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[231] Zwei Tage später am frühen Morgen sagte der Jurris zur Marinke: »Die Mutter hat erlaubt, daß wir zusammen fischen dürfen.«

Sie fragte: »Wer wird die Kühe melken?«

Und er erwiderte: »Sie wird es selber tun.«

Als sie mit ihm das Netz auf den Handwagen lud, schämte sie sich sehr vor den Blicken, die sie auf sich gerichtet fühlte. Sie nahm sich auch nichts zu essen mit und sagte zu keinem: »Ich geh' nun.« Wie eine Übeltäterin machte sie, daß sie davonkam.

Er zog den Handwagen, und sie schob nach. Aber zu schieben war eigentlich nichts, denn die Räder drehten sich wie von selber.

Bis zum Haff geht man quer durch die Felder mehr als eine halbe Stunde. Zuerst war nichts davon zu sehen als ein rötlicher Nebel, wie er morgens wohl auf den Wiesen liegt, dann aber brach das blaue Wasser durch, hoch über dem Rohr und dem Buschwerk, und zwischen Wasser und Himmel blänkerten in der Ferne die Sandberge der Nehrung, anzusehen wie ein Gürtelband von weißgelber Seide.

Marinke dachte: »Wie schön wird meine Heimat sein!« Sie wollte was sagen, aber sie traute sich nicht, denn er, der vor ihr ging, drehte sich nie nach ihr um.[231]

Und so kamen sie dem Ufer immer näher.

Dort standen Schuppen errichtet, um die Kähne aufzunehmen, wenn die Zeit der Stürme drohte. Jetzt aber, bei stillem Sommerwetter, waren sie nicht einmal auf den Strand gezogen und schaukelten sich, an Pfähle gebunden, zwischen Grasbank und Röhricht.

Keiner von den andern, die die Fischgerechtsamkeit haben, war am Ufer zu sehen. Denn jetzt bei beginnender Ernte gab es zu viel auf den Feldern zu tun.

Und Marinke fühlte in beklommener Seele, daß auch seine Ausfahrt nur ihr zuliebe geschah.

Nun lud er das Netz aus dem Wagen, und sie half ihm dabei, obgleich es auch hier nichts zu helfen gab. Erst wie sie schon draußen waren, weit draußen im Blauen, wo nur die Ruder klatschten und die Kielwellen schälten, da forderte er sie auf, ihm beim Auswerfen zur Hand zu gehen.

Und sie verstand auch gleich, was zu tun war, so daß alsbald die »Pluden« – das sind die leichten Hölzer, die das Netz obenhalten – in schönem Bogen rings um sie herschwammen.

Nun kam eine Zeit der Ausruhe, und die Sonne fing etwas zu stechen an.

»Du hast kein Tuch,« sagte er, »du wirst Kopfschmerzen kriegen.« Und er holte eine Ölkappe hervor, die sollte sie aufsetzen. Aber sie wollte nicht, denn sie fürchtete, er werde über ihr Aussehen lachen müssen. Und das sagte sie ihm auch.

Aber da begann er schon im voraus zu lachen und rief: »Hundertmal reichen nicht, daß ich dich in der Ölkappe sehen werde.«

Und ohne sich zu besinnen, was sie da sagte, entgegnete sie: »Aber dann werden wir auch verheiratet sein.«

Noch wie das Wort kaum heraus war, da schämte sie sich schon so sehr, daß sie sich am liebsten ins Wasser gestürzt hätte. »O Gott, o Gott,« dachte sie, »jetzt wird er mich für dreist und für zudringlich halten.« Und weil sie fühlte, daß sie ganz glutrot geworden war und immer[232] noch röter wurde, drehte sie ihm den Rücken und machte sich klein.

Er – vom Steuer her – sagte: »Marinke, dreh dich doch um.«

Aber sie vermochte es nicht. Denn plötzlich stieg der Gedanke in ihr auf: »Es wird nicht sein – es kann nicht sein. Es ist zu schön für mich – und ich bin es nicht wert.«

Wie ein Herzbruch kam es über sie, so daß sie bitterlich zu weinen begann.

Der Jurris stand von seinem Platz auf und setzte sich neben sie, so dicht, daß ihr Rücken an seine Brust stieß.

Und er fragte sie, ob sie ihn denn wirklich nicht wolle, da sonst ja die Heirat kein Grund zu solchen Tränen sei.

Aber sie weinte nur um so heftiger.

Da schlang er von hinten her die Arme um ihren Hals, so daß ihr Kopf auf seine Schulter zu liegen kam. Sie drehte sich ein wenig nach ihm um, damit sie ihr nasses Gesicht nicht dem hellen Tag preiszugeben brauchte, und so lag sie an seine Jacke gedrückt und wurde wieder ganz still.

»Ach, wenn er mich doch küssen möchte!« dachte sie.

Aber er küßte sie nicht.

Und dann war es Zeit, nach dem Netz zu sehen. Viel brachte der Fang nicht. Ein paar Bleie, ein paar Plötze. Das war alles. Aber sie kümmerten sich nicht darum, und schließlich lachten sie gar darüber.

Als sie den Wagen heimwärts fuhren, schob sie nicht mehr wie in der Frühe, sondern schritt an seiner Seite und zog mit ihm. Aber da es beim besten Willen auch jetzt nichts zu ziehen gab, legte er seinen freien Arm um ihre Hüfte, so daß er ihren Arm von der Deichsel abdrängte. Und darum gab es des Lachens kein Ende.

Doch zu Hause taten sie wieder ganz ernst, und als die künftige Schwiegermutter ihnen das Frühstück auftischte, wollte sie es nicht dulden und küßte ihr Ärmel und Rocksaum.

Da sagte die Enskene mit einem freundlichen Lächeln: »Was ihr gefischt habt, ist ja nicht viel, und doch hat mein Jurris einen guten Fang gemacht.«[233]

Der alte Enskys aber ging mit mißtrauischen und ängstlichen Blicken um beide herum, so daß auch der Marinke wieder ganz angst ward.

»Ob er was weiß?« dachte sie.

Aber dann hätte er wohl nicht gewollt, daß sie »auf Prob'« ins Haus kam.

Und darum ging sie wieder beruhigt an ihre Arbeit.

Quelle:
Hermann Sudermann: Romane und Novellen. Band 6, Stuttgart und Berlin 1923, S. 231-234.
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