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[183] So! Nun mach' ich einen langen Atemzug – der dauert volle zehn Jahre lang –, und dann erzähl' ich, was aus dem Jons und der Erdme und den zwei hoch hinaus wollenden Töchtern weiter noch wird.

Von der jüngeren, der Urte, ist freilich vorderhand nicht viel zu berichten. Als sie mit siebzehn Jahren nach Königsberg ging, um als Kellnerin einzutreten – denn das sollte die Schwelle sein zu dem künftigen Glück –, da war sie ein appetitliches Marjellchen mit kornblumenblauen Augen und einem süßen Schnauzchen, rund und feucht wie eine betaute und gespaltene Pflaume; aber die Bilder von ihr, die sie inzwischen geschickt hat, zeigen, daß sie schlank und hoch geworden ist und überhaupt wie eine von den schönen Damen, die in dem früheren Hause an[183] den Wänden klebten. Sie schreibt bald von der Pariser Weltausstellung, bald aus dem schönen Italien, sogar von der Spitze des Monte Rosa hat sie eine Ansichtskarte geschickt, obgleich einem dort von der großen Kälte die Finger erklammen.

Sie heißt jetzt auch nicht mehr Urte, sondern Ortrud, und auch Baltruschat heißt sie nicht mehr – so ein litauischer Name ist viel zu gemein für sie –, sondern einmal schreibt sie sich Balté, ein andermal Baldamus und ein drittes Mal sogar wie der katholische heilige Balthasar.

Kurz: man weiß sich vor Stolz nicht zu lassen, wenn man ihrer gedenkt.

Die Katrike allerdings – die ist noch etwas im Rückstand. Sie hat keine Lust gehabt, sich ihr Glück aus der weiten Welt zu holen, und auch daheim läßt es warten, denn ihren Rittergutsbesitzer hat sie immer noch nicht. Woran das liegt, ist schwer zu sagen.

An Schönheit fehlt es ihr nicht. Etwas lang ist sie geraten – das wissen wir schon –, und die Straßenjungen in Heydekrug schreien hinter ihr her: »Kiek – die lange Latte!« Dafür ruft man sie zu Hause auch »Pusze, Pusze«, das heißt »Miesekatzchen«, und dieser liebliche Name macht viel wieder gut.

An Bildung fehlt es ihr auch nicht. Sie spricht ein sehr feines Deutsch und spitzt den Mund dabei, soviel sie nur kann. Sie sagt zum Beispiel: »Äch bün eune reuche Besützerstochter.« Und das soll ihr mal einer nachmachen!

Viel tun – tut sie nicht. Hat sie auch nicht nötig. Dafür ist jetzt die Jette da, die Dienstmagd. Eine niederträchtige Kröt' übrigens. Die spottet der Katrike doch immer nach. Wenn sie über den Hof geht, faßt sie den Unterrock mit zwei Fingerspitzen, wackelt mit dem Hintern und dreht den Kopf wie ein Truthahn. Aber man kann ihr nichts nachweisen.

Zum Dienengehen ist die Katrike natürlich zu schade. Eine Stelle als Stütze oder Gesellschafterin müßte es sein. Aber sie will nicht. Sie will lieber vor dem kleinen Handspiegel sitzen und sich mit der Brennschere – die hat ihr[184] einmal die Urte geschickt – die Haare in Wickel drehen. Manchmal ist alles so kraus und so fettig und so graugelb wie bei einem Mutterschaf auf der Scherbank.

Für das Überirdische ist sie sehr eingenommen. Sie liebt die Traumbücher und die Zaubersprüche und liest darin morgens und abends.

Viel hat sie unter den Flöhen zu leiden, und die bespricht sie fortwährend. An einem Ostermorgen ist sie sogar früh aufgestanden, hat splitterfasernackt das Haus ausgefegt und das Gemüll ebenso nackt über die Grenze getragen. Aber geholfen hat auch das nur für kurze Zeit. Die Jette meint, sie solle es machen wie sie und die Flöhe mit einem Spirituslappen betupfen, so daß sie nicht hoch können. Aber diese Fangart ist ihr zu umständlich. Darum versucht sie es lieber mit Zaubern.

Dem Jons paßt die Nichtstuerei der Katrike sehr wenig. Aber was soll er machen? Die Erdme stellt sich vor sie, wo sie nur kann. Barfuß gehen darf sie nicht, und die Hände zerreißen darf sie sich auch nicht, denn wenn der reiche Freier kommt und findet sie nicht wie ein Fräulein, dann zieht er sofort wieder ab.

Inzwischen ist der dicke, kleine Tuleweit, der Allerweltsfreiwerber, schon zweimal im Hause gewesen, hat das Glockenspiel gezeigt an seiner Uhr und den Mohrenkopf auf seinem Spazierstock die Zunge ausstrecken lassen und was er sonst noch für Kunststücke weiß, aber die Bräutigams, die er anbot, waren bloß Kroopzeug. Nicht ein richtiger deutscher Besitzer ist darunter gewesen. Aber die Erdme hat's ihm auch vergolten. Kaum soviel Schnaps bekam er vorgesetzt, um sich die Nase zu begießen.

Ja, die Erdme! Nun lebt sie mit dem Jons schon an die fünfundzwanzig Jahr. Sehr schön ist sie nicht mehr, und ihr Fleisch hat auch nachgelassen. Jetzt würde sich kein Nachbar mehr in sie verlieben. Hart und knochig ist sie geworden, und einen bösen Blick hat sie gekriegt von dem ewigen Sorgen und Bemißtrauen.

Denn es ist gar nicht auszusagen, wie viele ihnen ihr bißchen Wohlstand beneiden und ihnen jede erdenkliche[185] Heimsuchung an den Hals wünschen. Schon manches liebe Mal hat sie einen Zauberbesen in den Quitschen hängen gefunden, und wie oft der weiße Hexenspeichel an den Zaunlatten hing, ist gar nicht zu zählen. Einer hat sogar bei dem katholischen Pfarrer in Szibben für den Jons eine Totenmesse bestellt; es hat ihm aber, Gott sei Dank, nichts geschadet, außer daß er das Reißen bekam.

Der Jons ist ein ziemlich alter Mann geworden. Sein Haar ist grau, und sein Gesicht sieht aus wie ein dürrer Kartoffelacker bei Nachtfrost.

Was hat der Mann aber nicht alles in seinem Kopfe! Allein das viele Geld zu verwalten! Denn es liegen fünftausend Mark auf der Sparbank. Und die Wirtschaft wird staatsmäßiger Jahr für Jahr.

Das Wohnhaus mit seinen gehobelten Wänden glänzt in der Sonne wie Silber, und der massive Schornstein zeigt jedem, der es versteht, was der Moorgrund schon aushalten kann. Auch drinnen ist alles aufs beste. Der Herd steht noch an der alten Stelle, aber der Hausflur, in dem er den Platz hat, ist hoch und weit und voll von bemalten Türen.

Links geht's in die Große und in die Kleine Stube und rechts in die Kammern. In keinem litauischen Hause kann es geräumiger sein. Wollte ich erst den Hausrat schildern, die Kaiserbilder in goldenen Rahmen und den glasierten, doppelten Ofen, – von der Tapete mit ihren blanken Sternchen gar nicht zu reden, – weiß Gott, ich würde kein Ende finden! Winklig zum Stall ist jetzt auch noch eine Scheune gekommen mit Wagenschauer und Anklapp zum Trocknen des Torfes. Der Garten hat einen richtigen Staketenzaun, und nicht bloß Raute und Riechblatt wachsen darin und was man an Buntem wohl lieb hat, sondern auch Möhren, Salat und mannshohe Schoten, wovon man essen kann, soviel man nur will, selbst wenn man Dienstags Körbe voll auf den Markt bringt.

So sieht es jetzt bei den Baltruschats aus, und keiner der Nachbarn kann sich mit ihnen vergleichen.

Übrigens: der fromme Taruttis ist tot. Die Taruttene[186] auch. Beide starben am gleichen Tage, und als man ihnen die Leichenhemden anzog, hat der Flachs in der Leinwand noch einmal zu blühen begonnen. Überall saßen die blauen Sternchen. So fromm sind sie beide gewesen.

Der alte Raubmörder hat richtig seine Pension gekriegt, und als er zu Grabe getragen wurde, sind ihm nicht weniger als drei Gendarmen gefolgt. Ob aus Hochachtung oder zur besseren Bewachung, hat niemand zu sagen gewußt.

Der lange Smailus ist nun auch schon alt. Seine Vierte, von der niemand was Gutes weiß, soll sich schließlich an ihm krank geärgert haben, und wenn das Glück es will, kommt er dazu und nimmt sich noch eine Fünfte. Die Ulele schreibt ein paarmal im Jahr, und die Seife, die sie schickt, riecht immer noch schöner. Sie hat längst ihren Oberbuchhalter geheiratet. Der ist Teilhaber an der Fabrik, und die beiden Besitzer vertragen sich prächtig. – Da sieht man, was ein tüchtiges Mädchen kann!

Und der Nachbar Witkuhn? Mein Gottchen, wie ist der zusammengefallen! Eine Dienstmagd besorgt ihm den Haushalt, und er selber robotet von früh bis spät mit krummem Buckel und unkräftigen Armen und sucht aus dem Boden herauszuschlagen, daß er gerade zu leben hat.

Aber raten und helfen, das tut er noch immer, und sieht an der Erdme noch immer vorbei, und das Kinn zittert ihm. Doch das ist nun ganz und gar seine Gewohnheit geworden, das wird wohl so bleiben, bis auch das andere stille steht.

Wie ein treuer Wächter ist er, der heimlich über den Weg hin aufpaßt, und wenn er gleich fremden Reichtum behütet, nicht danach fragt, ob ihn selber friert oder schläfert.

Quelle:
Hermann Sudermann: Romane und Novellen. Band 6, Stuttgart und Berlin 1923, S. 183-187.
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