n.

[497] Zu dem wohlgelegenen Dorfe Linswege im Kirchspiel Westerstede gehört auch ein Haus, früher Siefje, später Frölje Haus, das ein wenig seitab steht, anmutig von Wiesen, Busch und Feldern umgeben. Unter diesem Hause wohnten vor Zeiten die Erdmännchen oder Erdwichter, von welchen die Hausleute viel Neckerei und Störung zu erleiden hatten. Einst hörte man vorn im Hause, wo sich die Pferdeställe befinden, einen Ruf aus der Erde kommen: »Bringt die Pferde weg, sonst stechen wir sie euch tot! Denn wir haben gerade unter ihnen unseren Mittagstisch, den beschmutzen uns die Pferde, und wir können und wollen den Tisch nicht umsetzen.« Der Bauer mußte wohl gehorchen und verlegte den Pferdestall an[497] einen andern Platz. – Ein andermal hatten sich sämtliche Bewohner des Hauses auf den Acker begeben, und nur die Frau war im Hause geblieben, um für das Essen zu sorgen und zugleich ihr kleines, erst ein halbes Jahr altes Kind zu pflegen. Das Kind lag ruhig in der Wiege zu schlafen. Plötzlich kamen Erdmännchen aus dem Pferdestall, holten vor den Augen der schreienden Mutter das Kind aus der Wiege, während andere einen alten Greis wieder an dessen Stelle legten. Obgleich der Greis völlig ausgewachsen war, war er doch so klein, daß er ausgestreckt recht gut in der Wiege liegen konnte. Die Erdmännchen sagten der Mutter, daß sie ihr Kind wiederbringen wollten, wenn sie den Greis zum Sprechen bringen könne. Aber das wollte den Hausbewohnern nicht gelingen. Das Erdmännchen aß und trank, aber zu sprechen hütete es sich. Endlich kamen sie auf den Einfall, daß sie im Angesichte desselben am Feuerherde in einer Eichelschale buken und Bier brauten in einer halben Eierschale. Da fing der Alte an: »Ich habe vieles in meinem Leben gesehen, aber solche wunderbare Wirtschaft noch nie!« Sofort wie er das gesagt, kamen die Erdmännchen hervor, holten den alten Mann aus der Wiege und brachten das Kind wieder hinein. – Einst war die Tochter im Hause Braut, und die Hochzeit sollte bald stattfinden. Schneider und Schuster und Tischler und andere Handwerker waren mit Zurüstung der Aussteuer beschäftigt. Acht Tage mochte es noch bis zur Hochzeit sein, da ließ sich eine Stimme in der Nähe des Pferdestalles aus der Erde hervor vernehmen, die rief: »Habt ihr nichts zu nähen für uns von den Kleidern eurer Tochter? Wir wollen gern mit helfen!« Die Frau antwortete: »Zu nähen haben wir viel, und helfen könntet ihr uns wohl; aber wie bekommt ihr das Zeug?« Die Stimme antwortete: »Legt es nur hin beim Pferdestall, so werden wir es holen und auch an dieselbe Stelle wieder hinbringen.« Die Frau legte einiges Zeug hin, und wie sie am andern Morgen nachsah, fand sie es dort wieder. Es war fertig genäht, und zwar so fein, daß man nicht Naht noch Stiche sehen konnte. Die Stimme aber ließ sich wiederum vernehmen und sagte: »Nun wollen wir auch mit nach der Hochzeit!« Die Frau fragte: »Wie sollen wir euch einladen und euch ansagen, wann die Hochzeit ist?« Die Stimme antwortete: »Am Tage vor der Hochzeit stelle dich hin beim Pferdestall und rufe:[498]


›Jan Schütt,

kumm morgen mit

up min Dochter är Hochtid!‹«


Die Frau tat dies zwar ungern der anderen Gäste wegen, aber sie mochte es auch nicht lassen, um es mit den Erdwichtern nicht zu verderben, und am Tage vor der Hochzeit ging sie zum Pferdestall, stellte sich hin und rief die Worte, die sie von der Stimme gehört hatte. Als nun der Hochzeitstag da war, erschienen viele Gäste, aber die Erdwichter ließen sich nicht sehen. Hausleute und Gäste freuten sich sehr darüber, denn es war ihnen gar nicht recht, mit Erdwichtern zu Tische zu sitzen. Der Tisch, von welchem gegessen werden sollte, wurde der Länge nach auf die Diele gestellt und mit einer großen Menge von Speisen beladen; an den Seiten standen lange Bänke, auf welchen die Gäste sitzen sollten. Ehe diese jedoch Platz genommen, erschienen die Erdwichter; es war eine Mutter mit so viel Kindern, als Tage im Jahr sind. Die setzten sich um den Tisch, und es blieb nur wenig Raum mehr übrig für die andern Gäste. Die Mutter setzte sich oben an den Tisch und rief ihren Kindern zu: »Kinder, schickt jo en bäten tohope, dat de annern ok sitten kaent!« Aber die andern hatten gar keine Lust, bei den Erdwichtern zu sitzen und mit ihnen zu essen. Diese jedoch kümmerten sich wenig darum; sie fingen an zu speisen und ließen es sich wohlschmecken. Als sie fertig waren, standen sie auf vom Tische und gingen zum Pferdestall, wo sie verschwanden. Jetzt wurde der Tisch abgedeckt, um dann wieder Speisen aufzutragen für die übrigen Gäste. Wie man aber die Teller aufhob, fand man unter jedem einen alten Taler, der zwar der Zeit nicht mehr gangbar war, aber noch höheren Wert hatte als die damals üblichen.

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 1, Oldenburg 21909, S. CDXCVII497-CDXCIX499.
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