Vierte Szene

[174] Arratos. Später Philarete.


ARRATOS steht auf, will an das Becken schlagen, läßt erschlaffend den Schlegel sinken und verbirgt, von Schauern geschüttelt, den Kopf hinter der Lehne seines Sessels.

PHILARETE tritt von links ein, betrachtet ihn und legt dann die Hand auf seine Schulter.

ARRATOS fährt, nach seinem Schwerte greifend, mit einem Aufschrei zurück.

PHILARETE.

Mich fürchte nicht, mein Gatte!

ARRATOS.

Wüßtest du,

Du würdest zögern, die Noteinsamkeit

Der letzten Stunde mir zu süßen, Weib!

Drum geh – und –[174]

PHILARETE.

Glaubst du, daß die Frauenwohnung

Dem Schrei des Schicksals Ohr und Einlaß wehrt?

Doch weil ich diesen Bettler sprach und rings

Um seine blut'gen Augen, aus der Schwärze

Des haßerfüllten Elends ein Gewirr

Von Licht und Güte plötzlich lachen sah –

Drum fühl' ich, daß hier Göttermächte walten

Und daß, wer Ihnen sich ergab, auch dem

Vertrauen darf, den sie für ihren Willen

Zum Werkzeug wählten.

ARRATOS.

Bist du auch von denen,

Die, wie dein Sohn, durch ihn verzaubert sind?

Und kehrst dich wider mich? – Und trachtest heimlich –?

Geh fort und neige dich in Furcht vor jenen,

Als deren Werkzeug du den Blinden liebst!

Mich aber laß in meiner Schmach verderben,

Mich, der so sehr nichts fürchtete – wie dich.

PHILARETE.

Mein Freund! Fern sei's von mir, zu leugnen, daß –

– Ich weiß nicht, wie? – ein traurig Wohlsein leise

Mich überkommt, wenn ich des Manns gedenke,

Der mir von – von – den Toten Kunde gab.

Doch weil ich deines Leibes Anteil ward

Und deine Seele sich an mir verkroch,

So breit' ich meine Hände über dich,

Und statt zu hadern, teil' ich Todesschuld

Und Todesgrauen still mit dir.[175]

ARRATOS.

Suchst so

Du wahr zu machen, was der Tote sprach:

Der sei geadelt, dem du angehörst?

Geadelt?


Lacht.


Ich? Wodurch wohl?

PHILARETE.

Durch dich selbst.

Denn siehe! Gutes schaffen war dein Wille,

Und atemhaltend hört' ich dich oft ringen

Mit nächtigen Versuchern, die du stolz

Zertratst. Ah! Hätte das Verhängnis je

Dir freie Hand gegönnt, du Armer, wärest

Du in des Volkes Weiheglück nicht selbst

Zum Glücklichen geweiht?

ARRATOS.

Ah ja – ja, ja! –

Das ist's! ... So ist's! Denn frei zu machen – mich

Zu – – frei zu machen – hab' ich – stets – – – doch Schwäche,

So nannten sie's – und andre: Schmeichelkunst – – –

Und meine Wächter – Wächter! Tausend Wächter!

Weil ich sie Frieden halten hieß, darum

Sind sie mir untreu – und das Volk – weil ich

Nicht strafte! – Und jetzt – hab' ich nichts als dich

– Und diesen Ring.

PHILARETE.

Was ist's mit diesem Ringe?[176]

ARRATOS.

Hähä! Und wenn der Bettler dort hereintritt,

Von Syrakusens Edeln dicht umdrängt,

Und seiner Fragen dritte, schreckensvollste

Mir auf den Leib hetzt – ah! ich kenn' sie wohl,

Die dritte Frage – dann –


Betrachtet den Ring.


PHILARETE.

Dann wachs empor

Hoch über deine Schuld – um deren Wissen

Ich mahnend niemals in dich drang – und lasse

Redlichen Wollens allversöhnende

Gewalt an haßgestählte Herzen klingen.

ARRATOS.

Du redest wie zu einem Hirtenknaben,

Der Honig naschte, weil er hungrig war.

Doch zwischen Tat und guten Willen schiebt

Die Klugheit sich. Und Klugheit sagt: Dies laß –

Und das erst recht – dies sprich und das verschweige!

Dann wälzt des Willens Hoheit sich im Staube

Und wird ein schleichendes Getier und – – – Ja,

Wüßt' ich, wieviel der Blinde weiß und welche

Gewähr er mitbringt – ah! – dann hielt' ich stand,

Dann wüchs' ich mit dem Worte, dann – – –


In aufquellender Angst.


Sie werden

Das Tor erbrechen – Flüche rasen – Schwerter

Gezückt! – – Nicht einer glaubt mir – jeder glaubt[177]

Dem Blinden! Wenn er dann mit seinen Fingern

– Auf jeder Fingerspitze sitzt ein Auge,

In jedem Worte brennt ein Feuerstrahl –

Und jedes Wort, das ich, ich selber spreche,

Wird ihm ein Haken – so hab' ich's erlebt –

Daran zieht er mich langsam – langsam – – Hilfe!

Der Blinde! ... Hörst du vor dem Tor die Stimmen,

Die klagenden? Um mich klagt keine! Um

Wen klagen sie?


Heftige Schläge an der Außentür; in sich zusammenkriechend.


Hä! Schon?

PHILARETE.

Was jetzt auch komme –

ARRATOS wie erwachend.

Ja – du!


Er versucht sich um Philaretens willen zusammenzuraffen.


Ich will in Größe sterben. – Ja.


Quelle:
Hermann Sudermann: Der Bettler von Syrakus. Stuttgart und Berlin 2-51911, S. 174-178.
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