Zweite Szene

[7] Die Vorigen. Heinecke.


HEINECKE hinkend, mit steifem Arm, trägt ein sehr großes Plakat vor sich her. Hurra. – Nu is der Kitt –

FRAU HEINECKE. Biste stille!

HEINECKE gedämpft. »Willkommen, teurer Sohn, im Vaterhause.« Fein – was? –

FRAU HEBENSTREIT. Die reene Schützenscheibe!

HEINECKE. Und's brave Vaterherz ist Zentrum. – Sie olle –

FRAU HEINECKE. Zieh dir die Hälschenstrippe runter. Sie wissen ja, wie er is, Frau Nachbarin.


Heinecke klettert mit Hammer und Nägeln auf einen Stuhl, um das Plakat an der Wand zu befestigen.


FRAU HEBENSTREIT. Wo hat Ihr Sohn die Bildung und so das Feine eigentlich her? Aus dem seine Familie doch nich?

FRAU HEINECKE. Und aus meine erst recht nich. Aber das sind nun so an die 17 Jahre – da bekam der aus dem Vorderhause, was unser Brotherr war, die Kommerzienratstitelatur. – Und darum gab's 'ne große Festivität und Eklipagen und Illemination und dergleichen und Freibier fürs janze Fabrikpersonal. – Nu mag mein Mann wol'n bisken angedudelt gewesen sind – und warum auch nich? – Vater, kloppe nich! – wenn's nischt kost't? – kurz, wie die Eklipagen gerad' im Abfahren sind, gerät er unter die Räder und bricht Arm und Bein.[7]

HEINECKE vom Stuhl her. Meinste mir? Ja woll! Das war keine Kleinigkeit! Pfeift.

FRAU HEINECKE. Pfeife nicht. Das hören nu die Herrschaften uf den Balkon und lassen sich erkundigen nach Familienverhältnisse und so dergleichen, und weil's Herz voll war von den neuen Titel, war die Hand ooch offen, und sie versprachen, für uns zu sorgen und unsern Ältesten auf eigne Kosten erziehn zu lassen.

FRAU HEBENSTREIT. Und das haben sie gehalten?

HEINECKE. Ha, Bande!


Arbeitet weiter.


FRAU HEINECKE. Wie man's nehmen will. Uns loschierten sie hier ins Hinterhaus ein, wo wir ja – Jott sei Dank – noch sitzen, und den Robert schickten sie in die Erziehungsanstalt, wo er sich das Pli und so die Bildung anlernen tat. Und wenn er in den Ferien zu Hause kam, wurde er nach das Vorderhaus geladen zu Schakelade und Schlagsahne und überhaupt als Spielkamerad von's kleine jnädge Fräulein, denn der junge Herr Curt sog damals noch an'n Jummiproppen.

FRAU HEBENSTREIT. Der war wohl überhaupt mehr vor die Alma? –

FRAU HEINECKE gedämpft. Was wollen Sie damit ...?

FRAU HEBENSTREIT. Ick meene man so.

FRAU HEINECKE. Und späterhin schickten sie ihn nach Hamburg in die Lehre – fürs ausländische Geschäft, wissen Sie – und als er 19 Jahre war, jing's auf die Reise gleich bis ins hinterste Indien rin, wo 'ne janz barbarische Hitze soll sind. Da hat der Kommerzienrat einen Brudersohn zu sitzen, der ist da, um Kaffee und Tee inzusammeln.

HEINECKE. Das wächst da so rum, wie bei uns die Butterblumen – Steigt herab. – – Fein – was?

FRAU HEINECKE. Dem sollt er 'n bisken zur Hand jehn. Und Jesus – nu is er wieder da – und ick steh und –

FRAU HEBENSTREIT. Ick geh schon! Adjes! Adjes! Und denken Sie ans Jift in'n Ratzenschwanz. Beiseite. Nette Package! Ab.[8]


Quelle:
Hermann Sudermann: Die Ehre, Stuttgart 1974, S. 7-9.
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