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[47] Nun trat – vorgeladen – Frau Alute Lampsatis in Erscheinung. Eine hübsche Dreißigerin mit breitausladenden Hüften und einem sorgfältig weggeschnürten[47] Busen. In dem roten, fleischigen Gesicht saß ein Paar unruhig sinnlicher Augen, und unter dem zurückgeschlagenen Kopftuch glitzerte eine Art von Schuhschnalle hervor, obwohl das reiche rotblonde Haar keines Schmuckes bedurfte.

In gebrochenem Deutsch, doch mit großem Wortschwall versicherte sie, sie sei eine anständige Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes nachsagen.

Darauf komme es hier gar nicht an, belehrte sie der Richter. Sie habe nur zu bezeugen, ob sie in der Johannisnacht oder nachher etwas von einem bei ihr verübten Einbruch bemerkt habe.

Aber sie blieb dabei, sie sei eine anständige Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes nachsagen.

Der Richter wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er den Dolmetsch holen ließ, der sie in ihrer Muttersprache so kräftig anschrie, daß ihr die Lust zu Ausflüchten verging.

Sie selbst habe zwar geschlafen, aber ihre Nichte – die Madlyne –, als die vom Johannisfeuer gekommen sei, da habe sie einen Mann aus dem Fenster der Klete steigen sehen, der in der Richtung nach dem Wald verschwunden sei.

Der Richter und der Dolmetsch lächelten sie an. Sie glaubten den Schlüssel zu den Aussagen der ehrbaren Witwe gefunden zu haben.

Es traf sich gut, daß Frau Alute ihre Nichte mitgebracht hatte. Sie wurde heraufgeholt und stellte sich als ein achtzehnjähriges Püppchen dar mit wasserhellen Augen und einem Kirschenmund. Sie war im Sonntagsstaat, trug eine grünseidene Schürze über der selbstgewebten Marginne und blütenweiße Hemdärmel, die aus dem reichgestickten Mieder hervorquollen. Ein Bauernmädchen wie aus der Operette.

Mit ihr war nicht schwer zu verhandeln, denn sie sprach ein ausgezeichnetes Deutsch, gab kurze, klare Antworten und konnte auf der Stelle vereidigt werden.

Sie war – gleich Grigas und Eve – gegen Morgen vom Johannisfeuer gekommen –[48]

»Allein?«

Sie senkte schämig die langwimprigen Lider.

»Ganz allein.«

– da habe sie schon von weitem den Hund bellen hören und sich darum hinter dem Zaun versteckt gehalten. Und da sei auch richtig ein Mann aus dem Fenster der »Kleinen Stube« gestiegen.

»Ich denke, der Mann kam aus der Klete?« fragte der Richter.

Die Klete – der Raum, in dem die haltbaren Vorräte aufbewahrt werden – pflegt sich in älteren Wirtschaften unter einem gesonderten Dach zu befinden.

»Ak nei, ak nei,« versicherte Madlyne, und vor lauter Bekenntniseifer schoß ihr das Blut in das Wachspuppengesicht. »Akkrat aus der Stubele is er gekommen, das kann ich beschwören.«

»Und wo schläft deine Tante, Madlyne?«

»Die schläft in der Stube – der Großen Stube – das kann ich beschwören.«

Die Große und die Kleine Stube liegen stets auf derselben Seite des Hausflurs und sind durch eine Tür verbunden.

Der Richter und der Dolmetsch lächelten abermals an.

Madlyne wurde hinausgeschickt und statt ihrer Frau Alute wieder hereingerufen.

Nachdem der Richter ihr durch den Dolmetsch die schwerwiegenden Folgen eines etwaigen Meineides hatte ausmalen lassen, stellte er den Widerspruch klar, der zwischen der heutigen Aussage Madlynes und dem, was sie von ihr erfahren haben wollte, bestand.

Frau Alute behauptete abermals, sie sei eine anständige Besitzerin, und niemand könne ihr etwas Schlechtes nachsagen. Dabei blieb sie jetzt auch der Beredsamkeit des Dolmetsch gegenüber, der ihr sämtliche Höllenstrafen der Reihe nach vorführte.

Der Richter glaubte, weil er Madlynes Umfall fürchtete, auf eine Gegenüberstellung der beiden Verwandten[49] verzichten zu sollen, und beschränkte sich darauf, das Motiv des angeblichen Einbruchs der Klärung näherzubringen.

Ob sie eine Flinte im Haus habe.

Sie verneinte heftig.

Oder gehabt habe.

Auch das nicht. Zu Lebzeiten ihres Mannes sei wohl ein Schießgewehr dagewesen, womit der Selige die Karekles – die jungen Krähen – von den Fichten heruntergeholt habe, aber als er dann krank geworden sei, habe er es eines Tages an den Juden verkauft.

»An welchen Juden?«

Das konnte sie natürlich nicht wissen. »Der Jude ist der Jude, und einer sieht aus wie der andere.«

Der Richter, der bisher den Kern der Angelegenheit sorgsam umgangen hatte, hielt den Augenblick für gekommen, den Namen des Beschuldigten ins Treffen zu führen.

Ob sie den Miks Bumbullis kenne.

Sie zeigte sich nicht im mindesten bestürzt oder auch nur befangen.

Wie sollte sie den Miks Bumbullis nicht kennen. Er war ja mit ihrem seligen Mann immer zusammen über die Grenze gegangen.

Der Dolmetsch sah den Richter verstehend an. Schmuggeln taten sie in den Grenzdörfern alle, und bewaffnet waren sie gelegentlich auch. Der Miks konnte sich also wohl der Flinte erinnert haben, die sein ehemaliger Kumpan mit sich geführt hatte. Wenn er von ihrem Verkauf nichts wußte, durfte er mit etlichem Recht annehmen, daß sie noch unbenutzt herumstand.

Ob der Miks Bumbullis bereits in ihrem Haus gewesen sei.

Aber ja doch. Er habe manches schöne Mal den seligen Mann des Abends abgeholt.

»Wozu abgeholt?«

»Nun, über die Grenze zu gehen.«

Ob sie noch wisse, wo der selige Mann damals die Flinte aufbewahrt habe.[50]

Sie stutzte und besann sich, als wittere sie den heimlichen Zusammenhang der scheinbar ziellos durcheinanderschwirrenden Fragen.

Und dann fing sie an zu wehklagen und zog sich auf die Plattform der anständigen Besitzerin zurück, der man nichts Schlechtes nachsagen könne.

Von diesem Augenblick an war nichts mehr aus ihr herauszuholen. Auf ihre Vereidigung wurde verzichtet.

Quelle:
Hermann Sudermann: Romane und Novellen. Band 6, Stuttgart und Berlin 1923, S. 47-51.
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