27. Mentone und Venedig

[190] Zu Anfang des Jahres 1889 (mein Roman war damals noch als Manuskript in Piersons zögernden Händen) gönnten wir uns wieder eine kleine Vergnügungsreise. Und zwar ging unser Weg an die Riviera – das Ziel Mentone. Auf der Fahrt wurden wir durch die Kunde von dem Tode des Kronprinzen Rudolf ereilt. Die erste Nachricht lautete auf Jagdunfall; erst nach und nach kamen die schrecklichen, sich widersprechenden Einzelheiten zu unserer Kenntnis. Die Tragödie hat uns stark erschüttert.

Von Mentone, unserem Hauptquartier, machten wir Ausflüge[190] nach Monte Carlo, Nizza, Cannes. Selbstverständlich war der Meine von den Schönheiten der Riviera entzückt. Wenn man die Natur so leidenschaftlich liebt, wie er es tat, so muß der Anblick dieses blühenden, paradiesischen Erdenwinkels intensiven Genuß gewähren. Und der mit dem Naturzauber verbundene mondäne Luxuszauber, der dort herrscht, war für ihn, der ja für jede Eleganz so empfänglich war, ein doppelter Reiz. Doch das mondäne Leben machten wir nicht mit, dazu hätte weder unsere Ferienkassa ausgereicht, noch hatten wir irgendwelche Sehnsucht danach.

Eine sehr interessante Bekanntschaft machten wir einige Tage nach unserer Ankunft in Mentone – diejenige Octave Mirbeaus. Schon damals war der junge Schriftsteller durch seinen Roman »Le Calvaire« berühmt. Ich kannte den Roman und ein Kapitel darin, das eine wundervolle Szene aus dem Deutsch-Französischen Kriege schildert, auf eine Weise schildert, aus der eine tiefe Verdammung des Krieges spricht. Das Kapitel hatte es mir angetan, und ich freute mich, dem Autor die Hand drücken zu können.

Octave Mirbeau bewohnte mit seiner hübschen, jungen Frau eine kleine Villa in Garavent, die er angekauft hatte; dorthin lud uns das Paar zum Essen ein. Der junge Schriftsteller sah mehr einem Engländer als einem Franzosen ähnlich. Er erinnerte mich ein wenig an Achille Murat. Sehr groß, breitschultrig, feiner blonder Schnurrbart. Wenn sein Aeußeres englisch anmutete, so war sein Wesen und seine Konversation hingegen echt französisch, voll prickelnden Geistes nämlich. Doch sprach er auch von sehr ernsten Dingen. Die sozialen Probleme schienen es zu sein, die ihm am meisten am Herzen lagen. Es brauchte kein Elend auf der Welt zu geben, war sein fester Glaube; daß es aber solches gab, war der Gegenstand seines Zornes.

Auf dem Rückweg von der Riviera hielten wir uns eine Woche in Venedig auf. Dem Meinen war die schöne tote Dogenstadt wie eine Offenbarung. Er verliebte sich in sie. Jauchzende Bewunderung flößte sie ihm ein. Und so nahmen wir uns vor, einmal einen ganzen Winter in Venedig zu verleben.

Dieses Vorhaben führten wir im Winter 1890/91 aus. Wir mieteten uns in einem kleinen Palazzo am Canal grande ein. Ein allerliebstes, von außen vergoldetes und buntes Palästchen – Palazzo Dario –; wir freuten uns jedesmal seines Anblicks, wenn wir es von der Gondel aus sahen. Auch die inneren Räume machten uns Freude, denn sie waren ganz in altvenezianischem Stil. Wir hatten eine Monatsgondel gemietet. Von den beiden Gondelieren war der[191] eine zugleich unser Kammerdiener. Die Hausfrau stellte uns gute italienische Küche bei, und ein schmuckes Mädchen hatte ich mir als Zofe aufgenommen. Unsere Arbeit hatten wir nicht etwa eingestellt. Die Vormittagsstunden gehörten regelmäßig der Schriftstellerei. Seelenvergnügt waren wir. – »Die Waffen nieder« war nun seit einem Jahre erschienen, und noch immer kamen mir darüber Rezensionen aus den Blättern und Briefe aus dem Publikum zugeflogen.

Wie die Welt doch rund und klein ist! Wo immer man hinkommt, stets trifft man Freunde und Bekannte aus den entferntesten Gegenden an. So auch hier. Wir ließen uns durch unseren Generalkonsul, Baron Kraus, in die Gesellschaft einführen, und ganz unvermutet trafen wir mit lieben alten Freunden zusammen.

Die Fürstin Tamara von Georgien, in deren Haus wir in Tiflis und vor vier Jahren in Paris so viel verkehrten, die hatte sich jetzt in Venedig niedergelassen und führte da ihre beiden Töchter in die Welt. In der Marchesa Pandolfi, deren Salons im Palazzo Bianca Capello ein Sammelplatz der Venezianer Gesellschaft bildeten, fand ich sogar eine Genossin meiner Mädchenjahre wieder: Marietta Saibante. Wir hatten uns nahezu fünfundzwanzig Jahre nicht gesehen und gegenseitig aus den Augen verloren; da war es uns beiden eine sehr freudige Ueberraschung, uns so unvermutet wiederzufinden. Ihr Gatte, Abgeordneter von Sizilien in der italienischen Kammer, war eben von Rom eingetroffen; es ist derselbe Marchese Benjamino Pandolfi, welcher nachträglich in der Friedensbewegung einen hervorragenden Platz eingenommen hat.

Eines Vormittags – wir saßen eben plaudernd nach dem Gabelfrühstück beisammen, mein Mann und ich – brachte man mir eine Karte. Darauf stand die Anfrage, ob Mr. Felix Moscheles aus London, welcher zufällig gestern bei Sir Layard erfahren, daß die Verfasserin von »Die Waffen nieder« in Venedig sei, sich derselben vorstellen dürfe.

Ich sandte die Antwort, daß es mir ein Vergnügen sein werde.

Mein Mann ging dem Besucher in den Vorsaal entgegen.

»Es wird meine Frau sehr freuen,« begann er höflich.

»Wie? Was?« rief der andere, »Sie wären der Baron Suttner! Sie sind also nicht tot? Sie sind ja doch in Paris erschossen worden?«

»Bitte um Entschuldigung, nein ...«

Damit traten die beiden Herren zu mir ein, und der Fremde erklärte nun, warum er so überrascht gewesen, mich im Besitze eines[192] lebenden Gatten zu finden, da er doch aus meiner Lebensgeschichte, die er vor kurzem gelesen, wußte, daß ich meine beiden Männer verloren und er nicht vorausgesetzt hätte (etwas vorwurfsvoll), daß ich zum drittenmal geheiratet.

Wir klärten ihn lachend dahin auf, daß die zwei verblichenen Militärs bloße Phantasiegebilde waren und nur die in dem Buche geschilderte, liebesbeglückte Ehegemeinschaft der Wirklichkeit entnommen und Gott sei Dank durch kein grausames Schicksal entzweigerissen sei.

Herr Felix Moscheles, ein Sohn des berühmten Musikers und Herausgeber des Briefwechsels desselben mit Mendelssohn, teilte uns nun mit, daß er – im Verein mit Hodgson Pratt, Kardinal Manning, Lord Ripon, dem Bischof von London, dem Herzog von Westminster u.a. – dem Vorstand der Londoner Peace-Association angehöre. In London ständig niedergelassen und als Engländer naturalisiert, habe er es sich zur Aufgabe gemacht, wenn er auf Reisen war, für seinen Friedensverein Propaganda zu machen. Seine Hauptspezialität sei die Table-d'hote-Bekehrung, welche aber, wie er lachend zugab, zumeist kläglich mißlang oder ihm als Vergeltung die Bekehrungsversuche alter Traktätchenverteilerinnen zuzog. Den letzten Winter hatte er mit seiner Frau in Kairo zugebracht – wo er eine ganze Anzahl ägyptischer Studien angefertigt (Herr Moscheles ist seines Zeichens Maler) –, und dort war es ihm geglückt, einige Beis für die Friedenstheorien zu gewinnen. Ein Freund aus Berlin hatte ihm meinen Roman zugeschickt, und da war der lebhafte Wunsch in ihm erwacht, die unglückliche Frau kennen zu lernen, die so viel durch den Krieg gelitten und die so manches, ihm selber auf dem Herzen Liegendes in diesem Buche ausgedrückt hatte. Gestern nun in einer Soiree bei Sir Layard, dem bekannten, gewesenen Diplomaten, habe er ganz zufällig erfahren, daß die Verfasserin in Venedig sei, und da konnte er nicht anders, als sich ihr vorstellen; einmal als Friedensfreund, um der Schriftstellerin zu danken, und zweitens als Mensch, um der armen, gebrochenen Witwe sein Mitgefühl auszudrücken – und ... was doch das Leben für Enttäuschungen bringt – da empfängt ihn der Mann einer lebenslustigen Frau! –

Im Laufe des Gesprächs sagte uns Herr Moscheles, daß es ihm sehr angenehm gewesen wäre, wenn er in Venedig hätte Leute treffen können, die gewillt wären, ein lokale Friedenssektion zu bilden; daß dazu aber keine Aussicht sei – es habe niemand für die Frage Interesse. Er beabsichtige daher, schon in zwei Tagen nach England zurückzukehren.[193]

»Wer weiß?« sagte ich. »Es wäre vielleicht doch möglich, in der Sache etwas zu tun. Heute abend ist Empfang in Casa Pandolfi – ich will mit dem Marquis, der, soviel ich weiß, dem römischen Parlament und der dortigen Friedensgruppe angehört, von Ihrem Wunsche sprechen.«

Am selben Abend also, in dem einstigen Palazzo Bianca Capello, bat ich – während die Jugend im Nebensaale tanzte – den Hausherrn auf ein Wort zu mir. Mit nur wenig Hoffnung auf Erfolg erzählte ich von dem Besuche des englischen Friedensfreundes und von seinem Wunsche. Der Marquis Pandolfi schien sehr überrascht, mich von solchen Dingen reden zu hören, und noch freudiger überrascht war ich, als ich nun erfuhr, daß er einer der begeistertsten und tätigsten Anhänger der Sache sei, daß die Gruppe der Gesinnungsgenossen in der italienischen Kammer schon einen großen Teil der Volksvertretung umfasse, und daß er, Pandolfi, an der Organisation dieser Gruppe und den Vorbereitungen zur nächsten Konferenz arbeite. Die Idee, daß in Venedig eine Sektion gebildet werde, nahm er bereitwilligst auf und beauftragte mich, Herrn Moscheles zu bitten, sich zu weiterer Besprechung am folgenden Vormittag zu ihm zu bemühen.

Wenige Tage später war schon ein provisorisches Komitee gebildet, ein Aufruf erlassen und eine Versammlung einberufen. Ungefähr hundert Personen hatten sich in dem Saale eingefunden: darunter viele Journalisten und Advokaten. Nur zwei Frauen waren anwesend: die Gattin des Herrn Felix Moscheles – Frau Grete – und ich. Aus den beiden Taufnamen Grete und Felix war in Freundeskreisen der Kollektivname Grelix entstanden. Grelix ist ja auch nur einerlei Sinnes; Grelix begeistert sich für jeden sozialen Fortschritt und arbeitet dafür; Grelix malt gemeinschaftlich, durchstreift mit Skizzenbuch und Stift alle malerischen Winkel der Erde; Grelix ist auch selber ein hübscher Anblick: Er mit dichtem, schneeweißem Haar über noch frischen Zügen und elastischer Gestalt; sie, wie seine Tochter aussehend, zierlich und zart wie ein Püppchen, goldblondes Gezause um ein Rokokogesicht; und das eigene Haus in London, welches die zwei Ateliers und alle die auf Reisen gesammelten Kunstschätze umfaßt, heißt »The Grelix«.

Pandolfi hielt an die Anwesenden eine zündende Ansprache – man weiß ja, wie Italiener, wenn sie Redner sind, feurig sprechen –, worin er zur Konstituierung einer Venezianer Sektion der allgemeinen europäischen Friedensliga aufforderte und worin er die Ziele der interparlamentarischen Gruppe auseinandersetzte, der er angehöre.[194] Dann sprachen und diskutierten noch einige andere. – Es war das erstemal im Leben, daß ich etwas Aehnlichem beiwohnte, denn nie noch hatte ich irgendeinem Vereine angehört oder eine Vereinsversammlung oder Gründung mitangesehen. – Der Schluß war, daß man sofort einen Ausschuß – Pandolfi als Präsidenten – ernannte, hierauf Depeschen an die Peace-Association nach London und an die Friedens- und Schiedsgerichtsgruppe nach Rom absandte, und damit war die von unserem englischen Gaste so eifrig gewünschte Gründung vollbracht.

Am nächsten Tage berichteten alle italienischen Blätter von diesem Ereignis, und eine Zeitlang bildete es das Tagesgespräch in unseren Kreisen. Freilich so wie die Salongespräche einer neuen Bewegung gegenüber, die auf irgendeinem Gebiete eine große Umwälzung anstrebt, schon zu sein pflegen: Ausdruck weiser Zweifel und Bedenken, leiser Spott, herablassende Anerkennung des edeln Zieles – und das alles auf einen Hintergrund von unbewegter, starrer Gleichgültigkeit.

Und besonders, sollte man es glauben? – besonders sind es die Frauen, die dem Krieg die schönsten Seiten abzugewinnen wissen, die sich einen Zustand gar nicht denken können noch wollen, in welchem ihre Söhne nicht mehr für das Vaterland zu sterben, sondern einfach dafür zu leben hätten.

Von den Damen der Venezianer Gesellschaft, mit welchen ich damals verkehrte und welche für den neugegründeten Pandolfischen Verein einiges Interesse zeigten, waren die beiden folgenden voran: die verwitwete Fürstin Darinka von Montenegro – welche ein Jahr später starb.

»Wir werden es noch erleben,« sagte sie mir, »daß die Welt den Krieg abschüttelt. Der Kaiser von Rußland, Sie können's mir glauben, hegt tiefen Abscheu dagegen.«

Nun, sie hat es nicht erlebt. Aber was gilt das persönliche Dabeisein von uns Eintagsfliegen, wenn es sich um die Geschichte der Menschheit handelt, die da fortlebt – und wir in ihr –?

Die zweite der an der Frage teilnehmenden Frauen war die Fürstin Hatzfeld, geborene von Buch. Eine herrliche alte Dame (sie hatte eben ihren siebzigsten Geburtstag begangen). Für alles, was in der Welt vorgeht in Politik und Kunst, hatte sie offenen Sinn und warme Begeisterung. Als Richard Wagner in Venedig lebte, da verband ihn und Frau Cosima innige Freundschaft mit der Fürstin. Sie war es, die zuerst von sei nem Tode erfuhr und an sein Sterbelager eilte. Ein Billett – »Kommen Sie!« – der unglücklichen[195] Frau hatte sie gerufen. Als sie in das Zimmer trat, wo Wagner lag, da hatte er eben den letzten Atemzug getan, und Frau Cosima warf sich mit einem wilden Schrei über den Leichnam. Nach einer Weile erhob sie sich und bleich, tränenlos, machte sie ein paar Schritte zu einem Tischchen, auf dem eine Schere lag; diese ergriff sie und schnitt sich das üppige, lange Haar vom Haupte ab und legte dies blonde seidene Kissen unter das Haupt des Toten.[196]

Quelle:
Bertha von Suttner: Memoiren, Stuttgart und Leipzig 1909, S. 190-197.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Memoiren
Memoiren
Memoiren
Memoiren
Bertha von Suttner: Memoiren
Memoiren

Buchempfehlung

Droste-Hülshoff, Annette von

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Gedichte (Die Ausgabe von 1844)

Nach einem schmalen Band, den die Droste 1838 mit mäßigem Erfolg herausgab, erscheint 1844 bei Cotta ihre zweite und weit bedeutendere Lyrikausgabe. Die Ausgabe enthält ihre Heidebilder mit dem berühmten »Knaben im Moor«, die Balladen, darunter »Die Vergeltung« und neben vielen anderen die Gedichte »Am Turme« und »Das Spiegelbild«. Von dem Honorar für diese Ausgabe erwarb die Autorin ein idyllisches Weinbergshaus in Meersburg am Bodensee, wo sie vier Jahre später verstarb.

220 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon