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[55] Fastnacht auf einer Bauerschaft in der Gemeinde Essen. Am Sonntag Sexagesima wurde Fastnacht »angespielt«, d.h. es wurde im Fastnachtshause, das jedes Jahr wechselte, getanzt und das Programm für die Feier aufgestellt. Am Nachmittage des Sonntags Quinquagesima versammelte sich alt und jung, groß und klein im Fastnachtshause. Man tanzte, sang und trank dabei Bier aus großen Steinkrügen. Man hörte die Lieder: »Freut euch des Lebens oder:


As use Grotvader de Grotmauder nam,

Wör use Grotvader de Brüdigam,

Use Grotmauder de Brut usw.

(Tanzmelodien).


Am Montag morgen ging's an das Eier- und Mettwürstesuchen. Voran der Dorfmusikant mit Violine, dann der König (Hahnenkönig), erkennbar an seinen mit Federn und Bändern geschmückten Hute, hinter ihm das große Gefolge. In diesem Gefolge sah man zwei, die je einen Korb für die Aufnahme der Eier und zwei, die je einen Korb für die Würste trugen. Zwei quälten sich ab, einen Bindebaum zu tragen, an dem oben ein paar Würste baumelten. Ein anderer trug wieder eine Riesenpfeife mit einen hölzernen Kopf, in dem ein viertel Pfund Tabak verschwand. Wo man einkehrte, da wurde nicht gebeten, sondern man holte einfach die Wurst aus dem Wiemen und die Eier aus den Nestern oder Behältern. War das Dorf abgesucht (jede Bauerschaft feierte Fastnacht für sich), dann kehrte man zum Fastnachtshause zurück. Hier wurden alsbald auf großem Feuer die Eier gekocht und die Würste[55] gebraten. Zum Mahle hatte jeder Zutritt, der anwesend war. Nach aufgehobener Tafel ging die Wahl eines neuen Königs vor sich. Ein Mann bestieg mit einem Hahn, dem die Füße oder Beine zusammengebunden waren, den Boden und ließ das Tier an einem in der Bodenluke befestigten festen Faden bis halbwegs zur Tenne herunterbaumeln. Jedermann, der Lust hatte, Hahnenkönig zu werden, machte seine Sprünge, um dem Hahn den Kopf abzureißen. Wem schließlich der Kopf in der Hand blieb, wurde als König ausgerufen. Eine Dorfschöne setzte ihm den mit Bändern und Federn verzierten Hut auf. Die Anwesenden ließen ihn hochleben und sangen ein Lied, das der Musikus begleitete. Darauf marschierte die Gesellschaft zum Nachbarhause, wo im nächsten Jahre Fastnacht gefeiert werden sollte. Der Musikant voran, hinter ihm einer mit einer Schüssel, worauf der abgerissene Hahnenkopf lag, dann kam der König in Ornat und darauf die singende oder schreiende Menge. Am Ziele angelangt, wurde angeklopft, der Hausherr öffnete mit einem freundlichen Willkomm, einige ältere betraten mit dem Könige die Wohnung, und dieser wendete sich der Herdstelle zu und nagelte den Hahnenkopf an den Bausen oder Rauchfang. Das war die offizielle Ankündigung, daß hier im folgenden Jahre die Feier stattfinden werde. Hierauf ging's im geordneten Zuge zum alten Hause zurück, und der Tag wurde beschlossen mit Tanzen, Trinken und Singen. Der Dienstag-Morgen wurde gern benutzt zu Besuchen in einem Nachbardorfe, wo ebenfalls Fastnacht gefeiert wurde. Man warf sich in möglichst bunte Kostüme, stieg in dieser Verkleidung zu Pferde und ritt im Galopp dem Ziele zu. Waren die Besucher angenehm, so wurden sie feierlich empfangen und aufs beste bewirtet und schließlich mit einem Hoch verabschiedet. Am Dienstag abend war Bacchusbegräbnis. Ein Strohmann als Leiche angekleidet wurde auf eine Bahre (Leiter) gelegt, um zum nächsten Bache oder Dorfteich oder Tümpel getragen und dort begraben zu werden. Der Musikant eröffnete wieder den Zug, ihm folgte der Götzenpriester in einem weißen Hemde, dann kamen die Leichenträger, dahinter das weinende und klagende Gefolge. Nachdem am Begräbnisplatze eine Leichenrede gehalten, wurde unter einem gewissen Zeremoniell der Strohmann unter lautem Schluchzen der Menge ins Wasser geworfen. Hierauf wanderte alles zum Fastnachtshause zurück, und unter Tanzen und Trinken wurden[56] der Abend und die Nacht verbracht. Wer am Aschermittwoch nicht totmüde oder seiner Sinne beraubt auf seinem Lager lag, der ging zur Kirche. Nach beendigtem Gottesdienst versammelten sich die Fastnachtsfreunde aus den verschiedenen Bauerschaften in einem bestimmten Wirtshause. Die Unterhaltung galt natürlich den Erlebnissen der letzten Tage, und dem Schnaps und Bier wurde dabei derart zugesprochen, daß die Rückkehr nach Hause mit den größten Schwierigkeiten verbunden war. Wer ›strumpeldun‹ hinaustaumelte, konnte noch von Glück sagen, größer war die Zahl derer, die ›falldun‹ zu öfteren Malen mit dem Erdboden Bekanntschaft machten, und nicht wenige blieben unterwegs als ›liggedun‹ liegen, um, wenn sie ihren Rausch einigermaßen ausgeschlafen hatten, von einer mitleidigen Seele heimgeleitet zu werden. Das war das Ende der Fastnachtsfeier. Und kein besonnener Mensch nahm Anstoß an solchem Treiben. ›Je toller die Fastnacht‹ sagte man in Oythe, desto besser gedeiht im nächsten Sommer die Frucht.«

Quelle:
Ludwig Strackerjan: Aberglaube und Sagen aus dem Herzogtum Oldenburg 1–2, Band 2, Oldenburg 21909, S. 55-57.
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