[72] Die Vorigen. Mago. Gubal. In einiger Entfernung hinter ihnen zwei Karthagische Diener. Die beiden Späher.
MAGO leise.
Wann also wird die Flotte, deren Nahen
Du meldest, vor der Stadt erscheinen, Gubal?
GUBAL.
Mit nächstem Sonnenaufgang.
MAGO.
Bringst du mir
Des hohen Rats Befehl?
GUBAL.
Du selber mögest
Ermessen, was uns not und nütze, sprach
Der hohe Rat.[72]
MAGO.
Die Stund' ist meinem Plan
Gewogen. Volk und Krieger, die so lange
Durch Argwohn unbezähmbar, wurden mürbe.
Die Jünglinge verdampfen ihre Kraft
In Wollust. Flatternd hängt in unsern Stricken
Der Herrscher, den wir ihnen heimlich schufen.
Heut' vor zehn Jahren war's, und morgen erst
Gedeiht die Rache. Doch damit nicht zwischen
Dem Tun und dem Getansein irgendwie
Gespenster sich erheben – rasch noch eines.
Er geht einige Schritte nach rechts, die Bettler mit einem Blicke umfassend.
DIE BETTLER.
Kamt ihr als Fremde, von Wogen getragen,
Seid ihr Kinder der nährenden ...
MAGO zu den Dienern.
Werft Münzen unter sie.
Die Späher heranwinkend, zum zweiten.
Hier, sagtest du?
DER ZWEITE SPÄHER beflissen.
Hier in dem Haufen, Herr.
MAGO.
Beschreib ihn mir.[73]
DER ZWEITE SPÄHER.
Der zweite von der rechten Reihe, Herr.
Der weißbehaarte – der –
MAGO.
Mach keinen Aufwand
Mit deinen Blicken, Freund.
Wirft einen vorsichtigen Blick nach dem Blinden hin.
Entsinn' ich mich,
Ihn je – –?
Zu Gubal.
Ein Strolch, so scheint's, der auf Gefahr
Der Folterbank den Helden spielt ... Zur Sichrung
Jedoch erfaß dein Schwert, und blinzl' ich nur,
So stoß ihn nieder. Stellt man Fragen dann,
Geschah's durch ein Versehn.
GUBAL legt die Hand an den Schwertgriff.
MAGO sich umwendend, laut.
Den Blinden schafft
Herbei.
DER ZWEITE SPÄHER diensteifrig.
He, Blinder dort, der edle Mago,
Karthagos Hauptmann, wünscht mit dir zu reden.[74]
DER BLINDE sehr ängstlich in jämmerlichem Ton.
Mit mir? Mit mir? Was kann der große Mago
Mit –?
DER KARTHAGISCHE DIENER.
Frage nicht und folge!
EURYTIMOS leise.
Soll ich ihn –?
DER BLINDE aufstehend leise zu Eurytimos.
Was du auch siehst, halt an dich – deine Stunde
Wird kommen.
Tastend.
Wehe, wehe mir! Wo steht –
Wo steht der große, der allmächt'ge Mago,
Daß ich den Staub von seinen Füßen trinke?
MAGO.
Was du von jenes Feldherrn Untergang
Gesprochen, wurde ruchbar, Blinder.
DER BLINDE.
Wehe,
O wehe mir! Ist dies des Großen Stimme?
MAGO.
Bestätige dein Wort und schaff Beweise.[75]
Denn bin ich gleich ein Fremder, weiß ich dennoch
Gar manchen Weg, Vergessnes wach zu peitschen.
War's ein karthagisch Eisen, welches dich
Geblendet hat?
DER BLINDE.
Ja. Ein karthagisch Eisen,
Das mich geblendet hat. Ach ja.
MAGO.
Zur Strafe
Wofür?
DER BLINDE.
Nicht Strafe. Nein doch. Sage Lohn.
Verdienten Lohn für greuelvolle Tat.
Ein Söldner war ich, in Iberien
Geworben. Als der Krieg dem Ende nah
Und wir entlassen werden sollten, da – –
MAGO.
Von jenen warst du, die den Aufruhr damals
Entzündeten? Doch wie entrannest du
Dem Kreuzestod?
DER BLINDE.
Ich gab dem Richtenden
Der Führer Namen preis und wurde darum
Zur Blendung und zu ew'gem Kerker huldreich,
Erbarmungsreich begnadigt.[76]
MAGO.
Und entkamst
Dem Kerker – wie?
DER BLINDE.
Du weißt am besten, Herr,
Nur durch ein Wunder können jene Riegel
Sich öffnen, jene Gräber ihren Raub ausspein.
Ich war gestorben, ja – war tot – ganz tot –
Kein Toter jemals war so tot wie ich.
Doch als ich auf dem Scheiterhaufen lag,
Bereit, des Morgens mich in Dunst zu wandeln,
Da – plötzlich – kriegten meine Beine Leben
Und liefen – liefen – liefen – liefen – Herr!
Ach Herr, wie liefen meine Beine! Wenn
Du jene Kerker kennst, so weißt du, Herr,
Wie meine Beine liefen!
MAGO.
Und dort im Kerker als Gefährten – tretet
Zurück ihr andern –
Nur Gubal bleibt bei ihm – leiser.
fandest du –
DER BLINDE.
So war's!
Genau, wie du's errietest, Herr. Da fand ich –
MAGO.
Du irrst! Dort fandst du niemand. Laß mich deinem
Gedächtnis hilfreich sein. Und wenn es ferner[77]
Dich täuschen sollte, muß ich von dem Herrn
Der Stadt dich als der Kerker Eigentum
Zurückverlangen.
DER BLINDE in die Knie sinkend.
Hilf mir, Herr! – und töte
Mich Häuflein Elend, mich verdorrtes Unkraut
Zertritt mit deinen Füßen – nur das eine,
Das eine nicht – in jene Kerker nicht
Zurück! Nicht in die Kerker, Herr!
EINER DER BETTLER.
Muß das
Ein Volk ertragen?
DEONAX zu Eurytimos.
Auch du Starker dort
Erträgst es? Schlage drein jetzt!
EURYTIMOS.
Der ist klüger
Als wir – der weiß, warum da knieen.
MAGO zu Gubal.
Dieser
Heulende Jammer, dies zerfaulte Nichts
Wird uns noch nützlich sein ... Steh auf und höre![78]
DER BLINDE wimmernd.
Ich höre, Herr, ich höre.
MAGO.
Warst du damals
Mit in der Quellenschlucht?
DER BLINDE sich unwillkürlich hoch aufrichtend, mit schriller Stimme.
Bei allen Göttern,
Da war ich!
MAGO.
Und somit nach eignem Schauen
Weißt du genau, wie jener Feldherr starb.
Doch fühlst du dich zu weitrem stark und pfiffig,
So denk an jene Kerker – rat' ich dir!
DER BLINDE.
Hab Dank, du gnadenreicher ...
MAGO.
Fuhrt ihn weg!
Ein karthagischer Diener stößt den Blinden zur Bettlergruppe zurück. Dumpfes Geräusch von vielen Stimmen erhebt sich links.
GUBAL.
Ein Volksruf – horch! ... Wir sind in Feindes Landen.
MAGO.
Nur eine schmalgeschnittne Siegesfeier,
Die mit dem Trotz des Schuld'gen Arratos[79]
Dem Pöbel auftischt.
Zu den Spähern.
Edle Griechen, sprecht!
Auf welchem Wege steigt der Zug zum Tempel?
ZWEITER SPÄHER beflissen.
Von dort herab – und hier empor die Stufen.
MAGO.
Nun kriecht nicht länger mehr um mich herum.
Doch wollt ihr mich auch künftig gut bedienen,
Ihr Pack, so spei' ich euch manch Wörtlein hin,
Das ihm ein Schatz wird.
Zu Gubal.
Für den Fall, daß Volkswut
Verwirrung schafft und wir mit klugem Wort
Sie kirren müssen – laß uns nahe sein.
Er, Gubal und die zwei Diener verschwinden rechts hinten.
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