Dritte Szene

[72] Die Vorigen. Mago. Gubal. In einiger Entfernung hinter ihnen zwei Karthagische Diener. Die beiden Späher.


MAGO leise.

Wann also wird die Flotte, deren Nahen

Du meldest, vor der Stadt erscheinen, Gubal?

GUBAL.

Mit nächstem Sonnenaufgang.

MAGO.

Bringst du mir

Des hohen Rats Befehl?

GUBAL.

Du selber mögest

Ermessen, was uns not und nütze, sprach

Der hohe Rat.[72]

MAGO.

Die Stund' ist meinem Plan

Gewogen. Volk und Krieger, die so lange

Durch Argwohn unbezähmbar, wurden mürbe.

Die Jünglinge verdampfen ihre Kraft

In Wollust. Flatternd hängt in unsern Stricken

Der Herrscher, den wir ihnen heimlich schufen.

Heut' vor zehn Jahren war's, und morgen erst

Gedeiht die Rache. Doch damit nicht zwischen

Dem Tun und dem Getansein irgendwie

Gespenster sich erheben – rasch noch eines.


Er geht einige Schritte nach rechts, die Bettler mit einem Blicke umfassend.


DIE BETTLER.

Kamt ihr als Fremde, von Wogen getragen,

Seid ihr Kinder der nährenden ...

MAGO zu den Dienern.

Werft Münzen unter sie.


Die Späher heranwinkend, zum zweiten.


Hier, sagtest du?

DER ZWEITE SPÄHER beflissen.

Hier in dem Haufen, Herr.

MAGO.

Beschreib ihn mir.[73]

DER ZWEITE SPÄHER.

Der zweite von der rechten Reihe, Herr.

Der weißbehaarte – der –

MAGO.

Mach keinen Aufwand

Mit deinen Blicken, Freund.


Wirft einen vorsichtigen Blick nach dem Blinden hin.


Entsinn' ich mich,

Ihn je – –?


Zu Gubal.


Ein Strolch, so scheint's, der auf Gefahr

Der Folterbank den Helden spielt ... Zur Sichrung

Jedoch erfaß dein Schwert, und blinzl' ich nur,

So stoß ihn nieder. Stellt man Fragen dann,

Geschah's durch ein Versehn.

GUBAL legt die Hand an den Schwertgriff.

MAGO sich umwendend, laut.

Den Blinden schafft

Herbei.

DER ZWEITE SPÄHER diensteifrig.

He, Blinder dort, der edle Mago,

Karthagos Hauptmann, wünscht mit dir zu reden.[74]

DER BLINDE sehr ängstlich in jämmerlichem Ton.

Mit mir? Mit mir? Was kann der große Mago

Mit –?

DER KARTHAGISCHE DIENER.

Frage nicht und folge!

EURYTIMOS leise.

Soll ich ihn –?

DER BLINDE aufstehend leise zu Eurytimos.

Was du auch siehst, halt an dich – deine Stunde

Wird kommen.


Tastend.


Wehe, wehe mir! Wo steht –

Wo steht der große, der allmächt'ge Mago,

Daß ich den Staub von seinen Füßen trinke?

MAGO.

Was du von jenes Feldherrn Untergang

Gesprochen, wurde ruchbar, Blinder.

DER BLINDE.

Wehe,

O wehe mir! Ist dies des Großen Stimme?

MAGO.

Bestätige dein Wort und schaff Beweise.[75]

Denn bin ich gleich ein Fremder, weiß ich dennoch

Gar manchen Weg, Vergessnes wach zu peitschen.

War's ein karthagisch Eisen, welches dich

Geblendet hat?

DER BLINDE.

Ja. Ein karthagisch Eisen,

Das mich geblendet hat. Ach ja.

MAGO.

Zur Strafe

Wofür?

DER BLINDE.

Nicht Strafe. Nein doch. Sage Lohn.

Verdienten Lohn für greuelvolle Tat.

Ein Söldner war ich, in Iberien

Geworben. Als der Krieg dem Ende nah

Und wir entlassen werden sollten, da – –

MAGO.

Von jenen warst du, die den Aufruhr damals

Entzündeten? Doch wie entrannest du

Dem Kreuzestod?

DER BLINDE.

Ich gab dem Richtenden

Der Führer Namen preis und wurde darum

Zur Blendung und zu ew'gem Kerker huldreich,

Erbarmungsreich begnadigt.[76]

MAGO.

Und entkamst

Dem Kerker – wie?

DER BLINDE.

Du weißt am besten, Herr,

Nur durch ein Wunder können jene Riegel

Sich öffnen, jene Gräber ihren Raub ausspein.

Ich war gestorben, ja – war tot – ganz tot –

Kein Toter jemals war so tot wie ich.

Doch als ich auf dem Scheiterhaufen lag,

Bereit, des Morgens mich in Dunst zu wandeln,

Da – plötzlich – kriegten meine Beine Leben

Und liefen – liefen – liefen – liefen – Herr!

Ach Herr, wie liefen meine Beine! Wenn

Du jene Kerker kennst, so weißt du, Herr,

Wie meine Beine liefen!

MAGO.

Und dort im Kerker als Gefährten – tretet

Zurück ihr andern –


Nur Gubal bleibt bei ihm – leiser.


fandest du –

DER BLINDE.

So war's!

Genau, wie du's errietest, Herr. Da fand ich –

MAGO.

Du irrst! Dort fandst du niemand. Laß mich deinem

Gedächtnis hilfreich sein. Und wenn es ferner[77]

Dich täuschen sollte, muß ich von dem Herrn

Der Stadt dich als der Kerker Eigentum

Zurückverlangen.

DER BLINDE in die Knie sinkend.

Hilf mir, Herr! – und töte

Mich Häuflein Elend, mich verdorrtes Unkraut

Zertritt mit deinen Füßen – nur das eine,

Das eine nicht – in jene Kerker nicht

Zurück! Nicht in die Kerker, Herr!

EINER DER BETTLER.

Muß das

Ein Volk ertragen?

DEONAX zu Eurytimos.

Auch du Starker dort

Erträgst es? Schlage drein jetzt!

EURYTIMOS.

Der ist klüger

Als wir – der weiß, warum da knieen.

MAGO zu Gubal.

Dieser

Heulende Jammer, dies zerfaulte Nichts

Wird uns noch nützlich sein ... Steh auf und höre![78]

DER BLINDE wimmernd.

Ich höre, Herr, ich höre.

MAGO.

Warst du damals

Mit in der Quellenschlucht?

DER BLINDE sich unwillkürlich hoch aufrichtend, mit schriller Stimme.

Bei allen Göttern,

Da war ich!

MAGO.

Und somit nach eignem Schauen

Weißt du genau, wie jener Feldherr starb.

Doch fühlst du dich zu weitrem stark und pfiffig,

So denk an jene Kerker – rat' ich dir!

DER BLINDE.

Hab Dank, du gnadenreicher ...

MAGO.

Fuhrt ihn weg!


Ein karthagischer Diener stößt den Blinden zur Bettlergruppe zurück. Dumpfes Geräusch von vielen Stimmen erhebt sich links.


GUBAL.

Ein Volksruf – horch! ... Wir sind in Feindes Landen.

MAGO.

Nur eine schmalgeschnittne Siegesfeier,

Die mit dem Trotz des Schuld'gen Arratos[79]

Dem Pöbel auftischt.


Zu den Spähern.


Edle Griechen, sprecht!

Auf welchem Wege steigt der Zug zum Tempel?

ZWEITER SPÄHER beflissen.

Von dort herab – und hier empor die Stufen.

MAGO.

Nun kriecht nicht länger mehr um mich herum.

Doch wollt ihr mich auch künftig gut bedienen,

Ihr Pack, so spei' ich euch manch Wörtlein hin,

Das ihm ein Schatz wird.


Zu Gubal.


Für den Fall, daß Volkswut

Verwirrung schafft und wir mit klugem Wort

Sie kirren müssen – laß uns nahe sein.


Er, Gubal und die zwei Diener verschwinden rechts hinten.


Quelle:
Hermann Sudermann: Der Bettler von Syrakus. Stuttgart und Berlin 2-51911, S. 72-80.
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