir lehnten am Steuer regungslos,
Es schwand und war dahin.
Dahin, dahin, der Frühwind pfiff,
Mein Herz ist wandermüd',
Mein Herz, es wird zum Wikingschiff
Und segelt frisch nach Süd.
Setz' Segel an, mein tapfres Herz,
Soviel du tragen kannst,
Und bringe mir fliegend nordenwärts
Den Kuß, den du gewannst!
Ausgewählte Ausgaben von
Neue Gedichte
|
Buchempfehlung
Die Geschwister Amrei und Dami, Kinder eines armen Holzfällers, wachsen nach dem Tode der Eltern in getrennten Häusern eines Schwarzwalddorfes auf. Amrei wächst zu einem lebensfrohen und tüchtigen Mädchen heran, während Dami in Selbstmitleid vergeht und schließlich nach Amerika auswandert. Auf einer Hochzeit lernt Amrei einen reichen Bauernsohn kennen, dessen Frau sie schließlich wird und so ihren Bruder aus Amerika zurück auf den Hof holen kann. Die idyllische Dorfgeschichte ist sofort mit Erscheinen 1857 ein großer Erfolg. Der Roman erlebt über 40 Auflagen und wird in zahlreiche Sprachen übersetzt.
142 Seiten, 8.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro