Dritte Szene

[171] Die Vorigen. Der zweite Späher.


DER ZWEITE SPÄHER.

Ich weiß nicht, Herr –

ARRATOS.

Auch du darfst wagen, Freund!

DER ZWEITE SPÄHER.

Der Blinde zog mit allem Volk zum Hafen.

Die Ketten, die allnächtlich sonst die Furt

Versperren und die heut' – man weiß nicht, wie? –

Am Grunde schleiften –

ARRATOS zuckt zusammen.

DER ZWEITE SPÄHER.

– hieß er schleunig spannen.

Dann ging's zur Jagd. Und als man der Karthager

Jüngstangekommne Schiffe scharf durchsuchte,

Fand man sie mit verborgnen Kriegern ganz

Erfüllt. Man griff sie oder tötete,

Was nicht sich greifen ließ. Doch dann, als hell

Die Schiffe brannten – sieh! noch gleischt's am Himmel –

Da, im Gefühl des halbgesättigten

Verlangens, wandte sich des Volkes Wut

Auch gegen dich ... »Wenn er dies duldete,«

So sprang ein fliegend Feuer durch die Menge,

»Dann ist er schuldig. Schuldig ist auch er.«

Der Bettler aber sprach: »Den Arratos[172]

Laßt mir! Und dies gelob' ich: Eh' es tagt,

Wird er gerichtet sein.«


Schweigen.


DER ERSTE SPÄHER.

Sehr schlimm!

ARRATOS heiser.

Was dann?

DER ZWEITE SPÄHER.

Noch ist es Zeit, Erhabner! Fliehe schnell

Ins Land hinaus, wohin Artemidor,

Dein Sohn, dir um die Mitternacht voranging.

ARRATOS entsetzt.

Artemidor – entflohn!

DER ZWEITE SPÄHER.

Dein Stiefsohn aber –

ARRATOS in letzter Hoffnung.

Ja, Diokles! – Das ist's ... denn ob er gleich

Im Wahn der Kränkung gegen mich sich bäumte,

Lenkbaren Sinns und liebreich – und vor allem

Der Erbe jenes Namens, den der Blinde – ...

Das ist's ... mein Diokles! Ruft ihn hierher,

Den Einz'gen, der –

DER ZWEITE SPÄHER.

Dein Stiefsohn aber, Herr,

Ward nächst dem Blinden der Empörung Haupt.[173]

ARRATOS.

Ja so ... Wie anders! – Ja ...


Gibt auch dem zweiten Späher einen Beutel.


Da nimm! Und ehe

Mir nicht das Glück die Füße küßt, sieht man

Euch zwei nicht wieder.


Die beiden Späher eilends ab.


Quelle:
Hermann Sudermann: Der Bettler von Syrakus. Stuttgart und Berlin 2-51911, S. 171-174.
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