Zweyter Auftritt.

[192] Herr von Wohlau, Frau von Wichmann.


HERR VON WOHLAU. Sieh hier – war das nicht Julie? Wozu entschließt Sie sich, das eigensinnige Mägdchen? Bald bald ist meine Gedult vorbey, das Ding ist toll verliebt, Sie nimmt keine Vorstellungen und keine Vernunft an, man muß Sie zu ihrem Besten zwingen – und das soll geschehen.

FRAU VON WICHMANN. Uebereile dich nicht Bruder, Sie hat mich sehr gerührt, du stellst dir nicht vor, wie Sie leidet, und ich muß dir gestehen, ich fürchte, diese Leidenschaft ist so tief bey ihr eingewurzelt, daß alle unsere Bemühungen vergebens sind – Ich hielte dafür, es wäre besser, wir plagten Sie nicht länger mit dieser Ehe, denn Sie wird sich doch niemals dazu entschließen, und es wird kein gutes Ende nehmen.[192]

WOHLAU. Also wolltest du wohl für Belmont eine Anwerbung thun?

FRAU VON WICHMANN. Ich dächte Bruder –

WOHLAU. Und ich dächte Schwester, in deinem Alter wär es ziemlich sonderbar, eine romanhafte Liebe zu vertheidigen: aber das Gewimmer, das weibliche Gewimmer, dem kann kein Weib widerstehen: denkst du, daß ich das Mägdchen nicht auch lieb habe? daß mir ihr Zustand nicht an die Seele geht? verflucht sey die Schlange, die ich in meinem Busen ernährt habe, der Nichtswürdige, er hat mir mein Kind aus meinem Arm weggerissen – er hat mir Ihr Herz geraubt – was war das für ein gutartiges liebes Mägdchen, wer hätte das denken sollen? Will Sie denn durchaus nicht Schwester? Was sagt Sie eigentlich? Warum will Sie nichts?

FRAU VON WICHMANN. Wann du Sie gehört hättest Bruder, ich bin überzeugt, du hättest eben so wenig widerstanden; Ihr Herz ist voller Ehrerbietung, voller Zärtlichkeit gegen ihren Vater – aber auch voll von Liebe.

WOHLAU. Zu dem Bösewicht?[193]

FRAU VON WICHMANN. Zuweilen entrinnen Ihr Klagen, aber sobald Sie sich nur ein wenig fassen kann, so macht Sie niemand Vorwürfe; Sie fühlt bloß Ihr Unglück, und dieses Leiden geht durch die Seele, indessen scheint ihr Entschluß genommen zu seyn.

WOHLAU. Nicht zu gehorchen?

FRAU VON WICHMANN. Woldemar nicht zu nehmen.

WOHLAU. Und meiner ist bey meiner Ehre auch genommen, ich bitte ihr das zu sagen, Schwester, mein Entschluß ist auch genommen, wenn ich ungerecht wäre, wenn ich Ihr einen unwürdigen Mann aufdringen wollte, aber was kann Sie an ihm tadeln – eine Schande würde es seyn, wenn Ihr Gewinsel mehr als aller Menschen Vernunft gelten sollte; ich möchte, so wahr ich lebe, das Mägdchen gerne glücklich sehen, wenn Sie es nicht wird, so ist bloß ihr Eigensinn schuld. Wenn Sie ihren Vater mit Kummer in die Grube bringen will, Sie mag es thun – Gott wird es Ihr vergeben. – Bloß meine Geduld, meine Weichlichkeit verhärtet das Mägdchen. – Sie mag mich nicht länger reizen – sag ihr das – Sie mag mich nicht länger reizen.[194]

FRAU VON WICHMANN. Bruder – nur keine Hitze, keine Gewaltthätigkeiten, darum bitte ich dich.

WOHLAU. Gewaltthätigkeiten, was nennst du Gewaltthätigkeiten? Krieche ich dem Ding nicht schon ein halbes Jahr nach –? Ihren Willen soll man thun, und wenn es Wahnwitz wäre, rasend möchte man werden. Du hast keine Töchter gehabt, Schwester, keine Töchter, die deine Liebe mit Undank belohnten, und ihre Familie beschimpften; du weißt nicht, wie einem Vater dabey zu Muthe ist. Da hier meinen Bruder will ich fragen, der wird die Sache anders erklären, er kömmt wie gerufen.


Quelle:
Peter Helfrich Sturz: Schriften. Band 1, Leipzig 1779–1782, S. 192-195.
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